BITKOM-Präsident

Deutschland braucht mehr Unternehmergeist

23.02.2011

Wie lange kann es dauern, bis solche Maßnahmen greifen?

Scheer: Das kann schnell gehen. Ich denke, in drei bis fünf Jahren muss etwas passieren. Unsere Industrie ist schnelllebig, die Innovationszyklen sind kurz. Das bringt auch die Chance, wieder Anschluss zu finden. Zum Beispiel sind wir beim Cloud Computing gerade dabei, uns eine erfolgreiche Nische zu erschließen. Wir bauen in Deutschland sichere Autos, wie bauen sichere Maschinen - warum also nicht auch sichere Cloud-Computing-Lösungen? Das gleiche gilt für Mini-Computer, die in andere Geräte eingebaut werden, sogenannte Embedded Systems. Wir müssen uns auf Gebiete konzentrieren, auf denen wir nicht nur mitschwimmen, sondern auch den Ton angeben können.

Das vergangene Jahr war geprägt von der Diskussion um den Online-Straßenatlas Google Street View, in der sie auch die Bundesregierung kritisiert haben. Steht die Politik manchmal der Innovation im Weg in Deutschland?

Scheer: Nun, das ist gemischt. Zum einen ist positiv, dass die Netz-Politik breit diskutiert wird. Es gibt aber auch Themen, mit denen wir nicht so glücklich sind. Und dazu gehört auch diese etwas überzogene Diskussion um Street View und andere Geodatendienste. Ich kritisiere, wenn man meint, seine eigene kleine Freiheit dadurch verteidigen zu müssen, dass man seine Hausfassade verpixelt. Wir haben in den vergangenen Wochen etwa in Ägypten gesehen, wie die große Freiheit durch das Internet gefördert werden kann. Einen öffentlichen Straßenzug als besonders schützenswert darzustellen, kommt mir dagegen etwas kleinkariert vor. Und was sagt die Reiseindustrie dazu, wenn sich Paris oder Rom im Internet schönmachen - und bei uns sieht München bei Street View wie nach dem Zweiten Weltkrieg aus, weil so viele Häuser ausgepixelt sind?

Also ist es kein Zufall, dass die großen Internet-Unternehmen alle nicht aus Deutschland kommen?

Scheer: Wir haben sehr erfolgreiche Internet-Unternehmen hier, nehmen sie etwa die VZ-Netzwerke oder Xing. Aber es stimmt, die großen, internationalen Konzerne kommen nicht aus Deutschland. Ich denke, das liegt an der fehlenden Aggressivität der Unternehmen. Die wenigsten wollen die Welt erobern. Ein Mark Zuckerberg hat sich ja nicht damit zufriedengegeben, Facebook als Harvard-Netzwerk einzurichten. Oder es auf Boston und New York auszudehnen. Nein, er will die ganze Welt erobern. Und das haben wir in anderen Industrien ja auch geschafft, etwa mit Autos oder im Maschinenbau. Jetzt müssen wir zusehen, dass wir es in der Hightech-Welt ebenfalls hinkriegen.

Wie kommen wir denn da hin?

Scheer: Dafür müssen wir an den Menschen arbeiten. Das ist gleichzeitig unsere schwierigste und unsere vornehmste Aufgabe. Wir müssen beim Bildungssystem anfangen. Und wir müssen unser Zuwanderungsproblem lösen. Wenn Sie jetzt bei großen Unternehmen wie SAP fragen, ob sie Probleme mit der Zuwanderungspolitik haben, sagen sie: Nein. Denn sie sind zwangsläufig schon lange dorthin gegangen, wo die Spezialisten sind, die sie in Deutschland nicht finden. Sie haben Tausende Mitarbeiter etwa in Indien. Damit treiben wir die Unternehmen aus Deutschland raus. Anstelle zu sagen: Wir ziehen die Intelligenz der Welt an, sie soll bei uns arbeiten, ihre Ideen einbringen, hier Firmen gründen und uns dabei helfen, unseren Wohlstand zu erhalten.

Die Fragen stellte Andrej Sokolow von der Deutschen Presse-Agentur (dpa).