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Deutsche Bank streitet um IT-Outsourcing

04.06.2002
Deutsche-Bank-COO Lamberti will große Teile der IT-Infrastruktur auslagern. Arbeitsnehmervertreter warnen vor nicht kalkulierbaren Risiken für Bankbetrieb und Belegschaft.

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Hermann-Josef Lamberti, Chief Operating Officer (COO) der Deutschen Bank, steht unter Druck. Um die rapide steigenden Verwaltungskosten in den Griff zu bekommen, will er große Teile der IT-Infrastruktur auslagern. Arbeitnehmervertreter wehren sich gegen die Outsourcing-Pläne. Sie verweisen auf nicht kalkulierbare Risiken für den Bankbetrieb und die Belegschaft.

Sparen statt Expandieren heißt die Devise bei Europas größtem Geldinstitut. Bis Ende 2003 will das Management die Kosten um rund zwei Milliarden Euro senken, etwa 9500 Mitarbeiter werden ihren Job verlieren. Die IT-Sparte bleibt davon nicht unberührt, denn die Banker setzen den Hebel vor allem an den rapide gestiegenen Verwaltungskosten an. Rund 14 Prozent der administrativen Aufwendungen entfallen auf den Bereich IT und Operations.

Bankrott in drei Tagen

Lamberti will nahezu die gesamte IT-Infrastruktur in Kontinentaleuropa auslagern. Für den Betrieb der dafür vorgesehenen Rechenzentren in der Nähe von Frankfurt am Main soll ein Outsourcing-Dienstleister verantwortlich zeichnen. "Wir rechnen mit einem dreistelligen Millionenbetrag, der sich pro Jahr einsparen lässt", so Lamberti.

Betroffen sind etwa 1000 IT-Mitarbeiter, davon 750 in Deutschland. Die wehren sich gegen das unter dem Namen "Summer" gehandelte Großprojekt. "Wir lehnen ein IT-Outsourcing ab, weil es unkalkulierbare Risiken für die Bank und die Belegschaft mit sich bringen würde", erklärt Peter Müller, Betriebsratsvorsitzender für den Standort Eschborn. In einer von der Arbeitnehmervertretung organisierten Unterschriftenaktion hätten sich 600 von 750 Kollegen gegen einen Betriebsübergang an einen externen Dienstleister ausgesprochen.

Müller verweist unter anderem auf mögliche technische Probleme: Untersuchungen hätten ergeben, dass die Deutsche Bank bei einem Totalausfall der IT innerhalb von drei Tagen bankrott wäre. In der Vergangenheit sei es immer wieder zu Ausfällen gekommen, die durch eine enge Zusammenarbeit relativ rasch behoben werden konnten. "Mit einem externen Dienstleister wird ein derartiges Notfall-Management erschwert, der Durchgriff auf kritische Funktionen könnte nur noch über Umwege und damit zeitverzögert geschehen."

Im Zuge einer IT-Auslagerung würde die Bank die Kontrolle über die Prozesssteuerung und Prozesslogik an den Outsourcer abgeben, ergänzt Wolfgang Hermann von der Dienstleistungsgewerkschaft verdi. Lamberti wehrt sich gegen diesen Einwand: "Die Deutsche Bank übernimmt wie bisher die Produktentwicklung, Prozesskontrolle und die Steuerung der Anwendungen." Den teilweise in den Medien erhobenen Vorwurf, die Deutsche Bank würde im Rahmen eines Outsourcings Kundendaten nach außen geben, bezeichnet er als falsches Verständnis der Sachlage. IT-Infrastruktur lasse sich heute hochverfügbar und mit großen Skaleneffekten betreiben. Dabei könne ein spezialisierter Dienstleister die Infrastruktur übernehmen, während die Verwaltung der Applikationen und Datenbestände in der Verantwortung der Bank verbleibe.

