Euro-Umstellung/Vorgehensmodelle und Tipps

Der Schlüssel zur Euro-Umstellung liegt in einer guten Projektanlage

23.06.2000
Bald ist sie da, die einheitliche Währung für Europa, und doch fehlt von Einheit jede Spur. Bisher hat nicht einmal ein Drittel der deutschen Einzelhändler seine IT-Systeme auf die neue Währung umgestellt, und langsam wird die Zeit knapp. Doch auch Unternehmen, die erst am Anfang der Umstellung stehen, haben bei gezielter Projektierung noch gute Chancen, termingerecht die neue Währung zu unterstützen. Dieser Beitrag stellt die einzelnen Phasen eines Euro-Projekts dar und gibt Tipps für die praktische Realisierung.Von Christiane Jacobs*

Das Jahr-2000-Problem ist überstanden, schon naht die Herausforderung Euro. Waren die Schwierigkeiten der Datumsumstellung rein technischer Natur, so liegen der Einführung des Euro betriebswirtschaftliche Anforderungen zugrunde. Zwar bietet der Euro unternehmerische Chancen - doch der Weg dorthin hat seine Tücken, die IT-Verantwortliche überwinden müssen.

Da gilt es zunächst, die technische Komplexität zu beachten. So müssen etwa Änderungen von Feldformaten und -größen vorgenommen werden, Daten und Programme sind umzustellen. Ferner müssen der Zugriff auf Altdaten gewährt und externe Schnittstellen angepasst werden etc.

Doch es gilt auch andere Probleme zu lösen. Soll die Teilkaskoversicherung über 300 Mark in Zukunft genau 150 Euro kosten? Was wird aus den verlockenden "Marketing-Preisen" wie beispielsweise 9,99 Mark. Das würde 5,28 Euro entsprechen, ein Preis, der nicht gerade zum Kaufen verführt. Wie soll das Unternehmen mit auftretenden Rundungsdifferenzen umgehen? Wie ändern sich bestimmte Geschäftsprozesse? Wo und wie also beginnen?

Phase 1: Bewusstsein schaffen, Pilotprojekt starten

Voraussetzung für ein erfolgreiches Euro-Projekt ist, bereits zu Beginn ein klares Verständnis von dessen Komplexität zu entwickeln, denn nur wenige Verantwortliche haben ein realistisches Bild von dem tatsächlichen Umstellungsaufwand. Der erschreckende Beweis hierfür ist das Ergebnis einer aktuellen Studie des Rationalisierungs- und Innovationszentrums der Deutschen Wirtschaft (RKW), wonach 65 Prozent der deutschen Mittelständler noch keinerlei Vorbereitungen für eine Euro-Umstellung getroffen haben.

Dabei nimmt ein Euro-Projekt je nach Größe des Unternehmens und der vorhandenen Ressourcen zirka 12 bis 18 Monate Zeit ein. So schätzt eine deutsche Versicherungsgesellschaft den Aufwand für ihr kürzlich begonnenes Euro-Projekt bis einschließlich September 2001 auf 17 000 Manntage. Das heißt, für die Dauer von 19 Monaten sind rund 30 Mitarbeiter ausschließlich für die Euro-Umstellung zuständig. Urlaub und eventuelle Nacharbeiten sind in diesen Zeitplan nicht eingerechnet!

Oft dürften Unternehmen gar nicht in der Lage sein, ihr Euro-Projekt aus eigenen Kräften zu meistern, unter anderem deshalb, weil hier Softwarewerkzeuge zum Einsatz kommen müssen, für die das erforderliche interne Know-how wahrscheinlich nicht vorhanden ist. Die Auswahl eines oder mehrerer Anbieter, die mit Professional Services, Consulting und Tools Unterstützung bieten, will trotz aller gebotenen Eile gut bedacht sein. Oft dürfte es hilfreich sein, sich zunächst in einer drei- bis vierwöchigen Pilotphase Sicherheit für die komplette Euro-Umstellung zu verschaffen. Solch ein "Schnupper"-Projekt sollte nicht mehr als 15000 bis 20000 Euro kosten.

