Die Informatik braucht mehr als den Spezialisten

Der Weg nach oben führt nicht allein über das Programmieren

31.07.1992

Von Projektorganisation, gleichberechtigter Fach- und Personalverantwortung, von der Verpflichtung der Personalführungskraft zur Personalentwicklung, ja auch vom Verzicht auf Stellenbeschreibungen und deren Ersatz durch Perspektivgruppen wird mittlerweile nicht nur in universitären Zirkeln gesprochen. Bruno Rücker* skizziert Anforderungen, die an DV-Profis in einem Informatik-Profit-Center gestellt werden.

Weil Information immer direkter zugänglich wird, ist die traditionelle Unternehmensorganisation immer mehr in Frage gestellt. Unternehmenspolitische und organisatorische Rahmenbedingungen sind heute einem massiven Wandel unterzogen. Einerseits entwickeln sich Unternehmen dynamischer, andererseits weist das systemische Miteinander von und in Unternehmen zunehmend komplexere Strukturen auf. Der Grund für diese Entwicklung liegt vor allem darin, daß Informationen immer breiter zugänglich sind.

Der Geister, die der traditionelle Informatiker rief, wird er nur Herr, wenn er sich aus seinem traditionellen Berufsbild heraus entwickelt.

Welche Persönlichkeitsmerkmale beziehungsweise welche Erfahrungsschwerpunkte sind nun von den jeweiligen Ausgabenträgern in einem Informatik-Profit-Center zu erwarten? Das Top-Management wünscht sich einen Informatik-Generalisten, der ein profundes Wissen über Management-Konzepte und strategische Erfolgspotentiale hat, das Potential neuer Technologien erfaßt sowie unternehmensweite Wirkungszusammenhänge kennt. Er ist für den Generalbebauungsplan der Informatik zuständig.

Für die Fachbereichsebene bedarf es des Software-Engineers. Fachbereichswissen und detaillierte Technologiekenntnisse sind für die Kommunikation mit Fachbereichs-Verantwortlichen gefragt. Auf der Ebene der Anwendung geht es um die informationstechnologische Optimierung. Diese setzt vor allem fundiertes Informatikwissen voraus. Der typische Mitarbeiter auf dieser Ebene sollte mehrjährige Berufserfahrung und Kenntnis verschiedener Plattformen beziehungsweise Basissysteme und profunde Anwendungsprogrammier-Erfahrung mitbringen.

Den letzten Verfeinerungsschritt stellt das auf Basis von Programmierung und Testläufen entstandene technische Modell dar. Hier, nur hier ist der Informatiker allein als Spezialist gefordert, der mit Basissystemen vertraut zu sein hat.

Wissen durch Weitergabe vertieft

Das vorgestellte Profil beschreibt den Informatiker als umfassenden, nicht allein technischen Berater, als selbstentwickelnden Mittler und - weil es letztlich immer auch um Normungs- und Standardisierungsaktivitäten geht - als Administrator.

Der Weg dahin darf nicht allein über das schmale Brett des Programmierens führen. Führungsqualitäten von Mitarbeitern können durch die Verantwortung für die effektive Gestaltung und Abwicklung der Zusammenarbeit innerhalb eines Projektes, am besten mit externen Partnern, gefördert werden.

Daneben ist die aktive Schulung als Aufgabengebiet der Informatik auf hervorragende Weise für Berater, Mittler und Manager geeignet, sich didaktische Fähigkeiten anzueignen. Außerdem vertieft er sein Wissen durch die Weitergabe. Schließlich sollten Personen, die keine Projektverantwortung in den jeweiligen Projekten besitzen, sich im Controlling bewähren. Als systematische Auswertung von Erfahrungen organisiert das Controlling sozusagen eine institutionelle Lernkurve, trägt also, bezogen auf die Software- Entwicklung, zur Effizienzsteigerung bei.

Controlling-Projekte erlauben Mitarbeitern der Informatik, ihre Tätigkeitsfelder unter neuen Perspektiven mit anderem Rollenverständnis zu erleben. Jede Rotation setzt dann einen Schneeballeffekt im Knowhow-Transfer frei.

Der angehende Informatiker sollte sich heute also für Personalentwicklungs-Perspektiven entscheiden können. Seine fachliche und persönliche Weiterentwicklung wird ihn sowohl in die Rolle eines Direktionsberaters als auch Bereichsleiters bringen - vor dem Hintergrund eines erweiterten Informatikbereichs, der neue Berufsbilder über die traditionelle Rolle des Realisierers hinaus verlangt.

*Bruno Rücker ist Geschäftsführer der Ploenzke Informatik GmbH, Kiedrich.