"Der wirtschaftliche Vorsprung von X.25 wird Sachzwänge schaffen"

23.11.1979

Mit Peter Knippel, Produktmanager "Datenfernverarbeitung" bei der Nixdorf Computer AG, Paderborn, sprach Dieter Eickbauer

- Herr Knippel, die Paketschnittstelle X.25 ist entwickelt worden, um eine einheitliche Basis für den Aufbau von DÜ-Netzen zu schaffen. Kann ein Hersteller wie Nixdorf an dieser Empfehlung vorbeigehen?

Man muß das Ziel von X.25 meines Erachtens etwas weitergehend sehen als eine neue Netztechnik. Ich würde gerne den Hauptwert auf Vereinheitlichung legen, da wir im Bereich verteilter Datenverarbeitung im Verbund mit Zentralrechnern die in der Vergangenheit ja ohnehin von anderen Herstellern kamen, groß geworden sind. Das ist also eine Entwicklung, die genau in unserem Sinne ist.

- Nun sagt heute fast jeder Hersteller, es könne X.25-Kompatibilität bieten. Wie steht es denn hier bei Nixdorf?

Wir wollen eigentlich mehr als X.25 Kompatibilität bieten, wir wollen X.25 e aktiv vorantreiben, das heißt, wir werden diese Technik einmal im Verbund zu unseren eigenen Systemen untereinander sehr stark forcieren und zum anderen wollen wir auch aktiv an Projekten, die zum Teil im Bereich der öffentlichen Behörden, im Bereich der Bundespost, aber auch in zunehmendem maße im Bereich der freien Industrie liegen, aktiv mitarbeiten und diese Projekte vorantreiben und damit auch den Anwendernutzen dieses Standards nachweisen.

- Wie sind denn Ihre Erfahrungen in bezug auf die Zusammenarbeit der von Ihnen eben genannten Gruppen, funktioniert das?

Man kann heute - wenn überhaupt - nur von Pilotprojekten sprechen, die zum Teil mit großem Pioniergeist vorangetrieben worden sind - was Deutschland betrifft. Man kann darüber hinaus in Europa auf Projekte verweisen, bei denen auch die Postgesellschaft forcierend mitgearbeitet hat. Ich denke da insbesondere an Transpac in Frankreich. Und man kann auf einen Vertriebsbereich oder einen Marktbereich Informationstechnik verweisen, der in den USA in den letzten Jahren sehr stark mit Hilfe der Paketvermittlung aufgebaut worden ist. Die Summe dieser Erfahrungen hat gezeigt: das funktioniert.

- Stichwort: Transpac. Nun gibt es hinaus öffentliche Paketvermittlungsnetze in den USA, in Kanada. Wie kommt es, daß die Bundesrepublik so weit hinterherhinkt?

Dieses Problem hat zwei Seiten, eine philosophische und eine marktwirtschaftliche. Man muß sehen, daß die Bundespost in der Zeit, als die Diskussion der X.25 hochkam, gerade mitten in einer dicken Investition steckte, die sich so leicht nicht mehr stoppen ließ. Und wenn man hier ein bißchen weiterkratzt und fragt, wie kam es denn zu dieser Investition, dann muß man sagen, daß die Bundespost sich vielleicht zu spät auf die richtigen Berater und auf deren Argumente, die für Paketvermittlung gesprochen haben, besonnen hat. Ich sehe also auch etwas Schuld bei den Firmen, die in Deutschland die Nachrichtentenindustrie bestimmen. Sie haben einfach aufgrund ihrer Unternehmensstruktur zu spät erkannt, daß die Nachrichtentechnik und die Datentechnik mehr und mehr zusammenwachsen.

- Es gibt eine Reihe von Großunternehmen, die nicht auf X.25 warten konnten und wollen, die eigene Netze realisiert haben mit herstellerspezifischen Konzepten, beispielsweise SNA von lBM. Könnte nicht von daher ein De-facto-Standard entstehen, der X.25 wieder rausdrängt?

Sie haben recht. Es gibt dieses Problem, besonders in den Ländern, in denen IBM mit SNA sehr stark an den Markt gegangen ist. Ein solches Land ist sicherlich die Bundesrepublik Deutschland Hier kommt es meines Erachtens darauf an, daß die Post den Kurs, den man hier eingeschlagen hat, wieder ein bißchen zurückschraubt und in vernünftige Bahnen lenkt. Das kann die Post, die ja nun auch den Schritt dazu getan hat, Daten wirtschaftlich zu vermitteln, was nun einmal gut mit der Paketvermittlung geht. Es zeigt sich, daß die Gebührenstruktur von Datex-P, dem deutschen Paketvermittlungsnetz, insbesondere in Dialoganwendungen, viel, viel attraktiver ist als die Gebührenstruktur von Datex-L. Das Ergebnis wird sein, daß die Industrie jetzt Lösungen angehen kann, die sie bisher aus Kostengründen nicht angehen konnte. Wenn man sich SNA einmal anschaut, dann ist das zum großen Teil eigentlich nichts anderes als eine durch die Weiterentwicklung der IBM-Produkte bedingte Abbildung von reinen Batch-Übertragungsvorgangen. Ich glaube, in der Dialogverarbeitung wird der wirtschaftliche Vorsprung, der kostenmäßige Vorsprung von X.25, einfach Sachzwänge schaffen - und das war ja unsere große Hoffnung.

