Zukunftsstudie des Münchner Kreises

Deutsche Wirtschaft verschläft die digitale Zukunft noch immer

16.01.2015
Von 


Simon Hülsbömer betreut als Senior Research Manager Studienprojekte in der Marktforschung von CIO, CSO und COMPUTERWOCHE. Zuvor entwickelte er Executive-Weiterbildungen und war rund zehn Jahre lang als (leitender) Redakteur tätig. Hier zeichnete er u.a. für die Themen IT-Sicherheit und Datenschutz verantwortlich.
"Digitalisierung - Achillesferse der deutschen Wirtschaft?" - Was eigentlich nur ein provokanter Arbeitstitel sein sollte, hat sich im Rahmen der neuen Zukunftsstudie des Münchner Kreises schnell als harte Realität herausgestellt.

Es knirscht an allen Ecken und Enden, wenn man sich die Digitalisierung der deutschen Wirtschaft und Gesellschaft einmal genauer anschaut. Digitale Geschäftsmodelle entstehen zumeist zuerst in Amerika oder Asien, erfolgreiche sowieso. Dass die deutsche Industrie, Politik und auch Wissenschaft es jahrelang verschlafen haben, sich rechtzeitig um wichtige Zukunftsthemen zu kümmern, bekommt sie nun einmal mehr in der sechsten Zukunftsstudie des Münchner Kreises aufgezeigt. Tenor: Vieles liegt im Argen, aber es ist noch nicht zu spät, es besser zu machen und Deutschland fit zu machen für das digitale Zeitalter. Dennoch müssen wir uns sputen, wenn wir nicht abgehängt werden wollen.

Die Zeit der Bestandsaufnahme ist vorbei, nun geht es ans Handeln. Seit September 2013 hat der Münchner Kreis als gemeinnützige, internationale Vereinigung mit Vertretern aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik daher am sechsten Band seiner bereits seit 2008 laufenden Zukunftsstudie zur Digitalisierung aller Arbeits- und Lebensbereiche in Deutschland gearbeitet - diesmal mit dem Fokus auf konkreten Handlungsempfehlungen.

Im Rahmen der Studie haben sich sechs sogenannte "Zukunftsräume" herauskristallisiert - Themenfelder, in denen mit Hilfe von über 500 Experteninterviews verschiedene Thesen zur Digitalisierung auf ihren aktuellen und künftigen Wahrheitsgehalt beurteilt werden sollten. Das Markt- und Meinungsforschungsinstitut TNS Infratest holte diese Aussagen per Web-Interview ein, nachdem eine Auswahlkommission des Münchner Kreises gemeinsam mit zahlreichen Partnern in mehreren Workshops die insgesamt 29 Thesen aufgestellt hatte. Die befragten Experten stammen zur Hälfte aus dem ITK-Bereich, zur Hälfte aus dem Nicht-ITK-Bereich und sind größtenteils in der freien Wirtschaft tätig. Ergänzt wurden ihre Meinungen durch die von Wissenschaftlern und Mitarbeitern in Behörden und Ministerien.

Die Befragungsergebnisse wurden anschließend in weiteren Workshops des Partnerkreises zusammengetragen und zu den sechs Themenbereichen zusammengefasst, die jeweils mit einer Fragestellung überschrieben wurden. So gelangten die Studienautoren zu allgemeinen Handlungsempfehlungen "zur Gestaltung der digitalen Zukunft", die wir im Folgenden vorstellen.

Ausbildung von Verlierern?

Das deutsche Bildungssystem hinkt bei der Ausbildung des digitalen Nachwuchses gewaltig hinterher. "Das Bildungssystem muss so schnell wie möglich an die Gegebenheiten der digitalen Welt angepasst werden, die Lehrerausbildung besser ausgestaltet und die digitale Kompetenz jedes einzelnen Bürgers erhöht werden", heißt es in der Studie. 61 Prozent der befragten Experten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik sind der Meinung, dass der Fachkräftemangel im ITK-Bereich eine strukturelle Herausforderung für die gesamte Gesellschaft ist, dem nur über ein moderner aufgestelltes Bildungssystem langfristig begegnet werden kann.

