Der Testfall soll kein Reinfall werden

07.02.1975

MÜNCHEN - Christine van der Weele sagt selbstkritisch: "Wenn ich's nicht schaffe, dann liegt es an mir selbst!"

Im Falle eines beruflichen Mißerfolges könne sie deshalb den "Schwarzen Peter" nicht an ihre Vorgesetzten weiterreichen: "Denn die haben mich bisher sehr gefördert."

Die 24jährige im Vertrieb Datentechnik der Siemens AG, Zweigniederlassung München, hat vor knapp zwei Jahren einen Berufsweg betreten, der üblicherweise im Hause Siemens und auch bei anderen Herstellerfirmen - Mitarbeitern ohne mittlere Reife oder Abitur verwehrt bleibt: Den des Vertriebsassistenten.

Aber mit "Sturheit", so Christine van der Weele, allgemeinbildenden Abendkursen und innerbetrieblicher Schulung habe sie bei Siemens bisher folgende Stationen geschafft:

1965 bis 1968 kaufmännische Lehre und anschließende Prüfung vor der Handelskammer. Danach zwei Jahre im Personalbüro, die gleiche Zeit in der Werbeabteilung. "Da war ich überwiegend "Tipse" mit Sekretariatsarbeiten", berichtet Christine van der Weele.

Den ersten Kontakt mit der Datentechnik hatte sie 1970 anläßlich der Skiweltmeisterschaften im Grödnertal. Sie durfte, zum Siemens-Werbeteam gehörend, auf der Tastatur eines Terminals die Auslosungen für die Startnummern eintippen. Die Auswertungen der Wettkämpfe liefen erstmals mittels Datenfernverarbeitung über einen Siemens-Rechner in München.

Neuanfang im Vertrieb

Friedrich Goller, Vertriebsleiter Datentechnik, wurde auf Christine van der Weele aufmerksam: Er holte sie in seinen Bereich. Sie erledigte seine Post, organisierte mit Tagungen, überwachte Termine.

"Ende 1973 wollte ich echte Vertriebsaufgaben übernehmen. Kontakt mit Kunden haben. Herr Goller hatte für meinen Wunsch, mich in eine ausbaufähiger Stellung hineinzuarbeiten, Verständnis". Christine van der Weele wurde auf die Siemens-Schule für Datenverarbeitung am Frankfurter Ring geschickt. Sie nahm an Kursen, "Einführung in die DV", "Einführung in die Programmierung", teil, absolvierte das Verkaufs-Training für Vertriebsassistenten.

Förderung durch Vorgesetzte

"Zur innerbetrieblichen Schulung gehören weitere Informationskurse, wie beispielsweise in DV-Organisation, Datenfernverarbeitung", erklärt Christine van der Weele.

"Glücklicherweise" sei sie im Bereich Behörden einem VB, Dr. Strnad, zugeteilt, "der mich in meiner beruflichen Entwicklung, ebenso wie unser Fachgruppenleiter, Herr Buchmann, voll unterstützt."

Stolz berichtet Christine van der Weele: Sie habe gerade an der Universität München, Institut für Industrieforschung und Betriebsorganisation, ein Schulungsgespräch mit den wissenschaftlichen Assistenten von Professor Heinen gehabt. "Sie arbeiten im Dialogverkehr mit dem Siemens-Rechenzentrum an der Leopoldstraße, wo eine 4004/151 steht. Software ist das Dokumentationssystem Golem/Passat, das auch bei der Münchner Olympiade 1972 eingesetzt wurde.

Ihre weiteren wichtigen Kunden seien die Bayerischen Staatsministerien für Kultus, Justiz, Umwelt und Landesplanung. Die Bayerische Staatskanzlei, der Landtag, das Landesamt für Datenverarbeitung, die Max-Planck-Gesellschaft.

"Wir bieten den Interessenten unsere kommerziellen Computer-System an."

Ein Testfall

Von jedem Abschluß erhalte sie neben dem Grundgehalt auch eine prozentuale Provisionsbeteiligung, die sich im Laufe der Zeit weiter erhöhen wird. Insbesondere, wenn Christine van der Weele, "langfristig gesehen", den Sprung zum Fachberater schafft. Sie ist davon überzeugt, ihre Vorgesetzten erhoffen es. Dazu meint sie etwas trotzig: "Ich glaube nicht, daß der Vorstand etwas dagegen hat, wenn eine Frau ohne Abitur, aber bei Bewährung und entsprechender Weiterbildung, einmal Fachberater und dann im Laufe der Jahre Vertriebsbeauftragter wird. Ich bin sozusagen ein Testfall". Und die Meinung der (männlichen) Kollegen? Christine van der Weele schmunzelt: "Für die bin ich noch lange keine Gefahr..."