- Sehen Sie denn in der Nutzung von Paketvermittlungsdiensten in öffentlichen Netzen eine echte Alternative zum Inhouse-Timesharing?

Man muß hier eines beachten: Rein technisch gesehen, ist X.25 ja nicht ein Konzept, das nun alle Probleme, die es in der Datenverarbeitung und in der Datenfernverarbeitung gibt, mit einem Mal erschlägt. Die sogenannten "höheren Protokolle" sollten nicht vergessen werden. Ich glaube, wenn sich auch für Dialoganwendungen - wie ich das vorhin angedeutet habe - Standards breitmachen, Alternativ-Standards zu den bestehenden Timesharing-Anwendungen, die ja von den großen Herstellern getragen werden, dann kann man das als Möglichkeit sehen.

- Wenn wir jetzt einmal die unteren drei Ebenen der X.25-Empfehlung betrachten, dann wird ja die erste Ebene, die rein physikalische, in der gesonderten Empfehlung "X.21 bis" definiert, wobei "X.21 bis" die V-kompatible Schnittstelle ist. Wird dadurch nicht die X.25-Norm ausgehöhlt, denn jeder kann sagen, ich bin X.25-verträglich, auch wenn er nur V-kompatibel ist - und das sagt ja eigentlich gar nichts?

Das kann nur ein Vertriebsargument sein. Der Anwender wird sich sehr schnell die Vorteile, die X.25 nun einmal bietet - und zwar nicht auf der untersten Ebene, sondern auf den nächsthöheren Ebenen -, bewußt machen. Wir haben heute die Schwierigkeit, daß X.25 nicht mehr als ein Schlagwort ist und außerdem auch noch bei Systemspezialisten der einen oder anderen Couleur in einer rein theoretischen Diskussion steckt Aber sobald sich, forciert durch den neuen Dienst der Bundespost, die ersten X.25-Anwendungen in der Praxis durchgesetzt haben, wird man sehr schnell erkennen, daß eine V-Kompatibilität über X.21 eben nur eine Übergangslösung sein kann, und daß damit ganz konkrete Dienste, die eine X.21-Schnittstelle heute schon auf der alleruntersten Ebene der X.25 bietet, daß diese Dienste eben mit der V-kompatiblen Schnittstelle nicht gegeben sind; denn auch die X.21-Schnittstelle ist ja eine Software-gesteuerte Schnittstelle.

- Sie sprachen von der technischen Zuverlässigkeit. Ich mochte jetzt hier die Datensicherheit mit ins Gespräch bringen. Wird nicht dieser Aspekt bei der ganzen Diskussion vernachlässigt?

Das glaube ich nicht. Es sieht auf den ersten Blick so aus, als hätte eine rein Hardware-orientierte Datensicherheit, beispielsweise eine Datenverschlüsselung oder eine Hardware-oriertierter Daten- oder Speicherschutz, größere Möglichkeiten und könnte über eine Schnittstelle wie X.25 unterhöhlt werden. Wenn man das allerdings näher betrachtet, dann muß man heute feststellen, daß a) der Hardware-orientierte Datenschutz viel zu teuer geworden ist; das Ergebnis davon ist, daß der erst gar nicht eingeführt wird, und daß b) - schauen wir uns den Bankenbereich etwa an und den Versicherungsbereich - der Softwareorientierte Datenschutz durch entsprechende Chips im Rechner ein Schritt in die Zukunft ist.

- Mit Paketvermittlungs-Normen befaßt sich bekanntlich auch "Papa", das vom BMFT geförderte Pilotprojekt des Verbandes Deutscher Rechenzentren VDRZ. Wie beurteilen denn Sie aus Paderborner Sicht dieses Projekt?

Wir beobachten es sehr intensiv - aus mehreren Gründen. Einmal, weil es ein Pilotprojekt ist, zum anderen, weil hier spezialisierte Systeme gebraucht werden, die in unseren Produktbereich hineinfallen. Aber wir beobachten es auch mit einem lachenden und einem weinenden Auge, denn wir stellen fest, daß auf dem Rücken von "Papa" - einfach schon durch die Konstellation der Berater dieses Projektes - die Probleme vorprogrammiert sind. Ein Probleme wird sein, einen Standard zu finden, der die Anforderungen des Netzes erfüllt und zum anderen das Projekt nicht zu lange verhindert. Wir halten den Weg, den "Papa" einschlägt, für etwas problematisch, weil hier der Endanwender ausgeschlossen bleibt.

