IT-Forschung/Software-Forschung und -Entwicklung expansiv

Der Technologietransfer funktioniert

18.01.2002
"Unfähig zur Umsetzung von Forschungsergebnissen in Produkte" - dieses Urteil über deutsche Professoren, Forschungsinstitute und Universitäten ist überholt. Der Technologietransfer zwischen Forschung und Wirtschaft funktioniert. Von Johannes Kelch*

Von einer "tollen Zusammenarbeit" zwischen Forschern, Softwarespezialisten und Anwendern schwärmt Ekkehard Scheinhof, Entwickler bei der Innovationsgesellschaft T-Systems Nova der Deutschen Telekom. Scheinhof hat in den vergangenen drei Jahren mit Partnern aus Instituten und Firmen das Kommunikations- und Kooperationswerkzeug "Ivip-Conference" entwickelt.

Das Tool macht es zahlreichen Produktentwicklern in der Fahrzeugindustrie möglich, gleichzeitig an einem Entwurf zu arbeiten und sich über "Videoconferencing" auszutauschen. Softwareinseln und Medienbrüche hatten eine solche Zusammenarbeit bisher unmöglich gemacht. Zulieferer und Hersteller von Fahrzeugen und Flugzeugen erhalten mit Ivip-Conference die Möglichkeit, quer zu Standorten und Abteilungen zusammenzuarbeiten, Arbeitsergebnisse zu diskutieren und deutlich schneller als bisher innovative Produkte zu entwickeln.

An der Projektarbeit waren Fachleute aus dem Fraunhofer-Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik IPK in Berlin sowie Mitarbeiter der Systemintegratoren Inmedias P und Gedas beteiligt. Der Mähmaschinenhersteller Claas vertrat die potenziellen Anwenderunternehmen.

Inzwischen ist das neue Werkzeug schon weit gediehen. Scheinhof ist voller Zuversicht, dass das Ergebnis des Gemeinschaftsprojekts im Lauf des Jahres 2002 als kommerzielles Produkt erhältlich sein wird. Eine "Vermarktungspartnerschaft" sei bereits gegründet. Der Weg von einer vorwettbewerblichen Projektarbeit bis zum kommerziellen Produkt sei nicht mehr sehr weit, schätzt der T-Nova-Fachmann.

Integrierte virtuelle ProduktentwicklungDass die Projektbeteiligten in ihrer Entwicklungsarbeit auf Anhieb den Bedarf der Anwender trafen, führt Scheinhof auf die engagierte Mitarbeit von Andreas Mähler von Claas zurück. Er habe bei der Erarbeitung der Konzepte immer wieder den Entwicklern "auf die Finger geguckt" und angeregt, "etwas wegzulassen oder auf spätere Zeiten zu verschieben".

Ivip-Conference ist nur ein Teilergebnis des Leitprojekts "Integrierte Virtuelle Produktentstehung" (Ivip). Zur Jahresmitte 1998 begannen 52 Partner und 14 Institute in ganz Deutschland mit der Arbeit, um die virtuelle Zusammenarbeit zahlreicher Unternehmen bei der Produktentwicklung entlang der Zulieferkette auf eine moderne Basis zu stellen. Mit 50 Millionen Mark förderte die Bundesregierung diese Arbeit, die Industrie stellte noch einmal den gleichen Betrag zur Verfügung.

Neue Produkte nicht der einzige EffektNach gut drei Jahren Laufzeit wurden rund 45 Prototypen hervorgebracht, so Leitprojekt-Koordinator Frank Lothar Krause vom IPK. Von den Prototypen sind rund 30 auf dem Weg zu neuen Produkten, die übrigen liefern ebenfalls verwertbare Ergebnisse. Krause spricht von einer "unglaublichen Zahl" und vergleicht das Ergebnis mit der Erfolgsquote neugegründeter Firmen. Start-ups erzielten mit Venture Capital erfahrungsgemäß lediglich zu zehn Prozent verwertbare Ergebnisse auf dem Weg zu kommerziellen Produkten, so der Ivip-Koordinator.

