Ein neuer Markt für Workstations tut sich auf:

Desktop Publishing braucht Grafikleistung

19.06.1987

Desktop Publishing ist als Schlagwort in aller Munde. Als Problemlösung beginnt es jedoch nur sehr allmählich Gestalt anzunehmen. Dies liegt nicht zuletzt daran, daß die erforderliche Rechenleistung bisher

wohl eher unterschätzt wurde. 32-Bit-Workstations erweisen sich als

die geeigneten Werkzeuge.

Während der Personal Computer schon einen hohen Verbreitungsgrad erreicht hat, waren Workstations bisher eher etwas für Spezialisten in den Konstruktionsabteilungen großer Firmen. Dabei ist das Konzept der Workstations die konsequente Fortsetzung der Forderung nach mehr Computerleistung an den Arbeitsplätzen.

Mit diesem Computertyp ist eine neue Rechner-Generation im Vormarsch, die eine weitere Entwicklungsstufe über Timesharing-Rechner und dedizierte Minicomputer hinaus darstellt. Workstations sind Computer für Anwender, die hohe Rechnerleistung mit schneller Reaktionszeit brauchen: Analytiker, Konstrukteure, Software-Entwickler, Designer, Architekten, Mathematiker, Naturwissenschaftler.

In Zukunft ist für die anspruchsvolle Anwendung im technisch-wissenschaftlichen Bereich und bei der Applikations-Software dem Hardware-Konzept "Workstation, Netzwerk-Topologie und Zugriffsverfahren" der höchste Rang einzuräumen.

Waren die Unix-Rechner der ersten Generation noch vergleichsweise einfache, auf Motorola 68000-CPU basierende Hardwarelösungen, so sind heutige Anlagen durch Multiprozessor-Anwendung, Pufferspeicher (Cache) und sehr schnelle Ein-/ Ausgabe-Funktionen gekennzeichnet.

Workstations können heute als 32-Bit-Rechner eine CPU-Leistung bieten, die mit Superminis vergleichbar ist. Integrierte Grafik-Systeme mit eigenem parallelem Prozessor sorgen im Verbund mit hochauflösenden Bildschirmen, in Schwarzweiß und Farbe für starke Leistung bei der bild- und pixelorientierten Textverarbeitung, wie sie gerade beim elektronischen Publizieren gefordert werden.

Lokale Netzwerke mit hoher Übertragungsrate ermöglichen, in einem netzwerkweitem, virtuellem Betriebssystem effizientes Ressource-Sharing. Netzwerkoffenheit zu Fremdrechnern und DFÜ zu anderen Systemen über vorhandene Anschlüsse erlauben den Datenaustausch.

Pionier der neuen Produktlinie war Digital Equipment, als das Unternehmen mit der MicroVAX eine leistungsstarke Workstation innerhalb der VAX-Familie aufbaute. Doch nur etwa ein Jahr durfte sich DEC mit einer gewissen Ruhe ihres Entwicklungserfolges freuen. Mittlerweile hat Digital Equipment gleich von zwei Seiten ernsthaften Konkurrenzdruck bekommen: aus dem eigenen Lager der Workstationhersteller und durch die hohe Leistung der neuen PC-Generation, die sich auf der Basis des Intel 80386 zur PC-Workstation mausert.

DEC: Pionier bei Workstations

Bei Workstations denkt man vor allem an die Rechner von Sun Microsystems und Apollo Domain. Auf der Systec '86 zeigte SUN Microsystems die neuen Workstations SUN-3/200 und SUN-3/110LC und bietet damit eine untereinander kompatible Workstation-Familie mit einem Leistungsbereich von 1,5 bis 4 Mips (Millionen Instruktionen pro Sekunde) an.

Bei Apollo Domain konnte mit den neuen Turbo-Versionen der Workstations DN570 und DN580 , die Leistung dieser beiden Grafik-Workstations, die erst seit Mai 1986 auf dem Markt sind, nochmals um das 2,2fache gesteigert werden. Das neue Board enthält einen mit 20 MHz getakteten Motorola MC68020, der serienmäßig durch einen MC68881 Gleitkomma-Koprozessor ergänzt wird. Zusätzlich kann die Turbo-Platine mit einem neuen Gleitkomma-Beschleuniger ausgerüstet werden, mit dem eine 6,5fach schnellere Rechenleistung erreicht wird.

IBM reiht sich mit der Workstation 6150 RT-PC in die Reihe der Konkurrenten ein. Der RT Personal Computer (RT PC) soll vor allem in der computergestützten Fertigung und Konstruktion (CAD/CAM) eingesetzt werden. RT steht für "Reduced Instruction Set Computer (RISC) Technology". Hewlett-Packard setzt in der Zukunft ebenfalls voll auf solche RISC-Rechner.

