Der Staat hat große Ohren

28.01.2004
Von Rolf Gössner

Der große Bruder wächst Der Big Brother Award wird seit dem Jahr 2000 auch in Deutschland verliehen. Initiator ist hierzulande der Bielefelder Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs (Foebud). Die Auszeichnung geht an "Firmen, Organisationen und Personen, die in besonderer Weise und nachhaltig die Privatsphäre von Menschen beeinträchtigen oder persönliche Daten Dritten zugänglich machen". Zu den Preisträgern des Jahres 2003 zählen unter anderem die Bundesländer Bayern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Thüringen. Sie würden im Windschatten der Terrorismusbekämpfung die Verschärfung ihrer Landespolizeigesetze betreiben und damit drastische Einschnitte in elementare Grund- und Freiheitsrechte einer Vielzahl unverdächtiger Personen einkalkulieren, hieß es in der Begründung.

Die Datenschutzbeauftragten befürchten eine "gravierende Verschlechterung des Datenschutzes" und sehen den Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt. Schon heute beklagt etwa die Deutsche Telekom eine "Entwertung des Fernmeldegeheimnisses" durch die Ermittlungsbehörden. Im Bereich der Strafverfolgung habe ihr Hunger nach Verbindungsdaten längst verfassungswidrige Ausmaße angenommen. Alle drei Monate müssten alle 50 Millionen Kunden der Telekom komplett nach Verdächtigen durchgerastert werden. Hinzu kämen täglich Tausende Abfragen von Verbindungsdaten, selbst wenn es nur um Straftaten mittlerer Schwere gehe. Weigere sich die Telekom im Einzelfall, die Daten herauszugeben, werde sie mit dem Vorwurf der Strafvereitelung unter Druck gesetzt.

Bewegungsmuster aufzeichnen

Zur Strafverfolgung dürfen die Ermittlungsbehörden die individuellen Kennungen und zur Festnahme eines Täters auch den Standort eines aktiv geschalteten Handys ermitteln. Mit Hilfe von so genannten IMSI-Catchern können einerseits die individuellen Karten- und Gerätenummern von Handys ausgeforscht werden; andererseits lassen sich damit Handys zur genauen Standortbestimmung elektronisch orten, auch wenn diese nur Stand-by-geschaltet sind. Dadurch wird den Sicherheitsorganen die Möglichkeit eröffnet, Bewegungsbilder zu erstellen - inzwischen selbst von Personen, denen nur künftige Straftaten zugetraut werden.

Die Sicherheitsbehörden können mit richterlicher Anordnung das Internet zur Strafverfolgung gezielt nach Verdächtigen durchstöbern. Aber die Polizei geht auch ohne konkreten Verdacht auf Netzpatrouille, um mögliche strafbare Inhalte herauszufiltern und mutmaßliche Täter zu verfolgen. Mit solchen Präventivkontrollen, die keiner richterlichen Anordnung bedürfen, sollen die Verbreitung extremistischen Gedankenguts, gewaltverherrlichender Schriften sowie kinderpornographischer Bilder eingedämmt werden; aber auch Urheberrechtsverletzungen, der Handel mit Diebesgut, Drogen und Waffen sollen damit unterbunden werden.

So notwendig solche Netzpatrouillen zur Gefahrenabwehr erscheinen mögen, wenn es um menschenverachtende, kinderschändende und rassistische Taten und Umtriebe geht - problematisch können verdachtsunabhängige Kontrollen dann werden, wenn die gesamte Individualkommunikation per Internet, der Chat-Foren- und E-Mail-Verkehr polizeilich durchgecheckt oder gar geheimpolizeilich infiltriert werden und die Kontrollen zur Gesinnungsschnüffelei ausarten.