Anwendererfahrungen überwiegend positiv

Der Spätzünder Parallel Sysplex gewinnt an Fahrt

05.06.1998

Als die IBM 1995 die bipolaren ECL-Mainframes durch Rechner mit CMOS-Prozessoren ablöste, zeigten sich Großanwender alles andere als begeistert. Die neuen Maschinen waren zwar kleiner und billiger als die wassergekühlten ECL-Boliden, lieferten aber zunächst deutlich weniger Rechenleistung. Um den Performance-Rückstand wettzumachen, bot Big Blue seinen Kunden an, die CMOS-Rechner in einem Verbund zusammenzuschalten. Zu diesem Zweck hatten die Entwickler aus Armonk im US-Bundesstaat New York die Parallel-Sysplex-Architektur ersonnen, die erstmals im April 1994 öffentlich vorgestellt wurde.

Trotz der vom Hersteller mit großem Marketing-Aufwand betonten möglichen Vorteile setzte sich das Konzept nur langsam durch. Nach Angaben der IBM waren bis Ende 1997 weltweit rund 600 Parallel-Sysplex-Cluster installiert. Die volle Ausbaustufe, bei der alle Anwendungen auf einen gemeinsamen Datenbestand zugreifen ("Full Data Sharing"), ist allerdings nur in 300 Fällen realisiert. Im deutschsprachigen Raum (Deutschland, Österreich, Schweiz) sollen derzeit etwa 70 bis 80 Sysplex-Komplexe in Betrieb sein. Die wichtigsten für IBMs Cluster-Konzept ins Feld geführten Argumente lauten: Verfügbarkeit, Skalierbarkeit, Verwaltung unterschiedlicher Rechner in einem Verbund, einheitliche Datenhaltung und -nutzung, bessere Lastverteilung und niedrigere Softwarekosten durch ein spezielles Lizenzierungsmodell.

Anwender in Deutschland geben indes sehr unterschiedliche Motive für die Einführung von Sysplex-Clustern an. Bei der Commerzbank in Frankfurt etwa war das Thema Verfügbarkeit zunächst nicht ausschlaggebend. Der Parallel-Sysplex-Verbund mit acht Rechnerknoten - überwiegend CMOS-basierte Systeme - wurde installiert, um die Rechenleistung zu erhöhen. "Wir sind eigentlich zum Verbund gezwungen worden", berichtet Niels Diemer, Projektleiter Parallel Sysplex. Nach dem Umstieg der IBM von ECL- auf CMOS-Technik habe man eine lange Durststrecke durchlaufen müssen. Vor der Einführung von Parallel Sysplex erledigte die Commerzbank ihre RZ-Aufgaben mit zwei leistungsstarken ECL-Großrechnern.

Im Unternehmensbereich Öffentliche Kommunikationsnetze der Siemens AG stellt sich die Situation anders dar.

Am Standort München sind derzeit vier Großrechner über Parallel Sysplex gekoppelt, darunter eine ältere ECL-basierte Maschine von Comparex, zwei Skyline-(ACE-)Rechner und ein IBM-CMOS-Mainframe. Die Münchner wickeln die gesamte Betriebssystem-Programmierung für die angebotenen Vermittlungsrechner und deren Simulation auf den Hosts ab. Darüber hinaus stellt das RZ Dokumentationen und Fehlerkataloge für sämtliche weltweit installierten Vermittlungssysteme zur Verfügung. Die gesamte Rechenleistung liegt bei 2200 MIPS. Für Siegfried Büchner, Leiter Computer Center, sind deshalb Verfügbarkeit und Workload Balancing (Lastverteilung) die entscheidenden Argumente für den Sysplex-Cluster.

Die Firma Kärcher aus Winnenden bei Stuttgart, Reinigungsgerätehersteller und Vorzeigekunde der IBM, gibt ähnliche Gründe an. Schon im Juli 1994 begann man dort mit den Planungen für Parallel Sysplex. Das Unter- nehmen koppelt bipolare ECL- und CMOS-Mainframes im Sysplex-Verbund. Fast alle bedeutenden Anwendungen laufen auf den Großrechnern - Personalwirtschaft, Finanzbuchhaltung, eigenentwickelte Produktionsplanungs- und Steuerungssysteme sowie die Vertriebsabwicklung. Die entscheidenden Vorteile durch Parallel Sysplex lägen in der automatischen Lastverteilung und der hohen Systemverfügbarkeit, heißt es.

Die Schwaben scheinen darüber hinaus zu den wenigen Anwendern zu gehören, die voll ausgebaute Data-Sharing-Funktionen implementiert haben. Den Angaben zufolge greifen alle Anwendungen auf einen gemeinsamen Datenbestand zu. Bei der Commerzbank ist man noch nicht ganz so weit. Data-Sharing ist dort erst in Teilbereichen realisiert, berichtet der Parallel-Sysplex-Experte der Bank. Eine Ausweitung auf das gesamte System sei aber geplant.

