Jahresrückblick 2017

Der Star des Jahres: Künstliche Intelligenz

07.12.2017
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
Während die Fähigkeiten von Künstlicher Intelligenz immer wieder staunen lassen und Hersteller mit Hochdruck daran arbeiten, KI-Funktionen fest in ihre Produkte und Services zu integrieren, warnen etliche Experten vor der Gefahr, die Technik könnte sich verselbständigen. Zudem sind viele Sorgen hinsichtlich massiver Umbrüche in Arbeit und Gesellschaft nicht ausgeräumt.

Staunen, Hoffnung, Ängste, Streit - die Fähigkeiten der Künstlichen Intelligenz haben 2017 für unterschiedlichste Emotionen und Reaktionen gesorgt. Seit Jahrzehnten versuchen Wissenschaftler und Entwickler, die Fähigkeiten der menschlichen Intelligenz mit Hilfe von Technik, Schaltkreisen und Maschinen nachzuahmen oder gar zu übertreffen. Nun scheinen sie diesem Ziel immer näher zu kommen. Was künstliche Intelligenz, die auf immer leistungsstärkeren Computern und modernsten Algorithmen basiert, zu leisten vermag, verblüffte in den zurückliegenden Monaten viele Menschen.

Künstliche Intelligenz (KI) hat im zurückliegenden Jahr ein ums andere Mal viele Menschen verblüfft.
Künstliche Intelligenz (KI) hat im zurückliegenden Jahr ein ums andere Mal viele Menschen verblüfft.
Foto: a-image - www.shutterstock.com

Mehr zum Thema Künstliche Intelligenz finden Sie im Online-Special der COMPUTERWOCHE:

Künstliche Intelligenz (Artificial Intelligence)

Staunen - besser spielen, sehen, …

Für Schlagzeilen sorgten etwa die Poker-KI "Libratus" und "DeepStack". Bis dato galt das Glücksspiel als menschliche Domäne. Zwar gab es schon in der Vergangenheit Computerprogramme, die klassische Methoden der Wahrscheinlichkeitsrechnung nutzten, Poker-Profis waren damit aber nicht zu schlagen. Das hat sich mittlerweile geändert. Libratus und DeepStack haben selbst die besten Profispieler der Welt alt aussehen lassen.

Libratus wurde von Wissenschaftlern der Carnegie-Mellon-University entwickelt und trat im Januar gegen vier Profi-Poker-Spieler an. Vom 11. bis 30. Januar 2017 wurden im Rivers Casino im US-amerikanischen Pittsburgh 120.000 Hände Texas-Hold'em-Pokerblätter gespielt. Am Ende waren Jimmy Chou, Dong Kim, Jason Les und Daniel McAuley besiegt. Libratus hatte die Profi-Spieler nach allen Regeln der Kunst abgezockt. 1.766.250 Dollar hätte die KI gewonnen, wenn es bei dem Spiel um reale Dollars gegangen wäre.

Dabei standen die Chancen für die menschlichen Spieler eigentlich nicht schlecht. Poker stellt eine besonders komplexe Herausforderung für KI dar. Während bei Spielen wie Schach und Go mit offenen Karten gespielt wird und den Spielern jederzeit alle Informationen wie Stellung, Position und Zahl der Figuren beziehungsweise Spielsteine zugänglich sind, gilt es beim Pokern mit unvollständigen Informationen klarzukommen. Keiner der Spieler - auch die KI nicht - weiß, welche der 52 Karten aktuell im Spiel sind. Dazu kommen Bluffs, um die Gegner in die Irre zu führen.

