Erschöpft und niedergeschlagen

Der Preis der Mobilität

13.09.2012
Von 
Alexandra Mesmer war bis Juli 2021 Redakteurin der Computerwoche, danach wechselte sie zu dem IT-Dienstleister MaibornWolff, wo sie derzeit als Head of Communications arbeitet.
Ständig erreichbar, Überstunden, wechselnde Arbeitsorte, lange Anfahrtswege: Die flexible Arbeitswelt bringt Beschäftigte an die Grenzen ihrer Belastbarkeit. Das belegt der aktuelle Fehlzeiten-Report der AOK.
Heute pendeln 40 Prozent der Beschäftigten zur Arbeit. Je länger die Strecke, desto größer die Belastung.
Heute pendeln 40 Prozent der Beschäftigten zur Arbeit. Je länger die Strecke, desto größer die Belastung.
Foto: DeVIce -Fotolia.com

"Im Grunde ist es gut für die Gesundheit, wenn Beschäftigte ihre Arbeit räumlich und zeitlich an die eigenen Bedürfnisse anpassen können. Aber diese Flexibilität braucht ihre Grenzen", sagt Helmut Schröder, Herausgeber des Fehlzeiten-Reports und stellvertretender Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der AOK. Demnach hat mehr als jeder dritte Erwerbstätige in den letzten vier Wochen häufig Anrufe oder E-Mails außerhalb der Arbeitszeit erhalten oder Überstunden geleistet. Auch Arbeit mit nach Hause zu nehmen oder an Sonn- und Feiertagen zu arbeiten stellt kein Randphänomen dar. Nahezu jeder achte Beschäftigte gibt an, dass er Probleme mit der Vereinbarkeit von Arbeit und Freizeit hat oder wegen beruflicher Verpflichtungen Pläne für private Aktivitäten geändert hat.

"Solche Belastungen im Arbeitsalltag führen dazu, dass diese Beschäftigten mehr an psychischen Beschwerden leiden als diejenigen, die diesen Belastungen nicht ausgesetzt sind", erläutert Schröder. Dabei berichten die Befragten nicht nur über Erschöpfung oder das Problem, in der Freizeit nicht abschalten zu können, sondern auch über Kopfschmerzen oder Niedergeschlagenheit.

Lust und Last der Mobilität

Heute sind bereits rund 40 Prozent der Berufstätigen entweder Wochenendpendler, pendeln täglich mindestens eine Stunde zur Arbeit oder haben ihren Wohnort aufgrund beruflicher Anforderungen gewechselt. Viele nehmen auch lange Fahrtzeiten zu ihrem Arbeitsplatz in Kauf. Aus der räumlichen Mobilität ziehen Arbeitnehmer durchaus Vorteile, etwa indem sie Arbeitslosigkeit vermeiden oder Aufstiegschancen an anderen Orten nutzen. Gleichzeitig sind sie stärker psychischen Belastungen wie Erschöpfung oder Niedergeschlagenheit ausgesetzt, wie die AOK-Analyse ergab. Bei Beschäftigten, deren Arbeitsplatz mehr als 500 Kilometer von ihrem Wohnort entfernt ist, gab es 2011 statistisch fast einen halben Fehltag mehr aufgrund einer psychischen Erkrankung als bei Beschäftigten, die weniger als 30 Kilometer zur Arbeit pendeln. Pendler mit großen Strecken unterliegen einem um 20 Prozent höheren Risiko, an psychischen Symptomen zu erkranken.

Diagnose Burnout

Parallel zur zunehmenden Flexibilisierung der Arbeitswelt nimmt die Zahl der Fehltage aufgrund psychischer Erkrankungen bei den Beschäftigten weiter zu. Im Vergleich zu 2010 ist der Anteil der Arbeitsunfähigkeitstage im vergangenen Jahr um 0,3 Prozentpunkte angestiegen. Seit 1994 ist die Zahl der psychischen Erkrankungen um 120 Prozent angestiegen. Das macht sich bei den Fehlzeiten bemerkbar: 2011 waren Ausfallzeiten aufgrund psychischer Erkrankungen mit im Schnitt 22,5 Tagen je Fall mehr als doppelt so lange wie andere Erkrankungen mit durchschnittlich 11 Tagen je Fall.

Immer häufiger lautet die Diagnose "Burnout". Nach einer Hochrechnung des Wissenschaftlichen Instituts der AOK, bezogen auf die mehr als 34 Millionen gesetzlich krankenversicherten Beschäftigten in Deutschland, waren 2011 mehr als 130.000 Personen wegen eines Burnouts krank geschrieben. Das führte zu insgesamt 2,7 Millionen Fehltagen. Betroffen waren insbesondere die Beschäftigten in sozialen Berufen. Außerdem waren Frauen häufiger betroffen als Männer.