Auch die Intergraph Corporation hält wacker mit im Reigen der Workstationanbieter. Die nächste Generation ihrer Familie grafischer Arbeitsstationen bilden die InterAct 32C und InterPro 32C. Aufbauend auf den Fähigkeiten vorausgegangener Produkte enthält die 32C-Familie einen neuen, leistungsstarken 32-Bit-Mikroprozessor, den Clipper-Prozessor der Fairchild Semiconductor Corporation. Dieser Mikroprozessor, der auf Höchstleistungen in wissenschaftlichen und professionellen Rechenanwendungen in Umgebung des Unix-Betriebssystems ausgelegt ist, arbeitet mit einem Befehlszyklus von 30 Nanosekunden und führt Befehle mit einer Rate von durchschnittlich 5 Mips durch. Mit der Cadmus-Workstation der deutschen PCS, die mittlerweile zum Mannesmann-Konzern gehört, steht weiter Konkurrenz ins Haus.

Speziell dem Thema Workstation und Desktop Publishing hat sich das Systemhaus Cadtronic aus Bergisch Gladbach gewidmet. Mit der Unix-Workstation MG 1 des britischen Herstellers Whitechapel und einer Cadtronic-Eigenentwicklung, ebenfalls auf der Basis von National-Semiconductor-Chips und -Board, hat man gleich zwei Eisen im Feuer. Mit caDoc kann Cadtronic ein elektronisches Printsystem für 32-Bit-Workstations anbieten, die im Gegensatz zu den Personal Computern genügend "Grafikpower" bieten. Eine komplette Lösung einschließlich Laserdrucker ist für den professionellen Einsatz schon für etwa 70 000 Mark zu haben.

Desktop Publishing ist ideal für Handbücher

Eines der Haupteinsatzgebiete für elektronisches Dokumentieren und Publizieren sehen Fachleute im Berech technischer Handbücher. Die rasante Entwicklung vor allem in Elektronik und Computertechnik verkürzen die Lebensdauer der Produkte. Konkurrenzdruck zwingt zur stetigen Weiterentwicklung von Geräten und Verfahren. Dadurch veraltet die zugehörige Dokumentation. Jede Modifikation am Produkt macht das Handbuch zu einem alten Hut.

In der Softwarebranche ist die Situation noch schlimmer. Zum einen ist jedes Programm ohne Dokumentation wertlos, zum anderen ist eine komplexe Software nie fehlerfrei. Das heißt, daß das Produkt Software "lebt". Es unterliegt stetiger Änderung und Weiterentwicklung. Auch hier macht jede Änderung ein neues Handbuch nötig.

Je komplexen die Maschine oder das Programm, desto umfangreicher und anspruchsvoller muß die Dokumentation ausfallen. Ein Anwender ist auf ein gutes, aktuelles und übersichtliches Manual angewiesen, damit die Investitionen in das neue Produkt sich möglichst schnell amortisieren. Für den Hersteller bedeutet ein Handbuch eine hohe Investition. Bei großen Firmen sind ganze Abteilungen damit beschäftigt, Texte zu verfassen, die dazugehörigen Zeichnungen anzufertigen und alles zusammenzustellen.

Gerade mit Hilfe von Grafik-Workstations, Scannern, Laser-Printern, grafischen Tabletts oder Maus können Texte und Bilder erfaßt, aufbereitet, gemischt und ausgegeben werden. Software ersetzt für bestimmte Applikationen das grafische Studio und den Klebeumbruch. Mit einem Wort: Desktop Publishing.

Die Bezeichnung "Desktop-Publishing" wurde von Paul Brainerd geprägt, dem Gründer des amerikanischen Software-Hauses Aldus Inc., bekannt als Hersteller des "Page-Maker". In der Bundesrepublik wurde der Ausdruck übernommen, weil sich bis jetzt keine treffende Übersetzung finden ließ. Zumal der Sinn des Zungenbrechers so vielschichtig ist, daß er immer nur partiell umschrieben werden kann.

So ist es nicht verwunderlich, daß am Anfang der Entwicklung für die neue Druckleistung auf dem Schreibtisch der "Macintosh" des amerikanischen Computerherstellers Apple zusammen mit dem Laserwriter steht. Apple erkannte beim Auftauchen dieser Drucker schnell die Chance, den anfangs gegen die IBM-Konkurrenz nicht gerade leicht verkäuflichen Macintosh doch noch zu einem Renner zu machen. Mit dem Mac II hat Apple praktisch eine echte Low-cost-Workstation geschaffen.

