Autonomes Fahren: Technologie vs. Mensch

Der Tesla-Autopilot-Unfall und die Folgen

16.09.2016
Von  und


Florian Maier beschäftigt sich mit diversen Themen rund um Technologie und Management.
Lucas Mearian ist Senior Reporter bei der Schwesterpublikation Computerworld  und schreibt unter anderem über Themen rund um  Windows, Future of Work, Apple und Gesundheits-IT.

Fortune: Schwere Vorwürfe gegen Tesla

Einige Tage nach Bekanntwerden des Unfalls veröffentlichte das US-Magazin Fortune schließlich einen Artikel, der für Tesla und CEO Musk schwerwiegende Folgen haben könnte - insbesondere was das bislang recht unbefleckte Image das Konzerns angeht. Zum einen werfen die Fortune-Autoren dem Autobauer vor, den tödlichen Unfall vom 8. Mai für mehr als acht Wochen verschwiegen zu haben. Weder die Verkehrsbehörde, noch Tesla-CEO Musk hätten es geschafft, die Öffentlichkeit darüber zu informieren, dass ein Mensch beim Einsatz der Autopilot-Technologie ums Leben gekommen sei. Eine Technologie, so Fortune, die Tesla "aggressiv als sicher und wichtig für seine Kunden" beworben habe. Der zweite Vorwurf der Journalisten wiegt schwer: "Das Unternehmen und sein Gründer wussten von dem tödlichen Unfall, als sie im Mai Aktien im Wert von zwei Milliarden Dollar veräußerten", schreibt das US-Magazin.

Elon Musk reagierte kurze Zeit später - abermals in Form eines Blogposts - auf die Vorwürfe und bezeichnete den Artikel als "grundlegend falsch" und eine "Misinterpretation" der aktuellen Untersuchungen der Securities and Exchange Commission (SEC). In deren aktuellem Bericht ist zu lesen, dass Tesla mit Produkthaftungsfragen konfrontiert werden könnte, die seine finanzielle Situation und Liquidität bedrohen könnten, wenn diese nicht abgewehrt werden können oder es gelingt, sich in dieser Hinsicht abzusichern.

"Das beweise das Offensichtliche", so Musk: "Eines der Risiken für Tesla (und jedes andere Unternehmen) ist die Produkthaftung. Dennoch ist weder zu dem Zeitpunkt der SEC-Untersuchung, noch in den Wochen zuvor eine solche Klage gegen Tesla eingereicht worden. Das Fortune Magazin habe gänzlich ignoriert, was Tesla wann gewusst habe und habe diesbezüglich auch keinerlei Fragen gestellt, so Musk weiter, bevor er den zeitlichen Ablauf der Dinge aus seiner Sicht darstellt: Tesla habe die NHTSA am 16. Mai über den Unfall in Florida informiert. Zu diesem Zeitpunkt habe Tesla gerade erst die eigenen Untersuchungen zum Unfall in die Wege geleitet. Die Fahrzeugdaten seien nicht per Remote Access abgreifbar gewesen, weswegen ein Tesla-Mitarbeiter erst am 18. Mai in Florida eingetroffen sei und die betreffenden Datensätze manuell ausgelesen habe. Die Bearbeitung und Analyse der Daten sei schließlich erst in der letzten Woche des Monats Mai abgeschlossen worden.

Auch verteidigt Musk weiterhin die Autopilot-Technologie und wirft dem Fortune-Magazin vor, falsche Tatsachen zu verbreiten: Zum einen sei der Unfall nicht von der Autopilot-Software ausgelöst worden, zum anderen sei ein einzelner Unglücksfall mit Beteiligung der Software keine Sache, die die Investoren auf den Plan rufe. "Um das klarzustellen: Dieser Unfall wurde von einem LKW verursacht, der die Straße direkt vor einem herannahenden Auto überquerte. Dies ist in jedem Fall - unabhängig in welchem Fahrmodus sich das Fahrzeug befindet - eine Extremsituation, die eine Notbremsung des Fahrers erfordert." Es gebe derzeit keinerlei Hinweise darauf, so Musk, dass der Autopilot nicht wie vorgesehen funktioniert hat.

Dennoch befindet sich Tesla offensichtlich in Gesprächen mit den Zulieferern Bosch und Mobileye. Beide Unternehmen liefern elementare Bestandteile der Autopilot-Software: Bosch ist Hersteller des Radar-Sensors, während Mobileye für die Mikrochips mit Image-Processing-Algorithmus die im System zum Einsatz kommen, verantwortlich zeichnet.

