Prozeßrechner erobern neue Anwendungen:

Deutsche Fabrikate dominieren den Markt

30.09.1977

Noch immer wird das Wort "Prozeßrechner" mit der Steuerung verfahrenstechnischer Prozesse gleichgesetzt, obwohl sie nicht mehr allein Fertigungsabläufe, Hochregallager oder Kraftwerke, sondern ebenso Aufgaben in Buchhaltung, Kostenrechnung, Lagerhaltung oder Vertrieb optimieren. Eine Analyse des Einsatzes von Prozeßrechnern, zu denen ihrer technischen Struktur nach auch Minicomputer gehören, zeigt, daß die Ausbreitung in kommerzielle Anwendungsbereiche eindeutig zu Lasten technisch-wissenschaftlicher Applikationen geht (Tabelle 1).

Während die reinen Prozeßsteuerungs-Anwendungen noch um rund zehn Prozent zunahmen, gingen sie im technisch-wissenschaftlichen Bereich um rund dreißig Prozent zurück.

Der Bereich Datentechnik schließlich erreichte mit rund 2000 Installationen einen Anteil von gut 17 Prozent.

Prozeßrechner oder kommerzieller Rechner?

Anfang der siebziger Jahre teilte sich vom großen Prozeßrechner-Markt der auf kommerzielle Applikationen ausgerichtete "Minicomputer" ab Gleichzeitig setzte mit dem Mini-Boom eine lebhafte Debatte über den Standort dieser Rechner ein. Die anwendungs-relevante Situation macht eine Verwandtschaft zum MDT-Computer deutlich, wenngleich die technologische Vergangenheit im Prozeßrechner-Bereich liegt. Eine akzeptable Bezeichnung für alle im kommerziellen Bereich installierten Kleinrechner - einschließlich der MDT - scheint der Begriff "Small Business Systems" zu sein, der sich auch hierzulande mehr und mehr durchsetzt. Gleichwohl ist zu bedenken, daß "Minis" sich auch für den gesamten Prozeßsteuerungs-Bereich eignen.

Der Prozeßrechner-Markt

In der Bundesrepublik sind Prozeßrechner von mehr als vierzig Herstellern installiert, obwohl heute nur noch 28 ihre Systeme vermarkten. Seit 1972 zogen sich 13 Anbieter vom bundesdeutschen Markt zurück: Einige - zum Beispiel BBC und MBB - haben die eigene Rechnerproduktion eingestellt und bieten heute Systeme an, die mit Zentraleinheiten anderer Hersteller ausgerüstet sind. Nur ein deutsches Systemhaus (Krupp Atlas Elektronik) ging den umgekehrten Weg und vertreibt seit 1973 Rechner eigener Fertigung.

Obwohl um den Gesamtkuchen 128 Hersteller streiten, vereinigen die drei Marktführer (Siemens mit rund 35 Prozent, AEG-Telefunken mit etwa 20 und Digital Equipment mit 12 Prozent) zwei Drittel des Gesamtmarktes auf sich.

Neben dem wertmäßigen Marktanteil gibt die Zahl der installierten Rechner darüber Auskunft, welcher Hersteller Prioritäten in bestimmten Größenklassen hat. So entfielen beispielsweise 27 Prozent der rund 10 000 bis Mitte 1975 ausgelieferten Prozeßrechner auf Digital Equipment, zwölf Prozent auf Siemens und ebenfalls zwölf Prozent auf den bundesdeutschen Newcomer Dietz. Diese drei Hersteller haben über die Hälfte aller Prozeßrechner installiert, während von den übrigen Herstellern nur Hewlett Packard und Honeywell mit über fünf Prozent zur Gesamtzahl beitrugen.

Bis Anfang 1976 erhöhte sich die Zahl der installierten Prozeßrechner in der Bundesrepublik auf 11 600. Davon - siehe auch Tabelle 2 - wurden 5452 in der Industrie, 2668 in Forschungs- und Ausbildungsstätten, 1972 in Verkehrs- und Dienstleistungsbetrieben, 928 in der öffentlichen Verwaltung und 580 in übrigen Branchen installiert. Während der Anteil der in der Industrie installierten Prozeßrechner von 1972 bis 1976 von 40 auf 47 Prozent anstieg, ging er in Forschungs- und Ausbildungsstätten im gleichen Zeitraum von 36 auf 23 Prozent zurück. In anderen Branchen hielt sich der Anteil in etwa konstant.

Bis zur Jahresmitte 1M6 wuchs die Gesamtzahl der Installationen auf knapp 13 000 Systeme an und hat damit die Zahl der installierten kommerziellen Große-EDV in etwa erreicht. Im Laufe des Jahres 1977 dürfte die Gesamtzahl um weitere 3000 Installationen anwachsen. Der mittlere Wert der Systeme liegt bei rund 300 000 Mark (Hardware-) und etwa 250 000 Mark (Systemplanungskosten). Da nur ein Teil der Hersteller neben der Hardware auch schlüsselfertige Systeme anbietet, haben im technischen Bereich angesiedelte Systemhäuser über Auftragssorgen nicht zu klagen.

Die kommerzielle Alternative

Die teilweise sehr detailliert vorliegenden Zahlen des Prozeßrechner-Marktes können durch vergleichbare Minicomputer-Zahlen nicht ergänzt werden Zwar liegen - beispielsweise durch Erhebungen der Diebold Deutschland oder der International Data Corporation (IDC) - auch für den Minicomputer-Markt Installationszahlen vor, aber nicht differenziert nach kommerzieller, technisch-wissenschaftlichen usw. Anwendungsbereichen. Die Gesamtzahl der installierten Minis eines Herstellers gibt noch keinen Aufschluß darüber, wie stark er im kommerziellen Geschäft vertreten ist. Über alle Installationen hinweg führt Digital Equipment den (Welt-)Markt mit 38 Prozent Umsatzanteil vor Hewlett Packard (16,3 Prozent) und Data General (9,6 Prozent) all. Stückzahlmäßig führt ebenfalls Digital Equipment (30 Prozent) vor Data General (10,7 Prozent) und Hewlett Packard (8,6 Prozent).

Es kann mit einiger Sicherheit angenommen werden, daß die Marktanteile im kommerziellen Minicomputergeschäft in der Bundesrepublik eine andere Reihenfolge aufweisen. Hier dürften beispielsweise Firmen wie Dietz und David Datentechnik eine größere Rolle spielen, zumal Hersteller wie Hewlett Packard und Digital Equipment gerade die ersten "kommerziellen Gehversuche" unternehmen. Gleichwohl hat Digital Equipment nach eigenen Angaben bereits etwa 150 kommerzielle Systeme installiert.

* Walter Lönneker ist freier EDV-Fachjournalist