Ganz neue Produkte sind jedoch nicht der einzige Effekt der Ivip-Arbeiten. Schon haben zahlreiche beteiligte Softwareanbieter ihre herkömmlichen Programme mit Ivip-Technologie für die virtuelle Zusammenarbeit und damit für die Zukunft fit gemacht.

Erfolgsrezept war laut Frank Lothar Krause die "Produktorientierung, die für die meisten Beteiligten das Wichtigste war". Die "Konstellation aus Instituten und Firmen" habe sich als günstig erwiesen, so Krause. Es habe sich gelohnt, dass die Beteiligten ihre "diversen Techniken, Arbeitsweisen und Erfahrungen" in die einzelnen Teilprojekte eingebracht hätten.

Idee der Leitprojekte bestätigtKrause bestätigt damit die Idee der Leitprojekte als noch junges, rund drei Jahre altes Element der staatlichen Forschungsförderung. Im Bundesbericht Forschung 2000, den Ministerin Edelgard Bulmahn vorgelegt hat, heißt es dazu: "Der Erfolg basiert auf dem Prinzip, nur solche Projekte auszuwählen, bei denen Unternehmen und Universitäten, Forschungseinrichtungen und Anwender in Netzwerken branchen- und disziplinübergreifend eng an der Problemlösung zusammenarbeiten. Industrie und Nutzer sind dabei direkt in den Forschungsprozess und die Umsetzung eingebunden."

Das Ivip-Leitprojekt belegt exemplarisch eine stärkere Ausrichtung der Forschungseinrichtungen auf den Bedarf der Anwender. So hat die Fraunhofer-Gesellschaft Mittel für zwei Demonstrationszentren bereitgestellt. Nicht nur die Ivip-Software, sondern auch die Programme von Firmen werden hier den Anwendern präsentiert. Die Demonstrationszentren sollen zeigen, mit welchen Lösungen Anwenderunternehmen ihre Probleme bewältigen und ihre Prozesse optimieren können.

Inzwischen ist fast die gesamte öffentlich geförderte Forschung wie bei Ivip auf eine intensive Zusammenarbeit zwischen Forschung und Unternehmen programmiert. Beim Komnet-Projekt wurde die Anwenderorientierung durch ungewöhnlich kompromisslose Richtlinien festgeklopft. Lediglich Unternehmen konnten bei diesem Projekt Anträge stellen, Hochschulen und Forschungsinstitute kamen nur über Unteraufträge an die Fördertöpfe heran.

Nach den Vorläuferprojekten wollte das Bundesforschungsministerium sicherstellen, dass "endlich eine Umsetzung in Endprodukte" passiert, so der Projektverantwortliche Godehard Walf. Inzwischen hat man sich von dieser rigiden Förderpraxis wieder verabschiedet. Beim Nachfolgeprojekt "Multiteranet" können auch Institute unmittelbar Forschungsgeld beantragen. Walf sieht darin aber keine Abkehr von der Anwender- und Produktorientierung der Forschung: "Die Vorfeldforschung darf nicht herunterfallen. Wenn alle Aktivitäten produktorientiert sind, dann fehlt etwas, was ich in Produkte überführen kann."

Anwenderorientierung ist generell bei öffentlich geförderten IT-Forschungsinstituten ein vorrangiges Ziel geworden. So widmen sich derzeit sieben große Forschungszentren auf dem Gebiet des Software-Engineering der Aufgabe, ihr verteiltes Wissen zu bündeln und allen Softwareunternehmen zugänglich zu machen. Ihr Instrument ist das Portal "Visek" (Virtuelles Software Engineering Kompetenzzentrum). Dieter Rombach, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Experimentelles Software Engineering (IESE) und Visek-Projektkoordinator: "Wir wollen ein elektronisches Methodenhandbuch schaffen, das in einer für Deutschland bisher beispiellosen Form Software-Engineering-Kompetenz bündelt." Es entstehe ein "leicht zugänglicher Pool an direkt umsetzbarem Entwicklungs-Know-how".

