KOLUMNE

Der Tanz um das R/3-Kalb

06.08.1993

Koennen Unternehmen heute noch unbeschadet DV-Entscheidungen allein unter dem Gesichtspunkt treffen, dass sie sich damit in guter Gesellschaft befinden? Fuer welche Anwendungen eignet sich Software von der Stange? Wie muss sie beschaffen sein, um Erweiterungen und Anpassungen zuzulassen, die sich aus geaenderten Geschaeftserfordernissen ergeben? Fragen wie diese gehoeren zum Repertoire von Unternehmensberatern. Brancheninsider wissen, was mit "in guter Gesellschaft" gemeint ist. Die proprietaere /370- Architektur bleibt gegenwaertig, zunehmend geraet aber auch die Standardsoftware von SAP ins Blickfeld. Mit dem Fuer und Wider beschaeftigt sich das Thema der Woche in dieser Ausgabe (Seite 7).

Worauf war der Erfolg der IBM in den vergangenen 20, 30 Jahren zurueckzufuehren, und warum kaufen die Anwender heutzutage R/3? Auf eine DV-technische Abhaengigkeit laeuft es so oder so hinaus, darin sind sich nahezu alle Experten einig. Das scheint viele Anwender nicht zu stoeren. Der Anspruch an eine wirtschaftliche DV ist eben nicht mit dem Wunsch nach Offenheit gleichzusetzen. Aber wissen die Unternehmer auch, welche Fehler sie sich leisten koennen, wenn sie R/3 einsetzen?

Bei ihrer Thema-der-Woche-Umfrage wurde CW-Redakteurin Stefanie Schneider die herausragende Position der SAP von einschlaegig taetigen Beratern immer wieder bestaetigt. Ansonsten blieben viele Fragen offen, insbesondere nach den Alternativen zu R/3 sowie den Marketing- und Geschaeftspraktiken der Walldorfer. Als einer der seltenen SAP-Kritiker outet sich Karl-Heinz Ebeling, wenn er andeutet, dass man Zigtausende von Anwendern nicht glauben machen kann, mit SAP-Software sei jeder einzelne bestmoeglich angezogen.

Der Software-Consultant bringt damit einen Punkt ins Spiel, der in der DV-Szene als Lemminge-Effekt bekannt ist und hierzulande als Tabu gilt, zumindest jeweils so lange, wie m a n sich sicher waehnt, dass er nicht eintritt. Danach wissen dann immer a l l e , dass etwas nicht stimmen konnte. Das Erfolgsgeheimnis der IBM wurde bereits erwaehnt. Die Big-Blue-Story erklaert nicht vollstaendig, wie es zu der Dominanz von SAP kommen konnte. Lernen koennen wir aus der Geschichte der Mittleren Datentechnik, kurz: MDT, einer der wenigen Besonderheiten, die die deutsche DV-Industrie hervorgebracht hat. Fuer den Erfolg des MDT-Marktfuehrers Nixdorf stand die Standardsoftware Comet - von mehr als 50 000 Unternehmen gekauft als das meistgekaufte Paket, weil es eben von Nixdorf kam und von Nixdorf-nahen Beratern empfohlen wurde. Das reichte nicht, aus Comet-Kunden muendige DV-Anwender zu machen und Nixdorf als deutsches DV-Vorzeigeunternehmen zu erhalten. Der Tanz um das R/3- Kalb: auch eine deutsche Angelegenheit? Das reichte wieder nicht.