Mit Websphere, XML, Quickplace und Sametime

Devcon: Lotus begibt sich auf Collaboration-Kurs

07.07.2000
Al Zollar, seit Beginn dieses Jahres CEO von Lotus, führt die IBM-Tochter zu neuen Ufern. Aus der relativ geschlossenen "Domino"-Welt will sich der Softwarehersteller herausentwickeln. Als Startschuss kann die diesjährige Developer Conference Lotus Devcon gelten. Volker Weber* berichtet aus San Franzisko.

Wenn es um E-Mail und Teamarbeit im Unternehmen geht, dann behauptet sich Lotus immer noch als Marktführer. Für eine Zusammenarbeit zwischen Mitarbeitern verschiedener Unternehmen war Notes bisher nie gedacht. Diesem Feld hat sich Lotus nun jedoch auf der Devcon verschrieben: "Collaborative Commerce" heißt das neue Schlagwort, mit dem der Hersteller auf der B-to-B-Welle mitreiten will.

Während im Geschäft mit dem Endkunden (B-to-C) rund 75 Dollar pro Transaktion umgesetzt würden, liege der durchschnittliche Geschäftsabschluss zwischen Unternehmen bei etwa 7500 Dollar, führte Zollar in seiner Keynote aus. Einzelkunden entscheiden laut dem Lotus-CEO über ihren Kauf weitgehend autonom, Unternehmenskunden durchlaufen dagegen einen komplexen Entscheidungsprozess, der einer Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Mitarbeitern bei Käufern und Verkäufern bedarf. Lotus werde deshalb den Eckpfeiler "Collaboration" aus dem Angebot der IBM übernehmen.

Für transaktionsorientierte Anwendungen bietet die Konzernmutter schon seit geraumer Zeit den Web-Applikations-Server "Websphere" an, den Lotus, wie bereits auf der Hausmesse Lotusphere Anfang dieses Jahres angekündigt, in Domino integrieren will. Es geht unter anderem da-rum, dem Anwender ein gemeinsames Login zu beiden Servern anzubieten. Auch wenn diese Arbeiten noch nicht abgeschlossen sind, wird Lotus dennoch schon in Kürze Websphere und Domino gemeinsam verkaufen - das Marketing eilt hier der Technik voraus. Bis Ende des Jahres soll die vorgesehene Integration weitgehend abgeschlossen sein.

Auch die Erweiterung der Domino-Architektur um eine umfassende XML-Schnittstelle wird als entscheidender Schritt für die Öffnung dieser bislang eher geschlossenen Lösung angesehen. Derzeit befindet sich ein XML-Toolkit in Vorbereitung, das neben zahlreichen Codebeispielen eine vollständige Document Type Description (DTD) für Domino-Dokumente enthalten wird. Dieses Toolkit will der Hersteller auf der Lotus Developer Network Site kostenlos zum Download anbieten (www.lotus.com/developer). Lotus hat es sich zum Ziel gesetzt, alle Elemente einer Notes-Datenbank vollständig via XML ex- und wieder importieren zu können. Das bedeutet unter anderem, dass auch Designelemente von außen generiert und bearbeitet werden können - eine Aussicht, die von allen Tool-Herstellern begrüßt wird.

Jeannette Horan, bei Lotus federführend für Entwicklung und Support, erwähnte in ihrer Eröffnungsrede häufiger die "Domino Services". Dies deutet darauf hin, dass Lotus die einzelnen Dienste des Domino-Servers besser in Komponenten zerlegen wird, die sich dann nach Bedarf zusammensetzen lassen. Ein Beispiel für diese Strategie ist die Version 2.0 der Teamsoftware "Quickplace", die unter einer sehr einfachen Oberfläche verschiedene Dienste von Domino und die Plattform für Echtzeitkooperation "Sametime" vereinigt, ohne diese Server vollständig einzubinden.

Quickplace 2.0 ist dabei vielfältig anpassbar, sowohl von Endanwendern als auch von Software- und Lösungsanbietern. Das reicht bis zum "Re-branded Server", der vollständig unter dem Logo eines Drittherstellers verkauft werden kann. Zudem ist inzwischen die Betaversion eines Development Kits erhältlich, das die Schnittstellen und Datenstrukturen vollständig beschreiben wird. Auf der Quickplace-Website (www.quickplace.com) lässt sich für 45 Tage ein kostenloser "Platz" einrichten, der manchem sicher schon für kleine Projekte ausreichen mag. Den ersten Eindrücken zufolge ist Quickplace ein mächtiges und zugleich einfach zu handhabendes Produkt.

