64-Bit-Architektur/Migrationsstrategien für IT-Verantwortliche

Der Weg zur 64-Bit-Architektur ist lang und steinig

22.09.2000
Wer seine IT-Infrastruktur von 32-Bit- auf 64-Bit-Architekturen migrieren will, sollte dies in kleinen Schritten und zunächst nur in ausgewählten Anwendungsfeldern tun. Paul Huppertz* beschreibt einige Hürden bei der Umstellung und gibt Empfehlungen für die richtige Strategie.

Ob Unternehmen heute 64-Bit-Achitekturen benötigen, ist eigentlich keine Frage mehr. Die Systeme stehen ohnehin ins oder schon im Haus. Interessant ist viel eher, was die IT-Abteilungen davon nutzen können und wollen und wie sie die gewaltigen Dimensionen im Griff behalten.

Wer auf die 16 Millionen TB großen Hauptspeicher schaut, die mit 64 Bit theoretisch adressierbar wären, erhält schon einmal einen ersten Dämpfer, denn die größten verfügbaren physischen Speichereinheiten umfassen zur Zeit 256 GB, maximal wohl 512 GB, und für deren Adressierung würden 48 oder 49 Bit reichen; also liegt hier für eine absehbare Zeit noch eine "strukturelle Reserve" von 16 oder 15 Bit. Aber selbst wenn man Speicherbausteine in diesen Größenordnungen schon jetzt fertigen und in ein System implementieren könnte, hätte man noch lange nicht alle verfügbaren Potenziale ausgeschöpft, denn dazu müssten alle Bausteine und Teilsysteme 64-Bit-fähig werden.

Selbst nachdem alle Funktionselemente auf 64 Bit ausgelegt sind - und das wird sich sogar bei dem heutigen Entwicklungs- und Änderungstempo noch über einige Jahre hinziehen -, lässt sich der Flaschenhals bei den Zugriffszeiten auf Permanentspeicher nicht aufheben. Die Speichertechnologien (NAS, SAN etc.) müssen also parallel zur 64-Bit-Technologie bei Server- und Betriebssystemen weiterentwickelt werden, um dieses fundamentale Hindernis aus dem Weg zu räumen.

Ferner sind die Leistungsmerkmale bei den verschiedenen Betriebssystemen sehr unterschiedlich ausgeprägt. Daran wird sich auf dem Weg zu 64-Bit-Systemen nur wenig ändern, sodass man schon ein klares Bild davon benötigt, welche Features für die eigenen Anwendungsbelange unverzichtbar sind, um Fehlentscheidungen zu vermeiden - 64 Bit ist nicht gleich 64 Bit!

Insgesamt sind für den Umstieg auf 64-Bit-Systeme folgende Aspekte wesentlich:

- Bei 32-Bit-Systemen liegt die Grenze des Adressraums bei 4 GB, wobei Betriebssystem und Anwendung nicht selten schon 2 GB verbrauchen; RAM-Kapazitäten bis zu 16 Millionen TB bei 64-Bit-Systemen würden bei großen relationalen Datenbanken, Data Warehouses und ähnlichen Anwendungen die Performance auf jeden Fall um Größenordnungen steigern. Aber dieser Effekt würde durch die relativ langen Zugriffszeiten auf die Permanentspeicher in Teilen wieder ausgebremst.

- Load/Store-Maschinen, wie etwa Risc-Systeme, verarbeiten Daten, die in Registern residieren. Diese Daten müssen für jede Operation zwischen Register und Speicher hin- und herfließen. Wenn die Datenlänge groß genug ist, um 64-Bit-Register effizient nutzen zu können, kann ein 64-Bit-Chip die Daten doppelt so schnell transportieren wie ein 32-Bit-Chip. Die meisten heutigen Datenbusse können mindestens 64 Bit handhaben, und viele transportieren Daten mit 128 oder sogar 256 Bit, sodass hier markante Leistungssteigerungen möglich sind.

- Sobald die Wortlänge der Befehle mehr als 32 Bit umfasst, ist der 64-Bit-Chip theoretisch dazu in der Lage, die Ausführungsgeschwindigkeit der Rechenoperationen zu verdoppeln. Die 64-Bit-Arithmetik erbringt also in erster Linie die Performance-Steigerung in den 64-Bit-Chips, denn diese Operationen gehören zu dem Befehlsvorrat, der nicht von der 64-Bit-Adressierung abhängt.

- Es müssen große Dateisysteme und Dateien unterstützt und für 64-Bit getunt werden; hier ist von Seiten der Hersteller etlicher Programmieraufwand erforderlich, weil die entsprechenden Funktionen und Parameter tief in den Betriebssystemen verankert sind. Zusätzlich müssen alle systemnahen Programme, Tools und Utilities angepasst werden, damit sie die veränderten Elemente und Strukturen auch tatsächlich verwalten können. Der letzte Wermutstropfen: Die Leistungsmerkmale eines puren 64-Bit-Dateisystems können erst nach einer Neukompilierung der Anwendungen genutzt werden.

Die kritischen Leistungsmerkmale sind: Cache-Kapazität, Bandbreite zur CPU, Datenbus- und Hauptspeicherbandbreite sowie Speicherumfang.

