"Der Schornstein muß schließlich rauchen"

07.04.1977

Herr Hollwich, was wollen Sie sich in Hannover diesmal anschauen?

Zuerst einmal interessiert mich ganz allgemein, ob das, was ich im Augenblick tue, noch einigermaßen dem Stand der derzeitigen, gängigen Informationsverarbeitung entspricht. Zweitens will ich vergleichen, ob ich die Anlage, die ich stehen habe (eine IBM 370/125 mit 256 KB), sinnvoll genützt habe oder ob ich nicht denselben Kram mit einer anderen Anlage billiger machen könnte.

- Fürchten Sie, daß Ihnen die Entwicklung davonläuft?

Nein. Zunächst einmal habe ich ein Interesse daran, ein stabiles, eingefahrenes System am Laufen zu halten - der Schornstein muß schließlich rauchen. Denn es ist absolut unstrittig, daß man durch ständige Umstellereien sich nur Ärger an den Hals schafft. Das enthebt einen jedoch nicht der unbedingten Pflicht, sich umzusehen was man denn sonst machen könnte.

Man muß abschätzen können, ab wann die Entwicklung so weit ist, daß man die Schwelle zur Umstellung riskieren muß.

- Wann ist es soweit?

Wenn ich mir sagen muß die Art und Weise, wie ich das heute mache ist so unrationell, unwirtschaftlich und wohl auch teuer, daß eine Umstellung auf das günstigere System besser ist - selbst wenn man die Umstellungskosten betrachtet.

- Gibt es einen konkreten Anlaß für solche Überlegungen?

Nicht direkt. Ich sehe mir beispielsweise nur mal so die vergleichbare Siemens-Anlage an.

- Um dann mit stolzgeschwellter Brust herauszugehen, mit der Gewißheit, ich habe es ja doch am besten gemacht?

Das ist klar, das möchte wohl jeder gerne. Im Zweifel kommt man halt aber doch auf manche Dinge, besonders im Gespräch mit Leuten, die da sitzen und einem etwas verkaufen wollen wie "warme Semmeln". Dabei bekommt man schon ein Gefühl dafür, was die anderen können, was die anderen machen und wo man nicht mehr ganz auf dem laufenden ist.

- Unterm Jahr geht das nicht?

Wir sind doch alle so mit Tagesarbeiten beschäftigt, daß man sich wirklich bis nach Hannover wegbegeben muß, um den Kopf frei zu bekommen und dann die Zukunftsdinge zu bedenken.

- Wie hoch schätzen Sie den Informationswert von Fachzeitungen ein?

Ich lese sie, und ich würde sie nicht lesen, wenn ich das Gefühl hätte, das wäre vergeudete Zeit.

- Welche Entwicklungen beobachten Sie auf dem Hardware-Sektor?

Schauen Sie, ich habe mich auf den Trend dieses etwas "auseinandergezogenen Datenverarbeitens" begeben und das vor drei Jahren. Damals hätte sich jeder an den Kopf gegriffen.

-... als noch keiner Schlagworte wie "Distributed Processing" oder "Computer am Arbeitsplatz" benutzte.

Seit die Citibank in New York das gemacht hat, überlegen sich das mehr Leute. Wir haben seit eineinhalb Jahren drei Prozeßrechner des Fabrikats Modcomp im Einsatz, die über einen "Integrierten Kommunikations-Adapter" an unsere 370/I25 online angeschlossen sind. Als ich mich seinerzeit dazu entschlossen habe, war mir klar, daß nach vier bis fünf Jahren, wenn das mal richtig lebt, jeder über den alten Hut lachen wird, den ich betreibe. Jetzt möchte ich mir im CeBIT die Konkurrenz zu diesen Prozeßrechnern ansehen.

- Es ist ziemlich sicher, daß IBM seine neue Minicomputer-Serie in Hannover präsentieren wird.

Ja, und so etwas schaue ich mir an. So etwas muß man doch wissen. Das muß man verfolgen. Auch wenn man nicht von heute auf morgen umsteigen kann. Wichtig ist, den Trend zu kennen.

- Um ihm dann treu und brav zu folgen?

Keineswegs. Ich denke da an den Trend zu Datenbanken. Wir haben hier zwar auch eine DL/1-Datenbank installiert - ich muß jedoch sagen, daß die Erfahrungen, die wir gemacht haben, den Mehraufwand an Lizenzgebühren gegenüber den Vorteilen bei der Verarbeitung und der Programmentwicklung nicht rechtfertigen. Ich möchte das am liebsten wieder sein lassen.

- IBM bietet doch aber seit vergangenem Sommer mit der 138 eine Maschine an, die speziell mittleren Antwendern "die Tür zu Datenbank-Anwendungen autstoßen soll".

Wir sehen unsere Aufgabe nicht darin, das zentrale Rechnersystem aufzurüsten, sondern möchten vielmehr aufgabenbezogene Rechner für in sich geschlossene Arbeitsgebiete draußen in den Fachabteilungen stehen haben.

- Fürchten Sie dabei nicht um Ihre Position?

Überhaupt nicht. Wirklich fundiertes Know-how, ein Reehenzentrum zu betreiben, organisatorisch sinnvoll Informationsmittel einzusetzen, ist selten und im übrigen auch gar nicht so einfach zu erwerben. Insofern wird der EDV-Leiter immer die Schaltstelle bleiben, wenn es um wirklich brennende Dinge geht. Das Wissen, wie man etwas machen muß - insbesondere wenn es um den Gesamt-Zusammenhang geht - sollte ja eigentlich hier an diesem Tisch verkörpert werden. Was man verhindern müßte, wäre die Eigenbrötelei mit Hilfe von Stand-Alone-Rechnern.

- Die Sie grundsätzlich ablehnen?

Wenn es eine wirkliche Insellösung ist, "abisoliert" gegen die gesamte Umwelt, so daß man noch nicht einmal die Daten rauskriegt, die man als übergreifende Information braucht, dann ist das Quatsch. Im übrigen vertrete ich die Auffassung, daß wir die großen Zahlenmühlen- eine Weile ging der Trend ja dahin - in Zukunft nicht mehr brauchen werden. Ich vertrete darüber hinaus die Ansicht, daß man die Augenblicksfertigkeit der Information bloß innerhalb bestimmter Arbeitsgebiete wie beispielsweise der Buchhaltung benötigt, ansonsten ist es ausreichend, wenn man tagfertig ist. Und das spricht zwar für Online-Terminals, nicht unbedingt jedoch für Dialog-Betrieb.

Christian Hollwich (39) ist seit dreieinhalb Jahren EDV-Leiter der Firma Agrob, Ismaning bei München, eines führenden deutschen Produzenten von Keramik-Fliesen und -platten mit mehreren Werken in der Bundesrepublik. Sein berufIicher Werdegang: Diplom-Ingenieur der Nachrichtentechnik, im Anschluß daran Diplom-Ingenieur der Nachrichtentechnik, im Anschluß daran Diplom-Wirtschaftsingenieur, dann Operations Research, dann IBM fünf Jahre als Systemberater), schließlich Agrob.