Funktioniert das Modell von Marktführer Amazon.com?

Deutsche Online-Bookshops schreiben Verlustkapitel

03.12.1999
von Andrea Goder MÜNCHEN - Das Internet scheint prädestiniert für den Verkauf von Büchern, doch profitabel wirtschaftet noch keiner der Anbieter. Vor allem hohe Marketing-Aufwendungen reißen tiefe Löcher in die Kassen der Shopbetreiber. Branchenprimus Amazon.com hat deshalb die Flucht nach vorn angetreten und baut seine Aktivitäten zum "weltweit größten Online-Shopping-Imperium" aus. Die Wettbewerber in Deutschland folgen dem US-Pionier bisher nicht.

Amazon-Gründer und -CEO Jeffrey Bezos gilt trotz der Tatsache, daß bisher die Verluste seines Unternehmens ebenso kräftig steigen wie die Umsätze, nach wie vor als einer der Stars im E-Business. Die Amerikaner haben im Online-Buchverkauf Maßstäbe gesetzt, was bislang auch von der Wallstreet honoriert wurde. Eine Börsenkapitalisierung von zeitweilig mehr als 30 Milliarden Dollar spricht Bände.

Auch in den deutschen Internet-Buchhandel ist spätestens seit dem Sommer dieses Jahres Bewegung gekommen. "Wir werden in Deutschland besser sein als Amazon.com", tönte Buecher.de-Vorstandschef Richard von Rheinbaben im Juli beim Börsengang seiner Company. Schon in diesem Jahr kalkuliert der laut Firmenslogan "erste reine E-Commerce-Wert am Neuen Markt" mit rund zwölf Millionen Mark Umsatz. Ehrgeizige Pläne verfolgt zudem Konkurrent Buch.de, der mit dem Going Public Anfang November nachzog. "Unser Ziel ist es, mittelfristig zu den ersten Drei in Deutschland zu gehören", erklärt Vorstandsvorsitzender Karsten Tiemann. Er sieht sein Unternehmen mit für das laufende Geschäftsjahr prognostizierten Einnahmen in Höhe von 4,5 Millionen Mark als Nummer vier in Deutschland, will aber mit den zugeflossenen Mitteln aus dem Börsengang das Trio an der Spitze sprengen.

Die Aufholjagd dürfte sich allerdings schwierig gestalten. Denn auch hierzulande sieht sich Amazon.de - ohne allerdings genaue Zahlen zu nennen - als Marktführer. Der hiesige Ableger des US-Konzerns ist nach den Worten von Geschäftsführer Uwe Clausen bezogen auf den Umsatz größer als alle übrigen Mitbewerber zusammen. Rang zwei reklamiert der Bertelsmann-Buchshop BOL.de mit erwarteten 18 Millionen Mark Umsatz für 1999.

Laut Statistik des in Frankfurt ansässigen Börsenvereins des Deutschen Buchhandels wurden im vergangenen Jahr zwischen Flensburg und Berchtesgaden Bücher im Wert von 17,8 Milliarden Mark verkauft. Davon gingen allerdings nur gedruckte Erzeugnisse für etwa 60 Millionen Mark über die virtuelle Ladentheke. Für 1999 rechnet der Börsenverein immerhin mit einer Verdoppelung des Online-Geschäfts auf ein Volumen von 120 Millionen Mark.

Marktforscher bleiben weiter optimistisch

Noch also sind Bücher hierzulande nicht der vielerorts gepriesene Verkaufsschlager im Internet. Doch die Prognosen bleiben optimistisch. Laut einer Studie des Marktforschungsunternehmens Profnet soll der Online-Anteil beim Buchgeschäft in den nächsten zwei bis drei Jahren auf zehn Prozent steigen. Analysten der Boston Consulting Group gehen für das Jahr 2005 weltweit von 14 Prozent Marktanteil aus. Konkrete Zahlen für Deutschland liefert der Frankfurter Börsenverein, der den Internet-Buchverkauf im Jahr 2004 auf ein Volumen von 1,2 Milliarden Mark taxiert.

Vorhersagen, die fürs erste verheißungsvoll klingen. Doch die Bemühungen, die Online-Kundschaft zu ködern, haben ihren Preis. Vor allem hohe Marketingkosten trieben, neben dem Auf- und Ausbau anderer Geschäftsfelder, die Verluste von Amazon.com von Quartal zu Quartal auf neue Rekordmarken. Auch die deutschen Newcomer müssen für ihre Vertriebs- und Marketing-Aktivitäten tief in die Tasche greifen. "Wichtiger als Gewinne zu erzielen, ist es in unserem Geschäft zunächst, einen Markennamen zu etablieren", unterstreicht Buecher.de-Chef von Rheinbaben die vom Marktführer quasi vorgegebene Regel. Ein finanzieller Kraftakt, der die Bilanzen der deutschen Online-Winzlinge auch in den nächsten Jahren tiefrot färben dürfte. Allein vier Millionen Mark will von Rheinbaben im vierten Quartal 1999 in Werbung stecken und so das Weihnachtsgeschäft ankurbeln. Für das Gesamtjahr genehmigten sich die Münchner ein Marketing-Budget in Höhe von zwölf Millionen Mark, was nahezu dem erwarteten Umsatz entspricht. Kaum anders sieht es bei Buch.de aus: 40 Prozent des Emissionserlöses will Firmenchef Tiemann in den nächsten drei Jahren allein für die Werbung aufwenden. Im Jahr 2002 soll dann bei prognostizierten 70 Millionen Mark Umsatz der Break-even erreicht werden.