Libratus hat die Profi-Pokerspieler besiegt. Tuomas Sandholm (Mitte mit Krawatte), der das Projekt an der Carnegie-Mellon-University geleitet hat, freut sich über den Erfolg seines KI-Systems.
Libratus hat die Profi-Pokerspieler besiegt. Tuomas Sandholm (Mitte mit Krawatte), der das Projekt an der Carnegie-Mellon-University geleitet hat, freut sich über den Erfolg seines KI-Systems.
Foto: RiversCasino

Das macht Poker für Maschinen extrem komplex. Doch Libratus hat gelernt, sich auf die menschliche Spielweise und die damit ver­bundenen Unwägbarkeiten einzustellen. Man habe das KI-System anfangs wohl etwas unterschätzt, räumte Pokerprofi Chou ein. Die Maschine sei jeden Tag besser geworden. Zwar hätten sich die Spieler ausgetauscht, um gemeinsam Schwachstellen der Poker-KI herauszufinden. "Bei jeder Schwäche, die wir fanden, lernte Libratus von uns", stellte Chou aber fest. "Und am nächsten Tag war sie verschwunden."

Weiter gelernt hat auch "AlphaGo", das von Googles KI-Tochter Deepmind entwickelte System, das 2016 Lee Sedol, einen der weltbesten Go-Spieler, regelrecht vom Brett fegte. Dabei hatten Experten zuvor prognostiziert, es werde noch Jahre dauern, bis eine Maschine das japanische Spiel besser beherrsche als ein Mensch. Schließlich gebe es zu viele Kombinationsmöglichkeiten, die Steine zu positionieren, als dass pure Rechenpower alle Optionen durchrechnen könne.

Damit lagen sie falsch. Die Deepmind-Entwickler fütterten AlphaGo mit zehntausenden Partien und ließen das System gegen sich selbst spielen, damit das neuronale Netz lernen und sich laufend verbessern konnte. Anfang des Jahres bezwang die neue Version "Master" die weltbesten Go-Spieler mit 60 zu 0. Ein weiterer bedeutender Schritt gelang Deepmind dann im Herbst. Benötigten die ersten AlphaGo-Versionen noch rechenstarke Compute-Boliden, kommt die jüngste Variante "Zero" mit deutlich einfacherer Hardware aus. Der Grund: Zero muss nicht mehr tausende von Partien analysieren. Die Entwickler brachten dem neuronalen Netz lediglich die Spielregeln bei und ließen es dann gegen sich selbst spielen. In drei Tagen spielte Zero etwa 4,9 Millionen Go-Partien und trat dann gegen seinen KI-Vorgänger an, der zuvor Sedol gedemütigt hatte. Das Ergebnis: Zero siegte mit 100 zu 0.

AlphaGo von Google.
AlphaGo von Google.
Foto: Google

Doch nicht nur im Spiel, auch in der Kunst finden sich Einsatzmöglichkeiten für KI. Informatiker an der Rutgers University in New Jersey haben ein intelligentes Bilderkennungssystem entwickelt, dass in der Lage ist, Fälschungen von originalen Kunstwerken zu unterscheiden. Das funktioniert derzeit zumindest bei Strichzeichnungen beispielsweise von Pablo Picasso oder Henri Matisse. Die KI orientiert sich bei der Analyse der Zeichnungen ausschließlich an der Art der Linienführung. Zunächst zerlegten die Forscher 300 Zeichnungen der Künstler in 800.000 Einzelstriche. Anhand dieser Striche lehrten sie das System, die Zeichnungen einzelnen Künstlern zuzuordnen. Bei Farbgemälden stößt das Verfahren allerdings noch an seine Grenzen, denn hier lassen sich einzelne Pinselstriche meist nur schwer auseinanderzuhalten. Doch die Wissenschaftler sind zuversichtlich, die Bandbreite ihrer Kunst-KI weiter steigern zu können. Denn wer weiß, wie viele Meisterwerke noch unentdeckt in Dachböden oder Kellern schlummern. Und dass im Kunstmarkt viel Geld zu machen ist, hat zuletzt die Versteigerung des "Salvator Mundi" von Leonardo da Vinci für rund 450 Millionen Dollar gezeigt.