Der Ostdeutsche Rundfunk mißt den Erfolg seiner Internet-Präsenz

Der Web-Server erzählt: Das Sandmännchen ist da

23.07.1999
MÜNCHEN (uo) - Wie gut ist unser Web-Auftritt? Diese Frage bewegt den Ostdeutschen Rundfunk (ORB), Potsdam, die Clicks auf seiner Website zu zählen und die Einstiegsseiten zu ermitteln. Die Ergebnisse sollen helfen, die Inhalte attraktiv zu präsentieren.

"Hoffnung und Angst treiben heute die meisten Unternehmen ins Web", sagt Frank Johannsen, Leiter Allgemeine Organisation und Informationsverarbeitung beim ORB. Das sei bei einer Rundfunkanstalt nicht anders. Die Angst rühre daher, daß die Mitbewerber, vor allem die privaten Sender, den Markt besetzen und den Öffentlich- Rechtlichen das Wasser abgraben. Zugleich schüre das Internet die Hoffnung, größere Reichweiten und Umsatzwachstum zu erlangen, zumindest jedoch die Marktposition zu behaupten.

Dazu kommt laut Johannsen auch die Verschmelzung von Technologien, die darin mündet, daß die Bundesregierung die komplette Digitalisierung von ARD- und ZDF-Kanälen bis zum Jahr 2010 beschlossen hat. Damit werde die Netztechnik auch für den ORB existenznotwendig.

Auf den Sender kommen neben der Umstellung auf Digitaltechnik auch neue inhaltliche und strukturelle Aufgaben zu. Fernseh- und Radiobeiträge müssen beispielsweise so gestaltet werden, daß sie sich auch im Internet und in Abo-Kanälen wie DF1, Premiere Digital und Bouquet von ARD und ZDF, verwenden lassen. So ist der ORB beteiligt an den europäischen Versuchen "Tri-media" und "Mirage"; hier soll für das Fernsehen, Radio und das Internet produziert werden.

Bis vor kurzem stellte der ORB lediglich programmbegleitende Informationen ins Netz, wobei die Add-ons zu Hörfunkbeiträgen leicht überwogen. Die Informationsseiten, die immer noch den größten Anteil am Web-Auftritt haben, stammen von der Online-Redaktion, die derzeit mit fünf Personen besetzt ist. Vor zirka vier Wochen jedoch ging der erste Audio-Server des Senders in Betrieb - mit der Jugendwelle "Fritz". In den kommenden Wochen folgen "Radio Eins" und "Antenne Brandenburg".

Gewinnt der Internet-Auftritt derart an Bedeutung, ist eine Erfolgskontrolle zwingend. Bisher waren die Web-Anwendungen jedoch nicht validierbar, so Johannsen. Das liege unter anderem daran, daß die Rundfunkanstalt keine direkten Reaktionen von Kunden und Käufern erhalte. Zuschauer, Hörer oder Web-Nutzer melden sich in der Regel nur, wenn sie einen Beitrag besonders gut oder schlecht finden. Es gibt auch noch keine Probandengruppen, die das Angebot testen, beziehungsweise Messungen von Reichweiten oder Stichproben, wie sie die GFK, Nürnberg, für den Sender im Bereich Radio erhebt.

Schon vor zwei Jahren fragte sich Johannsen: "Wie läßt sich der Erfolg unserer Site messen?" Damals gab es auf dem Markt hauptsächlich Software-Agenten. Diese werden auf dem Client des Web-Benutzers installiert und eruieren dessen Verhalten.

Ein solcher Mechanismus ist jedoch nur in geschlossenen User-Gruppen anwendbar, in denen die Nutzer bekannt sind, führt der ORB-Mann aus: "Solche Agenten passen nicht zu unserem Programmauftrag." Johannsen verfiel darauf, die Zugriffe auf die Web-Server auszuwerten, von denen der ORB fünf im Einsatz hat.

Neben quantitativen Angaben, zum Beispiel zur Anzahl der Clicks und der Verweildauer, liefern die Log-Files durchaus auch Protokolle qualitativer Art: Sie enthalten Zeitstempel und Adressen, zudem geben sie Aufschluß über die auf der Page ausgeführte Aktion und über Bewegungen innerhalb der Site.

Es verging für die DV-Branche eine ungewöhnlich lange Zeit, bis Johannsen seine Ideen umsetzen konnte. Vom 20. bis zum 29. Mai dieses Jahres nahm er die erste Stichprobe. Untersucht wurden die 271 000 Datensätze aus den 417 Pages des Servers "ORB.de". Dabei setzte der DV-Leiter das Tool "IT Service Vision" der SAS Institute GmbH, Heidelberg, ein. Produkte des Unternehmens zur Performance-Überwachung kannte Johannsen bereits. Die Funktionsweise für die Web-Server-Auswertung umreißt Johannsen folgendermaßen: "Man benötigt Kollektoren, die die Daten sammeln, eine Art Data-Warehouse, das die Rohdaten aufnimmt und verdichtet, sowie Auswertungs-Utilities."

