Herausforderung Internet

Deutsche Verlage sind beim Online-Geschäft optimistisch

02.05.1997

Bedingung für ein erfolgreiches Engagement in beiden Bereichen ist sicher, daß der Inhalt von Publikationen die spezifischen Möglichkeiten des jeweiligen Kommunikationsmittels ausnutzt. Bis sie zu ihrer eigenen Identität finden, imitieren neue Medien stets die etablierten. Im Kino ("Lichtspieltheater") verweist beispielsweise das Öffnen des Vorhangs zu Beginn eines Films auf die historische Verbindung mit dem Theater.

Mittlerweile hat sich das Web als eigenständiges Medium so weit etabliert, daß die unveränderte Übernahme von Printprodukten in die elektronische Veröffentlichung kaum noch Aussichten auf Erfolg hat. Gefordert ist in jedem Fall ein Zusatznutzen, der sich durch zwei Hauptmerkmale des Web erzielen läßt: Aktualität und Interaktivität. Bei Inhalten, wo diese Eigenschaften gefordert sind, ergibt sich die stärkste Konkurrenz zu Printmedien. Während kaum jemand einen Roman vom Bildschirm ablesen will, werden sich bei der Recherche nach aktuellen Informationen Online-Publikationen durchsetzen. Bei letzterer glänzt das elektronische Medium zusätzlich durch die Möglichkeit der Volltextsuche und durch Hyperlinks auf verwandte Themen.

Der im Web geforderte Zusatznutzen kann durch Erweiterung des bloßen Informationsangebotes mit Multimedia-Daten entstehen. So gewinnen beispielsweise Reiseinformationen durch Bilder über das Reiseland und Hotels oder auch durch die Möglichkeit, Wetterprognosen abrufen zu können. Der interaktive Charakter des Web erlaubt es zudem, gleich Online-Buchungen anzubieten.

Es liegt auf der Hand, daß das Internet Verlage abhängig von der Ausrichtung ihrer Publikationen in unterschiedlicher Weise herausfordert. Denkbar sind drei Szenarien.

Der schlimmste Fall tritt für Verleger dann ein, wenn die eigenen Online-Aktivitäten dem Verkauf der Printmedien schaden (der berüchtigte "Kannibalisierungs-Effekt").

Befürchtungen in diese Richtung wären gerade bei Zeitschriftenverlagen plausibel, die vor allem vom Aktualitätswert ihrer Informationen leben. Andererseits könnte die eigene Web-Site aber auch den Umsatz mit Printmedien ankurbeln, weil sie neue Leserschichten erreicht, ohne inhaltlich zuviel preiszugeben. Diese Konstellation ist am wahrscheinlichsten bei Fachverlagen. Der dritte Fall bestünde darin, daß zwischen Print- und Online-Medien keinerlei Überschneidungen vorliegen und entsprechend auch in puncto Absatz keine Wechselwirkungen bestehen.

Daß die einzelnen Sparten im Verlagsgeschäft jedoch nicht ohne weiteres einem dieser Szenarien zuzuordnen sind, belegt eine Studie des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO). Die in Stuttgart ansässige Einrichtung befragte 500 deutsche Verlage über ihre Einstellung zum elektronischen Publizieren. Dabei ergab sich, daß quer durch die Branche die optimistische Annahme verbreitet ist, Online-Aktivitäten würden dem Verkauf des herkömmlichen Angebots zugute kommen. Am stärksten ausgeprägt war diese Zuversicht bei Lehrmittelverlagen, wo alle Befragten fest oder zumindest teilweise an eine Förderung des Umsatzes mit Printprodukten durch ein elektronisches Angebot glauben. Stärker überrascht die Zuversicht der Zeitschriftenverlage, von denen auch noch über 50 Prozent glauben, den Verkauf ihrer gedruckten Produkte durch elektronische Angebote stimulieren zu können. Bei den Fachverlagen dominiert zwar ebenfalls der Optimismus, aber gleichzeitig findet sich ausgerechnet dort die größte Gruppe der Skeptiker.

Unabhängig davon, wie sich Online-Aktivitäten auf das herkömmliche Geschäft auswirken, stellt sich für Verlage natürlich die Frage, wie sich über die eigene Web-Site direkt Umsätze erzielen lassen. Zwei Faktoren behindern derzeit noch den Verkauf von Verlagsprodukten: Der eine ist psychologischer Natur und hat mit der unter Internet-Nutzern fehlenden Bereitschaft zu tun, für Informationen zu bezahlen. Unüberwindlicher ist im Moment allerdings noch die technische Barriere: Es existiert noch kein allgemein akzeptiertes Verfahren für sogenannte Mikrozahlungen. Gemeint sind damit Beträge bis zu einer Summe von 9,99 Mark. Digital bietet inzwischen als einer der ersten Hersteller mit "Millicent" eine solche Technologie an. Derartig kleine Beträge würden im elektronischen Verlagsgeschäft häufig anfallen, da für den Zugang zu ein paar Seiten Text nicht mehr zu verlangen wäre; kaum ein Kunde würde aber bei solchen Summen seine Kreditkartennummer weitergeben oder eine Banküberweisung tätigen wollen.

Derzeit beschränken sich daher die Einnahmequellen der meisten Verlage im Web auf Werbung und Online-Marketing. Diverse Prognosen gehen davon aus, daß die technischen Hürden für den Verkauf von Informationen im Internet in absehbarer Zeit fallen werden. Eine Studie der Europäischen Kommission stellt in Aussicht, daß der Marktanteil von elektronischen Publikationen am gesamten Verlagswesen im Jahr 2002 bei fünf bis 15 Prozent liegen wird. Nach einer Prognose von Diebold soll 1998 der Umsatz aus elektronischen Publikationen bei einem Gesamtumsatz der Branche von 140 Milliarden Mark bereits bei zwei Milliarden Mark liegen.

Verbunden mit dem Medienwechsel sehen die Verfasser der IAO-Studie eine grundsätzliche Transformation des Verlagsgeschäfts. In Zukunft müssen sich Verleger weniger als Anbieter von Produkten, sondern stärker als Dienstleister verstehen. Zu ihren Aufgaben gehört zunehmend die Tätigkeit als "Content-Broker", die Informationen abhängig von den individuellen Bedürfnissen der Kunden filtern und aufbereiten müssen.