Tesla CEO Musk sprach kürzlich öffentlich via Twitter den beiden Unternehmen seinen Dank "für ihre Hilfe und Unterstützung bei der Verbesserung des Autopiloten" aus und schrieb auch von "vielversprechenden Gesprächen" mit Bosch, die möglicherweise in "maßgeblichen Verbesserungen via Software Update" gipfeln könnten. Einen kleinen Seitenhieb in Richtung Presse konnte sich der umtriebige CEO ebenfalls nicht verkneifen, als er darum bat, sämtliche Kritik ausschließlich an Tesla zu richten.

Elon Musk in der Kritik: Aktiengeschäfte & Vetternwirtschaft

Dennoch bläst der Gegenwind dem Silicon-Valley-Autobauer weiterhin direkt ins Gesicht: Elon Musk steht nach dem tödlichen Unfall, einem gewagten Übernahmeplan und dem umstrittenen Aktienverkauf in der Kritik wie selten zuvor. "Gerichtsverfahren könnten irgendwann entscheiden, ob Tesla und Musk relevante Fakten zurückgehalten haben, als sie im Mai Aktien verkauften", schrieb die Fortune-Journalistin Carol Loomis in der vergangenen Woche. Daraufhin platzte Musk der Kragen. Der Artikel sei "BS" ("Bullshit"), mit dem das Magazin Kasse machen wolle, twitterte der Tesla-Chef. Die Angelegenheit könnte aber durchaus einige Brisanz bergen. Es geht um die Frage, ob das Unternehmen seine Investoren früher über den Unfall hätte informieren müssen. Einem Bericht des "Wall Street Journal" zufolge geht zudem die Börsenaufsicht SEC der Frage nach, ob Anleger rechtzeitig informiert wurden. Besonders umstritten ist vor diesem Hintergrund, dass Tesla am 18. Mai neue Aktien im Wert von 1,4 Milliarden Dollar verkauft hatte. Hat die Firma ihren Anleger dabei etwas verschwiegen?

Das Thema bleibt jedoch kontrovers. "Tesla hat sich mit vielen Innovationen rund um autonomes Fahren weit nach vorne gewagt, ist dabei aber auch nicht unerhebliche Risiken eingegangen", sagt Experte Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management. Mit dem Fahrerassistenzsystem seien bei den Kunden hohe Erwartungen geschürt worden - vielleicht zu hohe. Musk selber betonte im "Wall Street Journal", Tesla haben keine Pläne, das "Autopilot"-System abzustellen - weil es "unterm Strich" Leben rette.Auch wenn noch nicht absehbar ist, welche Folgen der Autopilot-Unfall haben wird: Für Musk kommt er zur Unzeit. Der 45-Jährige, der neben Tesla unter anderem auch noch das Raumfahrt-Unternehmen SpaceX führt, erlebt ohnehin schon einen stressigen Sommer. Im Mai kündigte Musk an, mit Tesla den angeschlagenen Ökostrom-Spezialisten SolarCity übernehmen zu wollen - bei dem zwei Cousins involviert sind und er selbst größter Anteilseigner ist. Kritiker witterten Vetternwirtschaft. Der Großinvestor Jim Chanos bezeichnete den geplanten Deal als "schlimmstes Beispiel für schamlose Unternehmensführung". Dass Chanos von Musk nicht viel hält, war zwar bekannt, der Hedgefonds-Manager wettet auf einen Kursverfall der Tesla-Aktie. Doch auch Experten, die eigentlich wohlgesonnen sind, äußerten sich skeptisch. Musk sei zwar ein Genie, doch "seine Magie zieht nicht mehr", kommentierte Ryan McQueeney von Zacks Investment Research.

Die Diskussionen um die Autopilot-Software und die umstrittene SolarCity-Übernahme könnte Musk gelassener sehen, wenn wenigstens die Geschäfte bei Tesla gut laufen würden. Doch im zweiten Quartal enttäuschte der Absatz - weil die Produktion erst zum Ende des Vierteljahrs hochgefahren worden sei und mehr Wagen als sonst noch auf dem Weg zu Kunden stecken, erklärte Tesla. Der Druck ist groß: Ende Juli will die Firma in Nevada eine gigantische Akku-Fabrik einweihen, weitere negative Schlagzeilen kann man nicht gebrauchen. Musk ging am Wochenende bereits in die Gegenoffensive. Er arbeite an einem "Top Secret Tesla Masterplan Part 2" und hoffe, diesen noch in dieser Woche veröffentlichen zu können, teilte Musk nebulös bei Twitter mit. Nun rätseln Anleger und Analysten, was er im Schilde führt. Ein kleiner Erfolg gelang dem von seinen Fans als Visionär gefeierten Unternehmer damit aber bereits - die Tesla-Aktie stieg zu Wochenbeginn zeitweise um über vier Prozent.