Das bereits erwähnte Sametime liegt für die Version 2.0 als Beta-Release vor. Besonders auffällig ist hier die Integration von Audio und Video. Die Devcon-Ausstellung unterstrich dies durch zahlreiche mit Kameras ausgestattete Arbeitsstationen und entsprechend hergerichtete Telefonzellen. Weniger offensichtlich ist die Vereinheitlichung der bislang verschiedenen APIs sowie die Fähigkeit, Meetings für Präsentationen als Einbahnstraße ähnlich einer Rundfunkausstrahlung zu organisieren. In Multicast-fähigen Netzen skaliert diese Lösung laut Paul Haverstock, General Manager für Sametime, bis zu beliebigen Größen. Als Gateway zu anderen Streaming-Servern dient IBMs Hotmedia-Technologie.

Neuigkeiten gibt es auch beim Workflow: Die Integration des mit dem Paderborner Business-Partner Onestone akquirierten Produkts "Prozessware" in die Lotus-Softwarepalette ist abgeschlossen. Während Version 2.0 von "Domino Workflow" noch weitgehend identisch mit der übernommenen Lösung war, liegt nun erstmals die mehrsprachige Version 2.1 vor, die durch die Unterstützung des Double Byte Character Sets (DBCS) auch im asiatischen Raum angeboten werden kann. Der "Workflow Architect" und das Toolkit sind erheblich überarbeitet worden.

In Sachen Web-Designwerkzeuge unterstützt Lotus bislang Microsofts "Frontpage" und Netobjects "Fusion". Innerhalb der nächsten Wochen soll sich nun noch "Dreamweaver" von Macromedia dazugesellen. Über die Domino Design Objects lassen sich in diesen Werkzeugen typische Notes-Elemente wie Ansichten und Masken einbinden. Die fertige Anwendung kann dann auf einem Domino-Server gehostet werden.

Um den bereits im letzten Herbst angekündigten Knowledge-Management-Server "Raven" war es auf der Veranstaltung relativ ruhig. Das liegt wohl auch daran, dass seine Fertigstellung laut Lotus noch bis zum Jahresende dauern wird.

Erste Hinweise gab es dagegen auf das nächste "Feature Release" von Notes und Domino, das bislang unter dem Arbeitstitel "R. next" gehandelt wird. So waren in einigen Sessions bereits zahlreiche Funktionen des neuen Designs zu bewundern. Auch ein neuer Web-Mail-Client nimmt langsam Form an. Dabei verzichtet Lotus wieder auf die relativ schwerfälligen Java-Applets und setzt stattdessen auf Javascript und DHTML. Ein entsprechend angepasstes Web-Mail-Template kann man bereits mit dem "Quarterly Maintenance Release" (QMR) erwarten. Eine Version später ist auch mit Domino Offline Services (DOLS) für OS/2 zu rechnen. Lotus will damit die Kunden zufrieden stellen, die das Fehlen eines OS/2-Notes-Clients für R5 beklagen.

Für R.next arbeitet Lotus darüber hinaus an einem neuen Web-Client, der über die relativ einfachen Anpassungen des Mail Templates hinausgeht. Er wird sich im Aussehen nicht mehr an den aktuellen Notes-Client anlehnen, sondern soll für die Nutzung im Web-Browser optimiert werden. Beim Notes-Client selbst sollen die Veränderungen moderat ausfallen, damit sich Anwender beim Upgrade von R5 nicht umschulen lassen müssen.

Die Developer Conference kann mittlerweile als Geheimtipp gelten. Die zurückhaltend vermarktete Veranstaltung mit entsprechend stagnierender Besucherzahl leidet nicht unter Gedränge wie etwa die Lotusphere. Entwickler haben hier mehr Möglichkeiten, sich auf technische Vorträge jeden Niveaus zu konzentrieren und sich mit Hilfe von Jumpstart-Sessions in wenigen Stunden auch als Anfänger in ein neues Thema einzuarbeiten.

* Volker Weber (vowe@vowe.de) ist freier Journalist in Darmstadt.