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Zum Zehnjährigen

Der unerwartete Siegeszug der Wikipedia

13.01.2011

Eigentlich nur als Testballon gedacht

Das Wiki war nur als Test gedacht. Nach einem Monat standen 600 Artikel online und damit mehr als in der Nupedia. Nach einem Jahr waren es schon 20.000 - zur Überraschung der Gründer. Immer öfter tauchten die Texte ganz oben in den Suchergebnissen bei Google auf. Wikipedia wurde zur Referenz der wachsenden Onliner-Schar. Nicht immer zuverlässig, nicht immer gut geschrieben, aber sehr präsent. Lexika wie der Brockhaus kamen dagegen nicht mehr an.

Larry Sanger war da schon nicht mehr Chefredakteur. Im Streit über Kontrolle und Qualität verließ er Wikipedia 2002. Wales blieb - und gilt seitdem als Gründer des Lexikons. Seine Firma Bomis zog sich allerdings zurück: Wales gründete 2003 die Wikimedia-Stiftung und übertrug ihr Namensrechte und Server. Das Lexikon und seine Schwesterprojekte finanzieren sich über Spenden.

Wikipedias kleine Geschwister

Wikipedia hat Weltruhm erlangt, doch im Schatten des Mitmach-Lexikons gibt es etliche Projekte, die sich ebenfalls dem Aufbau freien Wissens verschrieben haben. Freiwillige sammeln Fotos, Grafiken und Landkarten, arbeiten an einem Wörterbuch und einer Zitatesammlung. Wie auch bei der Online-Enzyklopädie steckt die Wikimedia-Stiftung dahinter. Die wichtigsten Projekte im Überblick.

  • Wikimedia Commons ist eine Datenbank für Mediendateien - vor allem Fotos, aber auch Videos, Landkarten und Grafiken. Privatleute und öffentliche Einrichtungen haben mehr als 7,8 Millionen Dokumente zusammengetragen. Das Bundesarchiv stellte beispielsweise 100.000 historische Fotos aus der deutschen Geschichte zur Verfügung. Aus diesem Fundus bebildern die Autoren ihre Wikipedia-Artikel. Grundsätzlich darf aber jeder die Dateien herunterladen und benutzen, auch kommerziell: Die freie Verwendung ist Voraussetzung dafür, dass die Community die Bilder akzeptiert.

  • In Wikiquote sammeln die Nutzer Zitate von mehr oder weniger berühmten Persönlichkeiten. Mehr als 7500 Artikel gibt es dort mittlerweile, sortiert nach Personen, Themen oder auch Filmen - bekanntlich eine ergiebige Quelle für Bonmots. Zitate von Schriftstellern oder Buchautoren sind allerdings auf zehn pro Person beschränkt, aus urheberrechtlichen Gründen. Anders ist es bei Politikern und Sportlern. Franz Beckenbauer und Gerhard Schröder kommen ausführlich zu Wort.

  • Wiktionary ist ein Lexikon, in dem die Nutzergemeinde Bedeutungen, Herkunft oder Aussprache von Wörtern zusammenträgt. Es gibt Einträge in 170 Sprachen, darunter Tibetisch und Rätoromanisch. Erwartungsgemäß am größten ist allerdings die englische Sektion mit mehr als zwei Millionen Einträgen. Das deutsche Wörterbuch hat mit 127.000 Einträgen locker Duden-Dicke erreicht. Das erste Wort auf Deutsch, eingetragen im April 2002: Metamorphose.

  • Das jüngste Projekt der Wikimedia-Stiftung startete 2006 und heißt Wikiversity - eine Online-Plattform "zum gemeinschaftlichen Lernen, Lehren und Forschen". Studenten und Wissenschaftler sollen damit zusammenarbeiten können, ohne eine eigene technische Infrastruktur aufbauen zu müssen. Die virtuelle Universität ist allerdings relativ leer: Bislang gibt es 27.000 Artikel in 12 Sprachen, in der deutschsprachigen Sektion sind nur rund 200 Nutzer angemeldet.

Damals wie heute lautet die Frage: Warum arbeiten Tausende von Autoren in ihrer Freizeit an Artikeln, ohne dass später ihr Name darunter steht? Und auf die Gefahr hin, dass jemand anders ihre Mühe mit einem Mausklick ändert oder löscht?

Der Soziologe Christian Stegbauer hat das "Rätsel der Kooperation" im gleichnamigen Buch untersucht. Den Reiz für die Wikipedianer sieht er zum einen in der Idee: "Das Wissen der Menschheit zu sammeln, und zwar außerhalb der Schranken des Urheberrechts, hat eine gewisse Anziehungskraft", sagt der Forscher, der momentan eine Professur für empirische Sozialforschung in Erfurt vertritt. Zum anderen vermutet er, dass es den Mitarbeitern nicht um Ruhm gegenüber der Außenwelt geht, sondern um Reputation innerhalb der Gemeinschaft.

In einem Forschungsprojekt stellte Stegbauer jedoch fest, dass die Legende vom egalitären Mitmach-Lexikon nicht mehr stimmt. Es habe sich eine "Herrschaft der Administratoren" etabliert - einem kleinen Kreis von Mitarbeitern, die sich durch Engagement bewährt und von der Community besondere Rechte bekommen haben. In Deutschland halten ein paar Tausend Aktivisten die Wikipedia am Laufen.