- Wenn die Hersteller mitmachten, wäre "Papa" durchaus beeinflußbar. Warum haben Sie sich zurückgehalten?

Es ist heute noch gar nicht klar, welche Hersteller mitmachen. Es gibt in Einzelbereichen Ausschreibungen; erst wenn diese Ausschreibungen; abgeschlossen sind, ist klar, wer im einzelnen eigentlich mitmacht.

- Wie sind denn Ihre Erfahrungen draußen beim Anwender? Finden Sie bei den verantwortlichen EDV-Managern die Bereitschaft vor und auch das Wissen, über diese Dinge sachlich zu diskutieren, oder wird hier nicht noch sehr viel mit Schlagworten gearbeitet?

Da gebe ich Ihnen völlig recht, es wird sehr viel mit Schlagworten gearbeitet und es wird, insbesondere durch die technisch-philosophische Diskussion zwischen Spezialisten, nur eine Verunsicherung des Anwenders erreicht. Wir sind der Meinung, daß das Problem X.25 und die eine Seite des Problems, nämlich ; die Kommunikationstechnik, den Anwender gar nicht zu interessieren hat. Der Anwender hat verschiedene Forderungen, wie beispielsweise die Dateien direkt vor Ort zu halten und trotzdem einen Verbund zwischen den Daten, die vor Ort sind, zu ermöglichen und sie dynamisch mit einer zentralen Datenbank zu aktualisieren und abzustimmen. Wir sind also der Meinung, daß dem Anwender über den direkten Nutzen, den X.25 bringt, diese neue Schnittstelle nahegebracht werden muß. Für ihn kann überhaupt nur die Frage sein, inwieweit organisatorische Probleme, die er heute bereits dem Hersteller auf den Tisch legen kann, mit Hilfe der X.25 gelost werden können. Ich will also sagen, daß wir eigentlich den umgekehrten Weg gehen sollten. Wir sollten die Probleme diskutieren und dann dem Anwender zeigen, daß es bestimmte Entwicklungen gibt, für die es natürlich auch Schlagworte und Namen geben muß. Oder wir sollten ihm auch aufzeigen, welche Entwicklung vielleicht über kurz oder lang in eine Sackgasse führen könnte.

- Gibt es denn überhaupt verläßliche Prognosen? Es gibt beispielsweise Hersteller, die sagen, wir halten uns noch zurück, das ist uns postseitig noch nicht ausgegoren. Es gibt Anwender, die sich an IBM orientieren. Wer hat den hier in diesem Markt eigentlich das Sagen?

Es ist, glaube ich, eines in diesem Bereich noch nicht klar geworden, daß wir uns hier nämlich postseitig in einem nicht so restriktiv behandelten Gebiet bewegen, wie man das auf den ersten Blick annehmen konnte. Es muß hier ganz klar das Ziel sein, die Entwicklung der Datenkommunikation und Textkommunikation nicht deshalb verhindern zu lassen, weil sie der Unternehmensstruktur der bisherigen Hauslieferanten der Bundespost nicht entspricht; ich glaube, hier wird die Post immer mehr auch ihren internen Wettbewerb nach draußen geben und wird Restriktionen, wie sie heute im Fernmeldebereich noch existieren, gar nicht auf den anderen Bereich übertragen können, weil es nämlich dafür gar keine gesetzliche Handhabe gibt.

- Was ist denn nun auf diesem Sektor Datenfernverarbeitung Wunsch, was ist Wirklichkeit? Wo stehen wir heute, wenn Sie es einmal in bezug auf die Marktdurchdringung sehen, wie würden Sie die Entwicklung in den nächsten Jahren prognostizieren?

Ich glaube, es gibt einen ganz großen Bereich, der heute noch bewußt als Wunschdenken dargestellt wird, in dem die Wirklichkeit aber schon ein ganzes Stück vorangekommen ist. Das ist insbesondere der Bereich der Daten- und Textkommunikation als Überbegriff der reinen Datenfernverarbeitung. Ich glaube, die Amerikaner sind gerade wieder dabei uns vorzumachen, wie weit wir eigentlich schon sind im Bereich der Informationsverarbeitung; wir müssen auch im Bereich dieser Projekte, von denen ich persönlich mir sehr viel verspreche, die jetzt von der Post und auch vom Bundesministerium Für Forschung und Technologie mit konkreter Zielsetzung auf die Rille gesetzt worden sind, die Chance nutzen, nachzuweisen, daß auch wir in Deutschland Leistungen vollbringen können.