Die Zeit drängt gewaltig: Der "immense Rückstand" des deutschen Aus-, Fort- und Weiterbildungssystems müsse in weniger als zwei Jahren aufgeholt werden, um die Lücke zum Rest der Welt noch rechtzeitig schließen zu können. Ein entscheidender Punkt in diesem Kontext sei die Lehrerausbildung. "Nur wenn Lehrer selbst digital kompetent sind, können sie ihren Schülern und Auszubildenden das für die Digitalisierung erforderliche Know-How vermitteln", so die Erkenntnis des Münchner Kreises. Die Vermittlung der digitalen Kompetenz beziehe sich nicht nur auf die Nutzung digitaler Medien, sondern auch auf das Wissen über Spielregeln in der digitalen Welt.

Digitale Politik nicht up-to-date?

Es überrascht kaum, dass die Zukunftsstudie zu dem Ergebnis kommt, dass die deutsche Politik in ihrer aktuellen Organisationsform der Digitalisierung nicht gewachsen ist. 86 Prozent der befragten Experten sehen einen Restrukturierungsbedarf und schlagen die Einrichtung eines Bundesministeriums für Digitalisierung und Medien vor. Wörtlich heißt es: "Solch ein Ministerium sollte sich keinesfalls als hierarchische Behörde organisieren, sondern wie ein Scrum-Regelwerk bei IT-Unternehmen arbeiten. Schlank besetzt und vernetzte Schnellboote erarbeiten Teillösungen der digitalpolitischen Agenda iterativ und direkt bei den Ressorts." Als Zeithorizont für einen Umbau politischer Gestaltungsformen in diesem Bereich peilen die Experten einen Zeithorizont von maximal fünf Jahren an.

Franz-Josef Pschierer will die neue Zukunftsstudie zum Anlass nehmen, auch die Digitalstrategie Bayerns noch einmal auf den Prüfstand zu stellen.
Franz-Josef Pschierer will die neue Zukunftsstudie zum Anlass nehmen, auch die Digitalstrategie Bayerns noch einmal auf den Prüfstand zu stellen.
Foto: Joachim Wendler

Franz-Josef Pschierer, Staatssekretär im Bayerischen Wirtschaftsministerium und Mitglied des Münchner Kreises, versprach im Rahmen der Studienvorstellung bereits, sich den angebrachten Ideen nicht verschließen zu wollen und die Ergebnisse zumindest in den landespolitischen Diskurs einfließen zu lassen.

Mangelnde Datensouveränität?

Fast zwei Drittel der befragten Experten bestätigen die These, dass die Vorbehalte der deutschen Nutzer dem Datenmissbrauch gegenüber zugunsten den Vorteilen der Nutzung digitaler Dienste in den Hintergrund treten. Heißt: Wenn ein Service einfach zu bedienen ist und das tut, was er soll, ist der Datenschutz in der persönlichen Wahrnehmung nicht mehr ganz so wichtig. Eine Einstellung, die sich nach Meinung der meisten Experten in Zukunft auch kaum verändern werden wird.

Um digitale, häufig datengetriebene Geschäftsmodelle auch in Deutschland erfolgreiche entwickeln zu können, muss die Souveränität im Umgang mit (persönlichen) Daten gestärkt werden - insbesondere ist die Frage zu klären, wer unter welchen Voraussetzungen Zugangsrechte zu gesammelten Daten besitzt. Die Aussichten dafür sind aber gar nicht einmal so schlecht: "Die Wirtschaft in Deutschland hat gute Voraussetzungen, um bei skalierbaren datengetriebenen Geschäftsmodellen eine international führende Position einzunehmen", schreiben die Autoren der Studie. Als Handlungsempfehlung gibt der Münchner Kreis aus, das Thema Datensouveränität innerhalb der kommenden fünf Jahre als Schlüssel zur digitalen Ökonomie zu begreifen. Darüber hinaus gelte es, neue Kompetenzen aufzubauen, was die Gestaltung eines regulatorischen Rahmens für das Thema Daten angeht. Das betreffe sowohl die Technik dahinter, die Analyse der Daten als auch ihre Vermarktbarkeit.