Technical Proof - viel Euro für wenig GeldFür das Pilotprojekt, das in der Branche auch als "Technical Proof" bezeichnet wird, sollte das Unternehmen eine Anwendung auswählen, die mit etwa 50 Programmen zwar überschaubar ist, die aber für die Umstellung auf den Euro durchaus relevant ist. Diese geschäftskritische Applikation muss mit anderen wichtigen Geschäftsanwendungen vergleichbar sein und durchaus einen gewissen Komplexitätsgrad aufweisen. Solch eine Applikation lässt schon einige wichtige Schlüsse auf die Beschaffenheit anderer Anwendungen sowie auf den zu erwartenden Umstellungs- und Kostenaufwand zu. Außerdem können in dieser Phase die Fähigkeiten eines externen Dienstleistungspartners bezüglich seines Euro-Umstellungs-Know-how getestet werden. Dieser Partner sollte im Rahmen des Pilotprojekts folgende Leistungen erbringen:

-Für die vollständige Überprüfung und exemplarische Umstellung der vom Kunden bestimmten Geschäftsapplikation sollte er einen Vor-Ort-Service von zwei bis drei Wochen gewährleisten.

-Dieser Partner sollte ferner die organisatorischen und technischen Rahmenbedingungen sowie mögliche Umstellungsszenarien definieren und dokumentieren.

-Schließlich sollte er Empfehlungen für das weitere Vorgehen, ein Konzept für ein Gesamtprojekt sowie eine Kostenkalkulation mit verschiedenen Kostenmodellen (etwa mit der Berechnung von den zu erwartenden Investitionen für Outsourcing-Aktivitäten oder auch den Einsatz von Software-Werkzeugen) vorlegen.

Nach dem erfolgreichen Abschluss des Vorlaufs kann die Euro-Umstellung in die zweite, komplexe Phase der Analyse für die Komplettumstellung übergehen und sich hierbei der Erfahrungen des Schnupperprojekts bedienen. Dabei müssen allerdings die IT-Abteilung mit den Fachabteilungen und dem Management sehr gut zusammenarbeiten. Schließlich muss bei der Euro-Umstellung über die technische Anpassung der Anwendungen hinaus auch direkt in die Logik der Programme eingegriffen werden. Um Fehler und unnötigen Zeitverlust zu vermeiden, sollte zunächst ein Projektteam aus allen betroffenen Bereichen gebildet werden, das über alle weiteren Abläufe kommuniziert.

In einem ersten Schritt werden häufig zunächst die Applikationen des Kunden "geschnürt" (was auch "Clustering" heißt wird). Dieses Clustering muss die Alltags-Geschäftsabläufe widerspiegeln. Eine Versicherungsgesellschaft sollte beispielsweise aus allen Applikationen, die den Geschäftsbereich "Kfz-Versicherungen" berühren, eine logische Einheit schaffen. Alle Funktionselemente, die diesen logischen Einheiten zuzuordnen sind, müssen dann identifiziert, entsprechende Datenfelder, Programme sowie andere, funktionsverwandte Komponenten ermittelt werden. Ferner gilt es, alle Datenbanken und Dateien, die von diesen Funktionselementen genutzt werden, zu identifizieren. Alle gefundenen Felder sind mit Verweisen auf die entsprechenden Codezeilen und Verwendungen zu dokumentieren.

Die Analysephase dauert je nach Art und Größe der Systemumgebung zwei bis sechs Monate. Sie sollte dem Kunden einen kompletten Überblick über seine IT-Infrastruktur geben.

Die Analyse sollte zudem Änderungsvorschläge sowie Empfehlungen für die technologische Umsetzung der nächsten Projektphasen enthalten. Eine Gesamtprojektplanung sowie eine genaue Kostenschätzung der Folgephasen gehört ebenfalls zur analytischen Bestandsaufnahme.

Phase 3: Change to Euro

Für die eigentliche Euro-Umstellung kommen verschiedene Szenarien in Frage. So muss das Unternehmens-Management die Entscheidung treffen, ob die Euro-Fähigkeit sukzessive Applikation für Applikation durchgeführt werden soll. Hierbei rechnen einige Anwendungen noch in Mark, andere bereits in Euro. Oder soll die komplette Umstellung in einem "Big Bang", sollen also alle Applikationen samt zugehörigen Datenbanken an einem Stichtag realisiert werden?

Die schrittweise Konvertierung bietet jedoch normalerweise im Vergleich zum Big-Bang-Modell deutliche Vorteile: Das Unternehmen kann in einigen Geschäftsbereichen seine Euro-Fähigkeit recht schnell erreichen, was Wettbewerbsvorteile zeitigen kann. Bei einer schrittweisen Konvertierung ist es zudem möglich, Fehler noch rechtzeitig festzuhalten und für die weiteren Projektphasen zu vermeiden. Bei einer in Einzelschritten vollzogenen Umstellung fallen die Einflüsse auf die Geschäftsabläufe wesentlich weniger einschneidend ins Gewicht. Gegen eine Umstellung im Hauruck-Verfahren spricht außerdem das insgesamt hohe Risiko für den gesamten Umstellungsprozess, das auch längere Ausfallzeiten involviert.

