IT in Behörden/Betriebswirtschaft und Kameralistik miteinander verbunden

Deutscher Wetterdienst rechnet mit Business Suite

30.05.2003
Der Deutsche Wetterdienst (DWD) arbeitet als nationaler Wetterdienst und technisch-wissenschaftlicher Dienstleister im Spannungsfeld von hoheitlicher Aufgabenerfüllung und marktorientierten Aktivitäten. Um seine betriebswirtschaftlichen Prozesse zu integrieren, führte der DWD "Oracle Financials" und später die "E-Business Suite" desselben Herstellers ein.Von Nora Müller-Weinbrenner*

Die Baubranche plant mit den Prognosen des Deutschen Wetterdienstes (DWD) die Absicherung ihrer Baustellen. Rechtsanwälte greifen in einem Schadensfall auf den Wetterdienst zurück, wenn es darum geht, zu prüfen, ob das Wetter wirklich schuld war. Die Handelsschifffahrt stellt mit Wetterinformationen aus dieser Quelle sicher, dass ihre Schiffe wirtschaftlich den Zielhafen erreichen und Schäden an der Ladung vermieden werden. Die Winzer erfahren den besten Zeitpunkt für das Spritzen der Weinberge. Kein Flugzeug startet und landet ohne Hilfestellung der DWD-Flugwetter-Experten. Ob Sturmwarnung oder Klimagutachten: Der DWD verfügt über ein breites Leistungsspektrum, mit dem er, seinem gesetzlichen Auftrag entsprechend, die Allgemeinheit sowie private Kunden und öffentliche Auftraggeber unterstützt.

Mit dem ehrgeizigen Projekt Ibewi (Integration betriebswirtschaftlicher Prozesse) war angestrebt, die beiden Welten des DWD - öffentliche Verwaltung und Betriebswirtschaft - in einer Software abzubilden. "Der DWD ist zwar stark von der wissenschaftlichen Arbeit der Meteorologen geprägt", erklärt Elmar Alhäuser, Leiter der Abteilung Finanzen und Organisation. "Dennoch sind mit jeder Person, jedem Produkt und jeder Dienstleistung zahlreiche betriebswirtschaftliche Prozesse verbunden." Zudem sind laut DWD-Gesetz Preise für erbrachte Leistungen nach betriebswirtschaftlichen Kriterien zu kalkulieren. Um die Integration der Hauptprozesse Einkauf, Lagerwirtschaft, Vertrieb und Finanzbuchhaltung sowie Finanz-Controlling zu erreichen, wurde eine Gesamtkonzeption auf der Grundlage einer einheitlichen Software erarbeitet. Dabei war zu beachten, dass der Wetterdienst Bestandteil der Bundesverwaltung ist und der kameralistischen Einnahmen-Ausgaben-Rechnung des Bundeshaushalts folgt. Gleichzeitig wird der DWD wegen seiner Marktorientierung von den Finanzbehörden steuerlich in Teilen als Betrieb gewerblicher Art eingestuft, wenn er beispielsweise an Kunden umsatzsteuerpflichtige Produkte wie Zeitungswetterkarten abgibt. "Strukturell sind wir wie ein Unternehmen aufgestellt, bei dem alle Informationen der jeweiligen Prozessketten in der Fläche gesammelt werden müssen und in die Rechnung einbezogen werden," schildert Alhäuser.

Die am Markt verfügbare Software konnte Mitte der 90er Jahre ebenso wenig wie heute diese Anforderungen im Standard abbilden. Eine Ausschreibung führte schließlich zu Oracle Financials.

Standardprozesse anstelle von Ausnahmen

Das Ziel, die betriebswirtschaftlichen Prozesse zu integrieren und gleichzeitig die gesetzlich vorgeschriebenen Belange des öffentlichen Haushalts zu berücksichtigen, wurde erreicht. "Es war ein schwieriges Geschäft", stellt Alhäuser rückschauend fest. "Aber das wäre es mit jeder anderen Software auch gewesen. Und das geht so gut, wie die eigene Mannschaft, aber auch das Herstellerteam vor Ort kompetent und erfahren ist." Erfreulicherweise gab es einschlägige Erfahrungen. Mitarbeiter hatten zuvor beim Zweiten Deutschen Fernsehen miterlebt, wie sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk Schritt für Schritt der Marktwirtschaft öffnete. Eine technische Rolle spielte dabei besonders flexible Software, wie sie allerdings auch zu einem Problem werden kann. Denn der typische Anwender - ob in einem Unternehmen oder im öffentlichen Bereich - denkt softwaretechnisch "in Ausnahmen". Und wenn die Software alle Ausnahmen abbildet, muss das nicht unbedingt vorteilhaft sein.

