Grundlagenforschung in Ex-DDR liegt darnieder, aber

Der Wissenschaftsrat stellt den Informatikern gutes Zeugnis aus

03.05.1991

BONN (hk) - Die Grundlagenforschung auf dem Gebiet der Informationstechnik war unzureichend in der ehemaligen DDR. Zu diesem Ergebnis kommt eine Untersuchung des Wissenschaftsrates. Immerhin trösten die Autoren die ostdeutschen Informatik-Wissenschaftler, sie seien für eine Tätigkeit in der Wirtschaft gut gerüstet, weil sie anwendungsorientiert geforscht hätten.

Der Wissenschaftsrat hat jetzt eine umfassende Stellungnahme zu den sechs Instituten der Sektion "Mathematik/Informatik" der ehemaligen Akademie der Wissenschaften (AdW) der DDR veröffentlicht. Diese Institute sind in der Mathematik, Informatik, Automatisierung sowie Mechanik tätig und beschäftigen neben 800 wissenschaftlichen auch 500 nichtwissenschaftliche Mitarbeiter.

In ihren Empfehlungen gehen die Bonner Wissenschaftler davon aus, daß 400 wissenschaftliche und 170 nichtwissenschaftliche Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz behalten können. Rainer Eichmann vom Wissenschaftsrat begründet die Notwendigkeit dieser Reduzierung damit, daß "ein Großteil der Akademiebeschäftigten Dienstleistungs- und Entwicklungsaufgaben durchführten, die in den alten Ländern nicht zum Wissenschaftsbetrieb zählten". Es bedeute also nicht, darauf legt der Bonner Gutachter Wert, daß die Mitarbeiter, die gehen müssen, schlechter qualifiziert seien als die Kollegen, die bleiben dürften.

Eichmann ist überzeugt, daß die nicht übernommenen Mitarbeiter gute Chancen am Arbeitsmarkt hätten. Die Begründung liefert die Studie des Wissenschaftsrates: "In Ostdeutschland stand der kurz- und mittelfristige Anwendungsbezug von Forschungs- und Entwicklungsarbeiten im Vordergrund." Eben wegen dieser Praxisausrichtung dürften nach Eichmanns Ansicht keine großen Schwierigkeiten bei der Arbeitsplatzsuche entstehen.

Ein Drittel der Wissenschaftler hat nach Eichmanns Einschätzung an Nachbauten Westlicher Informationssysteme gearbeitet: "Beim großen Nachholbedarf an Informatik war es für die Ostdeutschen wichtig, immer dran zu bleiben." Man habe versucht, den Westen zu kopieren. Dadurch seien allerdings keine ausreichenden Kapazitäten mehr für Grundlagenforschung geblieben.

Der Bonner Bericht merkt dazu an: "Die Versuche, Entwicklungen im westlichen Ausland produktorientiert nachzuvollziehen, haben zu einer diskontinuierlichen Entwicklung von Forschungsrichtungen und zu einer starken Zersplitterung von Arbeitszusammenhängen geführt."

Das heißt: Es wurde kaum übergreifend gearbeitet. Ein Institut hatte zum Beispiel nicht nur zehn Abteilungen, sondern in jeder Abteilung wurden noch zehn Projekte behandelt, so daß es im Prinzip Einzel-Arbeitsplätze waren.

Das hing nach Eichmanns Ansicht damit zusammen, daß immer dann, wenn die politische Ebene in einem bestimmten Technologiebereich ein Defizit feststellte, sofort der Auftrag erteilt wurde, daran zu forschen. In der Bundesrepublik dagegen gebe es eine Konzentration auf bestimmte Technologien. Was man nicht schaffen könne, gleiche man mit Hilfe von Kooperationen aus oder man kaufe die Technologie gleich ein. "Den Ostdeutschen fehlte die Möglichkeit, Basistechnologien zu kaufen, und Kooperationsmöglichkeiten gab es nur mit Osteuropa", analysiert Eichmann.

Die Bonner Wissenschaftler empfehlen, die Grundlagenforschung in den Hochschulbereich einzugliedern, etwa Forschungsarbeiten auf den Gebieten Künstliche Intelligenz, Kognitionspsychologie sowie Mathematik aufzunehmen.

Aufgrund des hohen Anteils an Industriekooperationen und -projekten sollen diese Arbeiten im Rahmen der Fraunhofer-Gesellschaft (FhG) fortgeführt werden.

Konkret schlagen die Bonner Wissenschaftler die Neugründung einer Fraunhofer-Einrichtung in Berlin zur Entwicklung und Anwendung informationstechnischer Systeme und Methoden vor.

Arbeiten zur Rechnerarchitektur und Rechnerkommunikation sollen im Rahmen der Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung (GMD) fortgeführt werden.