Ob das Kapital der Anleger für Werbekampagnen in zweistelliger Millionenhöhe auf Dauer ein gewinnbringendes Investment ist, bezweifeln aber immer mehr Branchenkenner. "Das Buchgeschäft im Internet wird nicht so margenstark und profitabel sein, wie sich das viele erhoffen", befürchtet Volker Kuhnwaldt, Fonds-Manager bei der Hamburger Nordinvest. Von den am Neuen Markt gelisteten Online-Bookstores läßt der Anlagespezialist jedenfalls die Finger. "Insgesamt sind die deutschen Anbieter eineinhalb Jahre zu spät", glaubt er. Die Kursentwicklungen von Buecher.de und buch.de verliefen denn auch bisher enttäuschend. Beide Papiere dümpeln derzeit nur knapp über beziehungsweise sogar unter dem Emissionspreis.

Zweifel, ob sich mit dem Verkauf von Büchern über das Internet Geld verdienen läßt, scheinen inzwischen auch Jeffrey Bezos gekommen zu sein. Der Amazon-Gründer kündigte vor kurzem an, das Online-Buchgeschäft aufgrund zu geringer Margen zu reduzieren. Wie Analysten der US-Unternehmensberatung Icegroup unlängst berechneten, beläuft sich der Verlust für Amazon.com pro Buchbestellung auf 7,15 Dollar. "Nur mehr 50 Prozent oder weniger" sollen Bücher ab dem nächsten Quartal zum Umsatz beisteuern, erklärte Bezos. Jetzt will der 35jährige Cyberspace-Pionier seinen Internet-Buchladen, der eigenen Angaben zufolge 13 Millionen Mitglieder zählt, zu einem Gemischtwarenladen ausbauen - in dem Bücher, Musik-CDs, Geschenkartikel, Heimwerkergeräte, Computerspiele oder Kosmetikprodukte zu finden sind.

Sind es (nur) die hohen Marketing- und Logistik-Kosten, die dem Online-Buchhandel nicht zu schwarzen Zahlen verhelfen? Oder was steckt sonst noch dahinter? Die deutschen Online-Pioniere folgen dem neuen Amazon-Kurs jedenfalls vorerst nicht. Was dann im Zweifel dazu führen wird, daß sie sich sehr schnell diese Fragen beantworten müssen. Buecher.de und Konsorten wollen nur Produkte wie CD-ROMs, Videos oder DVDs ins virtuelle Regal stellen. Man verstehe sich "nicht länger als Buch-, sondern als Mediashop im Internet", verkündeten unlängst die BOL-Marketiers fast verschämt. Für sie geht es im Moment mehr darum, international Pfründe zu sichern. So betreibt der Bertelsmann-Sproß seit diesem Jahr Filialen in Frankreich, Großbritannien, der Niederlande und der Schweiz. Außerdem ist die Muttergesellschaft mit 50 Prozent am US-Anbieter Barnesandnoble.com beteiligt. Buecher.de kam in der Schweiz mit dem Kauf von Buch.ch bereits zum Zuge.

Umgekehrt blickt auch die europäische Konkurrenz schon auf den deutschen Markt. So will die österreichische Libro AG mit dem Gang an die Wiener Börse Kapital für die geplante Expansion sammeln und das Tochterunternehmen Lion.cc (Libro online) zu einem führenden Internet-Buchhändler in Europa aufbauen. Der österreichische Marktführer kämpft deshalb bereits seit längerem für die Aufhebung der Buchpreisbindung in der Alpenrepublik. Fällt diese auch in Deutschland, dürfte der Wettbewerb an Härte gewinnen - Dumping-Preise lassen grüssen! Ein heißes Thema sowohl für Online-Anbieter als auch für traditionelle Buchhändler.

Hugendubel, mit 300 Millionen Mark Umsatz im vergangenen Jahr die Nummer eins unter den klassischen Buchhändlern plant erst im zweiten Halbjahr 2000 einen Web-Auftritt. Die Zurückhaltung der Münchner hat ihren Grund: "Durch Online-Aktivitäten wollen wir uns nicht im stationären Geschäft schaden", stellt Torsten Brunn, Projektleiter E-Commerce, klar. Das zukünftige Internet-Spielbein sei allenfalls als zusätzliches Service-Angebot gedacht.

So wie Hugendubel sorgen sich derzeit die wenigsten deutschen Buchhändler wegen der neuen Konkurrenz aus dem Netz. Branchenbeobachter gehen jedoch davon aus, daß durch die Internet-Anbieter der Verdrängungswettbewerb im stark fragmentierten deutschen Buchmarkt eher zunehmen dürfte. Gegenwärtig bieten erst 1200 von insgesamt über 5000 Buchhändlern den neuen Wettbewerbern im Web Paroli.

Börsenverein leistet Online-Unterstützung

Online-Unterstützung leistet dabei der Frankfurter Börsenverein, der bereits 1997 mit einem Internet-Gemeinschaftsauftritt (www.buchhandel.de) in die Offensive ging. Über 600 deutsche Buchhandlungen haben sich bis heute dem Angebot angeschlossen. Kunden können auf diese Weise den gewünschten Lesestoff bei ihrem regionalen Buchhändler ordern - sofern dieser mit dem Börsenverein kooperiert. Ein auf den ersten Blick erfolgreiches Konzept. Laut Eugen Emmerling, Sprecher des Börsenvereins, wird das 830000 Titel umfassende Angebot monatlich von vier Millionen Besuchern genutzt. Für 1999 soll sich der Umsatz bereits auf 30 Millionen Mark belaufen. Von einem Durchbruch im Online-Geschäft kann aber auch hier nicht die Rede sein. Der Web-Auftritt bringe, so Emmerling, den Mitgliedern allenfalls Zusatzeinnahmen.

*Andrea Goder ist freie Journalistin in München.