Zu den Werbeargumenten der Sysplex-Marketiers zählt nicht zuletzt eine mögliche Reduzierung der Softwarekosten durch ein spezielles Lizenzierungsverfahren (Parallel Sysplex Licensing Charge = PSLC). IBM hat die PSLC-Preisregelung jedoch zwischenzeitlich eingeschränkt. Bisher reichte schon die erklärte Absicht, S/390-Hosts zu clustern. Seit März 1998 müssen Kunden einen Nachweis erbringen. Allerdings scheint dieser Aspekt für Anwender ohnehin keine überragende Bedeutung zu besitzen. Eventuelle Einsparungen bei den Softwarekosten seien für die Commerzbank nicht entscheidend gewesen, erklärt DV-Manager Diemer. Bei Siemens und Kärcher dagegen spricht man von deutlichen Kostenvorteilen.

Den möglichen Einsparungen durch PSLC stehen erhebliche Mehrkosten für zusätzlich benötigte Komponenten im Sysplex-Verbund gegenüber, monieren Kritiker. Dazu zählen etwa Coupling Facilities, Links, Sysplex Timer und Software-Tools für die Verbindung mehrerer MVS-Images. Barry Graham, ein unabhängiger Analyst, der unter anderem für das britische Marktforschungsunternehmen Xephon arbeitet, schätzt allein die Mehraufwendungen für die Software-Ausstattung auf 25 bis 67 Prozent.

Commerzbank-Mitarbeiter Diemer hält solche Zusatzkosten nicht für gravierend. Ihnen stünden Vorteile hinsichtlich Flexibilität, Performance und Verfügbarkeit im Vergleich zu einem einzelnen Großrechner gegenüber. Auch bei Siemens relativiert man diesen Aspekt: Die Kosten blieben im Verhältnis zu den gewonnen Vorteilen in einem vertret- baren Rahmen, meint RZ-Leiter Büchner. Entscheidend sei die Zuverlässigkeit und Qualität des Gesamtsystems.

Kritisch beurteilen Insider auch die in Sysplex-Clustern zusätzlich benötigte MIPS-Rechenleistung (Overhead). Diese entsteht beispielsweise für die Kommunika- tion der Rechner untereinander, die Verteilung der Arbeitslast und die gemeinsame Nutzung von Daten. Nach Gartner-Group-Untersuchungen in Sysplex-Produktionsumgebungen sind etwa acht bis zwölf Prozent mehr MIPS-Leistung erforderlich. Bei Konfigurationen, in denen in starkem Maße Daten gemeinsam genutzt werden - etwa beim Einsatz von IBMs Datenbank DB/2 - fallen die Werte deutlich höher aus. In der Praxis sind solche Umgebungen häufig anzutreffen.

Xephon-Analyst Graham veranschlagt zudem allein die für den Betrieb der Coupling Facilities notwendige MIPS-Leistung mit 35 Prozent der gesamten Performance. Der Zusatzbedarf könne sich nach seinen Berechnungen leicht auf 40 bis 100 Prozent der ursprünglichen Kapazität summieren.

Siemens-Mann Büchner kann solche Werte nicht bestätigen: "Diese Angaben stimmen nicht." Nach seinen Erfahrungen sind höchstens fünf Prozent zusätzliche Rechenleistung für einen Sysplex-Verbund erforderlich. Allerdings unterscheidet sich die Anwendungsstruktur im Unternehmensbereich Öffentliche Netze deutlich von der in Banken oder Versicherungen. Dort fällt der Overhead üblicherweise wesentlich höher aus.

Niels Diemer von der Commerzbank findet das Thema Overhead "nicht so dramatisch", ohne allerdings konkrete Zahlen zu nennen. Die benötigte Mehrleistung sei stark von der jeweiligen Installation abhängig. Entsprechende Tests sind für ihn deshalb nur bedingt aussagekräftig. Auch die gelegentlich kritisierten längeren Antwortzeiten von Sysplex-Clustern gegenüber Einzelrechnern hält er für vernachlässigbar. In der Praxis seien diese Änderungen kaum feststellbar. Insgesamt sei man zufrieden mit der Parallel-Sysplex-Installation, so Diemer, "auch wenn manches weniger einfach zu realisieren ist, als der Hersteller verspricht".

Parallel Sysplex

Kontra

- Mehrkosten für zusätzliche Komponenten wie Coupling Facilities, Links, Sysplex Timer und Software-Tools für die Verbindung mehrerer MVS-Images

- Verwaltungsaufwand (Overhead), das heißt zusätzliche Rechenleistung für die Kommunikation der Rechner untereinander, die Verteilung der Arbeitslast und die gemeinsame Nutzung von Daten

- Mangelnde Software-Unterstützung für Parallel Sysplex; unabhängige Softwarehäuser hinken der Technik hinterher; nicht alle Datenbanken unterstützen P/S

- Upgrades auf neueste Betriebssysteme und sonstige Software für die volle Funktionalität von Parallel Sysplex erforderlich

- Mangelnde Abwärtskompatibilität von Prozessoren; ältere CPUs unterstützen die Coupling-Links nicht

- Komplexität des Konzepts erfordert genaue Planung und zusätzliches Know-how

Pro

- Hohe Verfügbarkeit des Gesamtsystems

- Skalierbarkeit von Applikationen und Rechnersystemen

- Gemeinsame Nutzung von Datenbeständen (Data-Sharing)

- Verwaltung unterschiedlicher Rechnerkomplexe in einem Verbund (ECL-, CMOS-Hosts)

- Verbesserte Lastverteilung zwischen Rechnern und zwischen Anwendungen (etwa Batch-Jobs und Online-Transaktionen)

- Reduzierung der Softwarekosten durch das Parallel-Sysplex-Lizenzierungsmodell