Die Auswirkungen auf die Anwendungsentwicklung und -technik bedürfen eines besonderen Augenmerks, denn hier verbirgt sich wohl der größte Umstellungs- und Anpassungsaufwand. Applikationen, die die großen realen Adressräume nutzen sollen, müssen in jedem Fall neu kompiliert, teilweise auch neu geschrieben, eventuell sogar neu entworfen werden, denn es gibt etliche neue Funktionen, insbesondere bei den Caching-Strategien. Andererseits ermöglichen es die 64-Bit-Zeiger, im schnellen Hauptspeicher große Zwischenspeicher einzurichten, dadurch die Anzahl der Plattenzugriffe zu reduzieren und oft spektakuläre Laufzeitverbesserungen zu erreichen.

Wenn vollwertige 64-Bit-Datentypen verwendet werden sollen, ist die Anwendung nicht nur neu zu kompilieren, sondern auch zu portieren, um die Unverträglichkeiten zwischen neuen und alten Datentypen zu beseitigen; das kommt nur aus triftigen Gründen in Betracht und setzt voraus, dass der Quellcode der Anwendung verfügbar ist. Zudem muss dann auch die Entwicklungsumgebung vollständig auf 64 Bit umgestellt werden.

Es ist nur bedingt zweckmäßig, jede Anwendung unverzüglich auf 64 Bit umzustellen, denn ein gut konzipiertes 64-Bit-Betriebssystem kann auch 32-Bit-Anwendungen ohne Leistungsverluste fahren; es ist möglich, die Ressourcennutzung zu optimieren, weil 64-Bit-Systeme und -Anwendungen bereits eingeführt, aber 32-Bit-Applikationen unverändert belassen werden können. Auch wenn alle Prozesse zunächst noch im 32-Bit-Modus laufen und jeder einzelne Prozess nur 4 GB adressieren kann, kann das 64-Bit-Betriebssystem diese Prozesse in dem großen physikalischen Speicher nebeneinander und besser gegeneinander geschützt abbilden und damit höhere Verarbeitungsleistungen erlauben, ohne dass eine Neukompilierung notwendig ist.

Auf 64 Bit umgestellte Anwendungen werden auf jeden Fall einen höheren Ressourcenverbrauch mit sich bringen, insbesondere wenn sie unverändert auf 64 Bit hochkompiliert wurden; die Daten belegen dann unnötigerweise mehr Platz auf der Platte, im Hauptspeicher und im Cache, System- und I/O-Busse müssen mehr Bits pro Zeit transportieren, und Caches erreichen kleinere Trefferraten. Diese Effekte müssen anderweitig kompensiert werden, denn eine Leistungsverschlechterung dürfte bei einer so vielversprechenden Umstellung wohl kaum tolerierbar sein.

Die Einführung der 64-Bit-Technologie erhöht die Komplexität der IT-Systemlandschaft beträchtlich und erfordert bei allen Komponenten und Teilsystemen gesteigerte Stabilität und Robustheit, die erst noch erreicht werden muss. Beispielsweise sind große Datenbestände im Hauptspeicher nicht mehr schnell auf Platten zu swappen, wenn die Übertragung von 8 GB vom RAM über einen SCSI-Bus mit 10 MB/s zur Platte zirka 15 Minuten dauert.

Fazit: 64 Bit vorerst nur für SpezialaufgabenEs wird zurzeit wohl nur wenige zwingende Fälle für den extensiven Einsatz der 64-Bit-Technologie geben. Vorrang haben in absehbarer Zukunft eher Aufgaben wie Anwendungs-, Daten- und Web-Integration, Bewältigung des Datenwachstums, Speicher-management sowie RZ- und Server-Konsolidierung, für die auch 32-Bit-Systeme oft noch genügen. Höchstens bei ausgewählten Aufgaben können 64-Bit-Systeme per se eine größere Rolle spielen.

Der brisanteste Hemmschuh wird der Umstellungsaufwand bei der Anwendungsentwicklung sein; deswegen scheint es ratsam, in den 64-Bit-Umgebungen erstrangig die erweiterten Möglichkeiten der Speicheradressierung zielstrebig für das Design und den rationellen Betrieb von 32-Bit-Applikationen auszuschöpfen und in der nächsten Phase allmählich vollwertige 64-Bit-Lösungen einzuführen.

Für die mittel- bis langfristige Planung sollte man im eigenen Unternehmen den Bedarf an der Ausschöpfung von 64-Bit-Optionen für die wichtigsten Anwendungsfelder eruieren, auf eine Zeitskala projizieren und daraus eine Roadmap 64 erarbeiten. Bei dem schwer abschätzbaren Aufwand für Anwendungsentwicklung und -betrieb muss frühzeitig priorisiert werden, um Schwierigkeiten zu vermeiden.

Die derzeit verfügbaren und angekündigten oder geplanten Angebote der Hauptsystemlieferanten sollte man auf durchgängig implementierte 64-Bit-Leistungsmerkmale prüfen und die geeigneten Systeme auf der Roadmap 64 einordnen; spätestens ab 2001 sollten keine Modelle mehr beschafft werden, die nicht 64-Bit-tauglich sind.

*Paul Huppertz ist Produkt-Manager und leitender Berater bei der Plenum Institut GmbH in Wiesbaden.