Eine Studie des Bundesforschungsministeriums zur "Analyse und Evaluation der Softwareentwicklung in Deutschland" hatte ergeben, dass von den 20000 Unternehmen, die Software herstellen, nur etwa 30 Prozent "ingenieurmäßige Methoden" einsetzen. Gerade im Mittelstand bestehe ein "Methodendefizit".

Hilfreich könnte das Visek-Portal auch für Unternehmensgründer sein, die erste Produkte mit "Garagenmentalität" und ohne jegliche Methodenkenntnis programmieren, um so rasch wie möglich auf den Markt zu kommen. Wachsen das Unternehmen und die Zahl der Mitarbeiter, so Projektleiter Ralf Kempkens, brauchen die Newcomer eine "geeignete Infrastruktur-Verwaltung und ingenieurmäßige Methoden". Das Portal könne eine wichtige Hilfe werden, auf Anhieb die passenden Methoden zu finden.

Zuallererst konzentriert sich Visek nach Angaben von Kempkens auf zwei Schwerpunkte. Wissensbausteine zum Thema "E-Business" sowie zur Programmierung sicherheits- und zeitkritischer Systeme sollen schon im Jahr 2002 verfügbar sein.

Höchst erfolgreich bei der Umsetzung von Forschungsergebnissen und neuen Technologien sind seit wenigen Jahren die lange Zeit als unzugängliche und unnütze Elfenbeintürme geschmähten Hochschulen. Vor allem junge Absolventen und Unternehmensgründer, gelegentlich auch leibhaftige Professoren bewähren sich als Transmissionsriemen für die Umsetzung von Forschung und Technologie in die Praxis. Der Bundesbericht Forschung 2000 erkennt die Leistung der zahlreichen Startups aus den Universitäten an: "Der größte Teil der jährlich rund 14000 Unternehmensgründungen in technologie- und wissensbasierenden Branchen lässt sich mehr oder weniger auf die Hochschulen zurückführen." Lediglich mit 180 Gründungen seien die außerhochschulischen Forschungseinrichtungen an der "Schaffung von hochwertigen Arbeitsplätzen" durch Unternehmensgründungen beteiligt.

Die Zahl der Gründungen in forschungs- und entwicklungsintensiven Wirtschaftszweigen hat laut Bundesforschungsbericht in Deutschland in den 90er Jahren "tendenziell zugenommen, vor allem in der Spitzentechnik und Nachrichtenübermittlung". Deutschland habe die "noch vor wenigen Jahren als unüberwindlich erscheinende Lücke zu Ländern wie den Vereinigten Staaten und den Niederlanden deutlich verringert", bescheinigt der Bericht. (bi)

*Johannes Kelch ist freier Journalist in München.

Kommentar

Anwender- und Produktorientierung der Forschung im IT-Bereich ist eine gute Sache. Bundesforschungsministerin Edelgard Bulmahn hat recht, wenn sie sagt, Forschung müsse "den Menschen dieses Landes zugute kommen" und Arbeitsplätze sichern. Auch die massive Forderung, millionenschwere Projekte müssten am Ende verwertbare Ergebnisse vorweisen, ist berechtigt.

Andererseits besteht die Gefahr, dass eine rigide Forschungsförderung durch eine zu enge Fokussierung auf Anwendungen und Produkte die menschenfreundlichen Ziele gründlich verfehlt. Bahnbrechende Innovationen gehen häufig auf völlig abgehobene, von jeglicher Anwendung weit entfernte und mitunter zufällige wissenschaftliche Erkenntnisse zurück. Wer erreichen will, dass der Quell für neue Technologien, Produkte und Anwendungen weitersprudelt, darf nicht vermeintliche "Elfenbeintürme" niederreißen.

Johannes Kelch

Linkswww.ivip.dewww.dz-vipro.dewww.visek.de