Im Zuge der Umstellung auf den Euro stellt sich für Unternehmen eine weitere Frage: Wie sehr sollen sie das Umstellungsprocedere durch den Einsatz geeigneter Software-Werkzeuge automatisieren? Die automatische Konvertierung zielt in der Regel ausschließlich auf die Euro-Umstellung und eine Reduzierung der Kosten. Häufig verhindern aber in Benutzung befindliche Anwendungen diesen vollautomatischen Umstellungsansatz. Durch eine teilweise manuelle Umstellung lässt sich oft mehr erreichen, so etwa die Multi-Währungsfähigkeit des Systems.

Neue Gelegenheit für eine "Systemkur"Ein Unternehmen kann aber die ohnehin gebotene Umstellung auf die neue Währung zugleich als Gelegenheit zur "System-Kur" nutzen. Die nicht voll-, sondern teilautomatische Durchführung der Konvertierung fördert Altlasten ans Tageslicht, etwa nichtdokumentierte Programme, die von vollautomatisierten Tools nicht identifiziert werden können. Mit etwas Mut kann eine IT-Organisation die Euro-Umstellung folglich zur Entrümpelung und Renovierung ihrer Altsysteme nutzen.

Gleichzeitig werden alle technischen Umstellungsprobleme, etwa das der Rundungsregeln, Rundungsdifferenzen oder der Datenhaltungsanpassung, behoben. Dieses Vorgehen generiert Nutzen über das Euro-Projekt hinaus.

Phase 4: Test

Anhand detailliert dokumentierter Prüfprozeduren sollte der Anbieter alle erforderlichen Tests sowohl im Batch- als auch im Online-Modus durchführen. Der von einem Unternehmen für die Euro-Umstellung engagierte Dienstleister sollte Reports von allen Tests und die Ergebnisse archivieren. Haben sich alle Testläufe als fehlerfrei erwiesen, geht das Projekt in Produktion.

* Christiane Jacobs ist freie Journalistin in München

10 Tipps für die Umstellung auf den Euro1 Machen Sie sich bewusst, dass die Euro-Umstellung kein rein technisches Problem ist, sondern die Geschäftsprozesse Ihres Unternehmens direkt beeinflusst.

2 Sichern Sie sich die Unterstützung Ihres Managements, das im Projektverlauf einige grundlegende Entscheidungen treffen muss.

3 Treffen Sie eine sorgfältige Auswahl Ihres Anbieters, der zunächst im Rahmen eines Pilotprojekts (maximal vier Wochen) nicht nur auf technischer Ebene den Beweis für seine Eignung erbringen sollte.

4 Ziehen Sie aus der Pilotphase den größtmöglichen Nutzen, indem Sie hier eine Applikation einbringen, welche die Euro-Problematik in ihrer gesamten Dimension erfasst.

5 Bestehen Sie auf einer genauen, frühzeitigen Kosten-, Risiko-, Ressourcen- (interne/externe) und Zeitplankalkulation.

6 Stellen Sie noch vor dem Projektstart aus allen betroffenen Fach- und IT-Bereichen ein Projektteam zusammen. Offene Kommunikation ist für die Einhaltung Ihres Zeitplans erfolgskritisch.

7 Achten Sie in der Analysephase auf die Berücksichtigung Ihrer Altdaten. Ermitteln Sie, welche Dokumente wo archiviert sind/werden müssen, und klären Sie die Frage des Zugriffs auf Ihre historischen Daten ab.

8 Wägen Sie für die Konvertierungsphase die Vor- und Nachteile von schrittweiser Umstellung versus "Big Bang" ab. In der Regel überwiegen die Vorteile des sukzessiven Vorgehensmodells.

9 Entscheiden Sie, ob die Konvertierung vollautomatisch oder nur zum Teil automatisiert durchgeführt werden soll. Die vollautomatisierte Umstellung ist einfacher umzusetzen, bietet aber keinen über die Umstellung hinausgehenden Zusatznutzen.

10 Zeigen Sie Mut und nutzen Sie die Euro-Umstellung als Gelegenheit, Systeme und Geschäftsprozesse zu straffen, Ihre Angebotspalette und Ihre Preispolitik (s. Marketing-Preise) kundenfreundlicher zu gestalten und sich somit Marktvorteile zu verschaffen. Rechnen Sie nicht nur in, sondern mit dem Euro, der Endtermin naht.

Abb: Ein klarer Arbeitsplan hilft zur Orientierung an Zwischenständen. Für Tests und Korrekturen ist viel Zeit erforderlich. Quelle: Viasoft