Der DWD ist in den letzten zwei Jahren rigoros den Weg in den Standard gegangen. Eher wurden die Prozesse an die Software angepasst als umgekehrt. Das Modul 11i ist stark Workflow-orientiert, was sich für die gesetzlich vorgeschriebenen Prozessanpassungen als sehr vorteilhaft erwiesen hat. Zwei Beispiele: Im öffentlichen Bereich gilt das Vier-Augen-Prinzip. So muss die Bezahlung einer Lieferantenrechnung immer durch zwei Personen genehmigt werden. Dieser Ablauf wurde in den Oracle-Workflow integriert. Eine zweite Besonderheit - die Prüfung, inwieweit Haushaltsmittel vorhanden sind - konnte völlig im Standard realisiert werden.

Für den Wetterdienst in Offenbach ist die Anwendung inzwischen unverzichtbar geworden. Die IT-Unterstützung der früheren Jahre war heterogen. Mit der neuen Software hat der DWD sozusagen auf der grünen Wiese begonnen und bildet damit mittlerweile alle betriebswirtschaftlichen Prozesse ab - mit Ausnahme der Personalwirtschaft.

Durch Geschäftsprozessanalyse und -verbesserung sowie eine ganzheitliche, integrierte IT-Unterstützung konnte rationalisiert werden, Kapazität für zusätzliche Aufgaben wurde frei. Die Vorteile liegen eindeutig in der Integration. "Es gibt keine Medienbrüche mehr, keine Fehler durch verlorene Belege, keine Doppelerfassungen. Dafür aber Zeitgewinne und hochwertige Informationen aus dem vorhandenen Datenmaterial", lobt Elmar G. Alhäuser.

Zurzeit setzt der Wetterdienst insgesamt elf Oracle-Module von Einkauf über Lagerwirtschaft und Anlagenbuchhaltung bis hin zu Vertrieb und Marketing ein. Kernmodul ist das Hauptbuch (General Ledger). Den Anwendungen liegt eine Oracle-8i-Datenbank zugrunde. Die Migration auf 9i steht bevor. Zusätzlich wird eine Standard-Schnittstelle der Software in der Kreditorenbuchhaltung genutzt: So erhält der Wetterdienst im Rahmen seines meteorologischen Messnetzes viele Telekommunikationsrechnungen, deren Informationen in das Rechnungswesen eingespielt werden müssen. Das geschieht über eine automatische Schnittstelle. So konnten Insellösungen vermieden und die Integration weiter vorangetrieben werden. (bi)

*Nora Müller-Weinbrenner ist Leiterin Administrative IT-Anwendungen, Abteilung Finanzen und Organisation, beim Deutschen Wetterdienst DWD in Offenbach.

Angeklickt

- Mit dem Projekt Ibewi (Integration betriebswirtschaftlicher Prozesse) strebte der Deutsche Wetterdienst (DWD) an, die beiden Welten des DWD - öffentliche Verwaltung und Betriebswirtschaft - in einer Software abzubilden.

- Eine Ausschreibung führte schließlich zu Oracle Financials.

- Der DWD ist in den letzten zwei Jahren rigoros den Weg in den Standard gegangen. Eher wurden die Prozesse an die Software angepasst als umgekehrt.

- Der Erfolg des Projekts liegt in der richtigen Dimensionierung zwischen Anpassung und Belassen der Standards, um die Software zu akzeptablen Kosten weiter anpassen und pflegen zu können.

- Insellösungen konnten vermieden und die Integration weiter voran getrieben werden.

Der Deutsche Wetterdienst (DWD)

gehört zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Wohnungswesen und ist der nationale Wetterdienst der Bundesrepublik Deutschland mit Sitz in Offenbach. Er beschäftigt 2700 Mitarbeiter, davon rund ein Drittel in Offenbach selbst, zwei Drittel an sieben Niederlassungen mit weit mehr als 100 Standorten in ganz Deutschland. Der DWD trägt zum weltweiten meteorologischen Beobachtungsnetz bei, arbeitet mit Satelliten- und Radardaten unter Verwendung leistungsfähiger Rechner- und Kommunikationstechnik. Wegen ihrer IT-Kompetenz wurde der Behörde die fachliche Verantwortung für den Betrieb des Weitverkehrsnetzes der Bundesverkehrs- und Bauverwaltung übertragen. Der WAN-Betrieb schließt alle zugehörigen Institutionen mit ein.