Durch die von Adobe-Systems entwickelte Steuersprache "PostScript" können die Macintosh-Dokumente auch auf Geräten anderer Hersteller ausgegeben werden, die ebenfalls mit PostScript arbeiten - zum Beispiel eine hochauflösende Lichtsatzanlage. Falls die 300-Punkt-Qualität des Laserdruckers für spezielle Zwecke nicht ausreicht, steht es dem Desktop Publisher damit frei, eine detailscharfe Lichtsatzfahne oder einen Satzfilm mit einer Auflösung von zum Beispiel 2580 Linien pro Zoll direkt von seiner Pagemaker-Diskette aus anfertigen zu lassen. Wenn vom Betriebssystem des Apple Macintosh die Rede ist, kommt man an dem amerikanischen Kopiererkonzern Xerox Corp. nicht vorbei. Denn von seinem Betriebssystem "Star" stammt letztlich die pixelorientierte Benutzeroberfläche, die via Wanderprogrammierer 1983 in die Apple-Labors gelangte und heute den Mac so bekannt macht. Siemens erwarb eine Lizenz des "Star" für sein Bürosystem 5800. Xerox gilt heute als Spezialist für das elektronische Publizieren, vor allem mit größeren Printsystemen.

Der Überbegriff zum Desktop Publishing, das "Computer Aided Publishing", kurz CAP genannt, umschreibt sämtliche Vorgänge des industriellen Publizierens mit Hilfe von Computern aller Art, also auch Großcomputern - etwa bei Tageszeitungen - oder den Massensatz mit Datenkonvertierung bei Buchverlagen. Die Hardware dazu kostet häufig mehrere 100 000 Mark, ist also keine Sache für Schreibtischtäter.

Postscript hat sich durchgesetzt

Was bringt die neue Technik? Während bislang ein Autor sein Textmanuskript vorgelegt hat und mit mehreren Korrektursätzen rechnen mußte, bedeutet Desktop-Publishing Publizieren ohne Umwege und ohne Zeitverlust. Die einmal erfaßten Daten werden auf einem Massenspeicher abgelegt und bei Bedarf wieder aufgerufen.

Der Do-it-Yourself-Arbeitsprozeß bringt bei reduziertem Personalaufwand und unter stark verringerten Produktionskosten in kurzer Zeit ein druckreifes Ergebnis. Erste Erfahrungen und unabhängige Berechnungen von Wirtschaftsinstituten belegen, daß Desktop Publishing gegenüber konventionellen Satzmethoden zu Kosteneinsparungen von über 50 Prozent führen kann.

In der Bundesrepublik gibt es rund 8000 konventionelle Druckereien, 1000 Print-Shops und Schnelldruckereien sowie 1500 sogenannte Hausdruckereien. Diese Zahlen verdeutlichen, daß die Druckereien eine Menge Terrain an Spezial-Dienstleister verloren haben. Fortschrittliche Unternehmer fordern den Einstieg in die neue Technik, um verlorengegangenen Boden wieder gut zu machen. Nicht immer entsprach der Qualitätsstandard den Bedürfnissen des Marktes: Bei Kleinauflagen ist der Lichtsatz unrentabel.

Aus den Entwicklungslabors und Konstruktionsbüros sind die Vorzüge dieses Verfahrens schon nicht mehr wegzudenken. Schließlich müssen Ingenieure und Techniker zahlreiche Produktangebote, Zeichnungen und Handbücher erstellen. So stoßen automatisierte Dokumentations-Software-Produkte gerade bei Industriebetrieben auf große Resonanz.

Vor diesem Hintergrund stellte die Context Corporation, ein Tochterunternehmen von Mentor Graphics, eine neue Familie von automatisierten Dokumentationsprodukten für die Bereiche CAD, CAE und das computerunterstützte Software-Engineering Case auf Apollo-Workstations vor. Ein großer Vorteil dieser Systeme: Die automatisierte Dokumentenverwaltung gibt ohne Verzögerung Veränderungen in Dokumenten wieder. Das Merkmal "Grafische Referenzhaltung" in der Software gewährleistet, daß Grafiken im Dokument stets auf dem letzten Stand sind. Es stellt sicher, daß alle Numerierungen, Referenzen, Inhaltsverzeichnisse, Bildverzeichnisse und Indizes richtig sind und nicht mehr manuell überprüft werden müssen. Und das bei Dokumenten, die bis zu 1300 Seiten haben.

Amerikanische Wirtschaftsanalytiker halten die "Dokumentation für die wichtigste Anwendung in der computerunterstützten Fertigung". Studien zeigen, daß die Datendokumentation bis zu 30 Prozent der Zeit braucht, die zum Entwurf eines Produkts benötigt wird, und damit zu einem kostspieligen Flaschenhals im Entwicklungsprozeß geworden ist.