Befreiungsschlag im Kostenstreit

Was der geplante Outsourcing-Deal für die Mitarbeiter bedeutet, sei noch weitgehend offen, erläutert Müller. Zu befürchten sei jedoch eine Verschlechterung ihrer finanziellen und sozialen Situation. Zwar würden im Falle eines Betriebsübergangs die Bestimmungen zur Besitzstandswahrung nach §613 BGB greifen. Doch die gesetzlichen Regelungen ließen eine Reihe von Ausnahmen zu, die sich nachteilig für die Arbeitnehmer auswirken könnten. Nach seinen Informationen konzentriert beispielsweise IBM, einer der heißen Kandidaten für den Outsourcing-Auftrag, derzeit seine Rechenzentren in Ungarn. Auf lange Sicht könnte daraus eine Bedrohung für den RZ-Standort Frankfurt erwachsen.

Selbst wenn der Betriebsübergang reibungslos verlaufe und alle 750 Kollegen übernommen würden, bleibe ein Risiko: IBM entlasse derzeit selbst; Mitarbeiter würden massiv gedrängt, das Unternehmen zu verlassen. Ähnlich stelle sich die Situation beim Konkurrenten EDS dar. "Wir haben bisher keinerlei Aussagen darüber getroffen, ob Arbeitsplätze verloren gehen", sagt Lamberti dazu. "Wenn im Raum Frankfurt ein riesiges Kompetenzzentrum für den Betrieb von Bankanwendungen entsteht, bieten sich für die Mitarbeiter im Gegenteil große Chancen."

Trotz der weit reichenden Pläne sieht der COO keine Auswirkungen auf die IT-strategische Ausrichtung der Deutschen Bank. Die Auslagerung beziehe sich ausschließlich auf die Infrastruktur; Kernprojekte würden unverändert weiterverfolgt. Ganz oben auf der Prioritätenliste stehe die prozessorientierte Integration der Bank über verschiedene Geschäftsbereiche, "Prozesse also, die vom Kunden ausgehen und sich quer durch die Bank ziehen".

Dennoch bleibt die Frage, welcher Stellenwert der IT künftig beigemessen wird. In der Führungsetage scheint es durchaus unterschiedliche Sichtweisen zu geben: Unternehmensinternen Quellen zufolge habe der neue Vorstandssprecher Josef Ackermann erst kürzlich erklärt, IT gehöre nicht zur Kernkompetenz des Konzerns. Ganz anders Lamberti gegenüber der CW: "IT ist eine der Kernkompetenzen der Deutschen Bank. Diese Aussage gilt weiterhin, weil alle unsere Produkte digital sind. Kernkompetenz in der modernen IT-Welt bedeutet aber nicht, dass man alle Computer selbst betreiben muss."

Auf der Hauptversammlung am 22. Mai musste sich Lamberti kritischen Fragen zum geplanten Outsourcing stellen. Bemerkenswert für Gewerkschafter Hermann war dabei die Reaktion des bisherigen Vorstandssprechers und künftigen Aufsichtsratschefs Rolf Breuer. Man nehme die Bedenken der Arbeitnehmer sehr ernst und werde sich damit auseinandersetzen, versprach er den Aktionären. Nach Müllers Einschätzung muss Lamberti "einen Befreiungsschlag landen". Trotz entsprechender Vorgaben sei es ihm bisher nicht gelungen, die IT-Ausgaben zu senken. Mit der IT-Auslagerung könnte er Fixkosten in variable Kosten umwandeln.

Zur Auswahl des Dienstleisters erklärte Lamberti, man befinde sich im Ausschreibungsprozess. Bislang lägen noch keine Angebote vor. Erst nach Eingang sämtlicher Unterlagen beginne die Auswertung. Danach werde man im Rahmen der Due Diligence die Angebote einer genauen Prüfung unterziehen. Wichtig dabei seien neben ökonomischen Kriterien vor allem die Frage der Übernahme von Mitarbeitern sowie Qualitätsgarantien. Eine Entscheidung werde Anfang des vierten Quartals bekanntgegeben.

Unternehmensnahe Quellen betrachten das Angebotsverfahren indes als reine Farce. Offiziell würden zwar fünf potenzielle Anbieter in Betracht gezogen, darunter CSC Ploenzke, Accenture und T-Systems. Die geforderten Leistungen aber könnten eigentlich nur die anderen beiden Bewerber erbringen: IBM und EDS. Die traditionell guten Beziehungen zwischen den Frankfurter Bankern und dem IT-Hersteller sprächen dabei eindeutig für Big Blue. (wh)