Für den Server "Apache", der beim ORB auf Solaris-Rechnern installiert ist, stellt das SAS-Werkzeug einen Kollektor bereit. Die "Performance Database" des Tools nahm zunächst die Rohdaten auf und verdichtet sie nach 24 Stunden. Weil die Datenbank die Rohdaten enthielt, war es dem ORB-DV-Team möglich, die Informationen bis in Sekunden-Sequenzen hinein zu analysieren. Für die Auswertung nutzen die DV-Leute hauptsächlich SAS-Report-Tools.

Zu den wichtigsten Ergebnissen der Untersuchung zählt, daß Bewegungsmuster der Site-Besucher erkennbar sind. Rund 95 Prozent der Kontakte kommen durch 15 Prozent der Webpages zustande. Etwa die Hälfte der Interessenten finden Eingang über die Portalseite, die andere Hälfte steuert direkt die Page der bekanntesten ORB-Figur an: das Sandmännchen.

Die durchschnittliche Länge eines Click-Streams beträgt fünf Pages. Dabei werden rund 47 Grafiken und Stylesheets benutzt. Die Anzahl der aufgerufenen Seiten ist unabhängig vom hierarchischen Aufbau der Site. Johannsen konnte jedoch feststellen, daß es Lieblingsverbindungen gibt - etwa "Nachrichten" und "Wetter" sowie "Sandmann-Geschichte" und "Kinderzimmer".

Um letzteres herauszubekommen, wurden die Pages in Kategorien eingeteilt, die die Online-Redaktion festlegte. Johannsen ließ eine Darstellungsform programmieren, bei der die rund 40 Kategorien am Rand eines Kreises angebracht und mit Hilfe von Linien, die durch den Kreis führen, verbunden sind. Vom Site-Besucher stark genutzte Wege sind farbig dargestellt. Bei dieser Darstellung zeigt sich schnell, daß eine Reihe von Verbindungen überhaupt nicht genutzt werden.

Ohne Aussagekraft ist, wie Johannsen erläutert, die gemessene Verweildauer. Zwischen zwei Clicks vergehen oft Stunden. So lange benötigt niemand, um eine Seite zu lesen. Vermutlich ist der Besucher mit ganz anderen Dingen beschäftigt als mit dem Web.

Nun geht es Johannsen darum, die gewonnenen Erkenntnisse in eine Neugestaltung der Site einzubringen und die Untersuchung zu verfeinern. So ist beispielsweise zu überlegen, ob direkte Links zu anderen Lieblingsseiten auf der Sandmännchen-Page untergebracht werden sollen. Vielleicht wäre es auch sinnvoll, die Seitenhierarchie auf fünf Pages zu begrenzen.

Um die Ergebnisse präzisieren zu können, plant Johannsen, das Candle-Werkzeug "E-Business Assurance" (EBA) einzusetzen. Damit läßt sich ermitteln, welche Aktionen auf einer Page ausgeführt werden; dazu zählen Schieber bewegen, Suche starten und Auswahlboxen aufklappen.

Eine solche Analyse will Johannsen zum ersten Mal zur Fernsehsendung "Chronik der Wende" einsetzen. Er erhofft sich davon, etwas über die Intensität der Site-Benutzung in Erfahrung zu bringen: Wie wird der Web-Inhalt genutzt? Gibt es eine Korrelation zwischen Sendeinhalt und Web-Anwendung? Lohnt sich der Aufwand, der in die Pages gesteckt wird?

Doch ist auch für Johannsen klar, daß sich Fragen nach dem Warum des Erfolgs einer Site nur bedingt über Auswertung von Server-Protokollen beantworten lassen.

Liegt der Mißerfolg der Page am Thema oder daran, daß sie zu versteckt beziehungsweise falsch präsentiert war? Oder hatte einfach eine Schönwetterperiode schuld? Dazu können nur die Internet-Benutzer selbst Auskunft geben. Die Aussagen einer Testgruppe etwa könnten in Kombination mit den Server-Informationen ein vollständiges Bild liefern.

Öffentlich-rechtlich im Osten

Am 1. Januar 1992 startete der Ostdeutsche Rundfunk (ORB) um 0:01 den Sendebetrieb. Der Sitz des ARD-Senders ist ein 30 000 Quadratmeter großes Areal auf dem ehemaligen DEFA-Gelände in Potsdam-Babelsberg. Die Gründung wurde erst möglich, nachdem die Pläne für eine norddeutsche Drei-Länder-Anstalt mit Mecklenburg-Vorpommern und Berlin gescheitert waren.

Heute beschäftigt der ORB 670 Mitarbeiter. Für das Jahr 1999 steht dem Sender ein Etat von rund 355 Millionen Mark zur Verfügung, 25,6 Millionen Mark mehr als 1998. Die Anstalt plant ein neues Radiohaus, das die drei bisher getrennt untergebrachten Hörfunkwellen aufnehmen soll. Rund 9,9 Millionen Mark sind für das "Play-Out-Center" vorgesehen. Dort entstehen Teile von ARD Digital: "Eins Muxx", "Eins Extra", "Eins Festival" und der ARD-Online-Kanal sowie der "Elektronische Programmführer".