Der PC - nur ein Missverständnis der DV-Geschichte?

29.08.2001
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Gerhard Holzwart begann 1990 als Redakteur der COMPUTERWOCHE und leitete dort ab 1996 das Ressort Unternehmen & Märkte.  Ab 2005 verantwortete er den Bereich Kongresse und Fachveranstaltungen der IDG Business Media GmbH und baute „IDG Events“ mit jährlich rund 80 Konferenzen zu einem der führenden Anbieter von ITK-Fachveranstaltungen in Deutschland aus. Seit 2010 ist Gerhard Holzwart geschäftsführender Gesellschafter der h&g Editors GmbH und ist in dieser Funktion als Event Producer, Direktmarketingspezialist und ITK-Fachredakteur tätig.        

Es würde wohl bedeuten, die viel zitierten Eulen nach Athen zu tragen, wenn man nach 20 Jahren "IBM-PC" auschließlich die Irrungen und Wirrungen des Beginns dieser (Erfolgs)geschichte in den Mittelpunkt der Betrachtungen stellen würde.

Natürlich war Big Blue seinerzeit nicht der erste PC-Hersteller; zweifellos hat Bill Gates dem damals unentschlossenen und von falschen Annahmen ausgehenden IBM-Management (und seiner eigenen Chuzpe) viel zu verdanken - und selbstredend lesen sich diese alten Geschichten immer wieder gut. Doch es gibt mindestens noch eine aussagekräftige Story über Gewinner und Verlierer der PC-Entwicklung - jedenfalls aus dem Blickwinkel derer, die heute und vor 20 Jahren Desktop-Rechner in der Unternehmens-DV einsetz(t)en.

Quelle: IBM
Quelle: IBM

In diesem Zusammenhang existiert vermutlich kein Bild, das - um noch einmal die Historie zu bemühen - besser die Hoffnungen der "Generation PC" symbolisierte als der inzwischen berühmt gewordene TV-Spot der kalifornischen Rechnerschmiede Apple, die Anfang 1984 eine attraktive Blondine auf einen fiktiven Marathonlauf schickte, vorbei an grauen, scheinbar willenlosen Menschenmassen, die alle der von einem weit überdimensionierten Bildschirm kommenden Botschaft von Big Brother lauschten. Am Ende ihres Laufes zerstörte die sportive Heldin mit einem einzigen entschlossenen Hammerschlag den Bildschirm, und quasi im Abspann des Spots kam die eigentliche Botschaft: "Am 24. Januar wird Apple Computers den Macintosh vorstellen. Und Sie werden sehen, dass 1984 nicht so sein wird wie 1984!"

Die Aussage der Kalifornier im Orwell-Jahr war unmissverständlich: Die Herrschaft von "Big Brother" IBM und damit der abgeschotteten Rechenzentren respektive Großrechner ist gebrochen; künftig geht am Desktop die Post ab. Gemeint waren Techniken, IT-Konzepte und Anwendungen, die findige Tüftler allerdings schon Jahre zuvor nicht bei Apple, sondern im berühmten Palo Alto Research Center von Xerox entworfen hatten und die sich nun etablieren sollten: Lokale Netze, Objektorientierung, grafische Benutzeroberflächen, Workgroup-Computing und natürlich das Client-Server-Prinzip.

In der Tat war der PC, um noch einmal auf den "großen Irrtum" der IBM zurückzukommen, mehr als eine weitere Etappe in der ereignisreichen DV-Geschichte, er war - und ist es bis heute - Beleg für eine nachhaltige Zäsur, für einen Paradigmenwechsel. Denn Big Blue hat sich nicht nur bei den zu verkaufenden Stückzahlen und damit im Markt verschätzt. Nein, innerhalb der blauen Welt verstand man bald die Welt nicht mehr! "IBM - das große MISverständnis" titelte die CW, und legte jahrelang mit gutem Recht den Finger in die Wunde derjenigen, die den Anschein erweckten, als hätten sie den Übergang vom dummen Terminal zum leistungsfähigen Desktop und damit von der Daten- zur Informationsverarbeitung nicht geschafft.

Womit beileibe nicht nur der Hersteller und langjährige Großrechner-Monopolist IBM kritisiert wurde, sondern auch die Bunkermentalität der alten Mainframe-Apostel in den Anwenderunternehmen. Die im Übrigen auch keine schlechten Argumente hatten: Wildwuchs und damit Unkontrollierbarkeit der Anwendungen, Begehrlichkeiten der Fachabteilungen, die nicht unbedingt im Einklang mit einer effizienten und ökonomischen unternehmensweiten IT-Strategie stehen, sowie in Konsequenz daraus ausufernde Anschaffungs- und Administrationskosten samt Konflikten zwischen Fachabteilungen und IT-Management.

Die Vorbehalte gegenüber dem "Trojanischen Pferd", das sich da in die unternehmensweite DV einschlich, waren jedenfalls groß und sind es zum Teil bis heute noch, vielfach auch berechtigt. Denn die Befürchtungen des "IT-Establishments" in den Rechenzentren haben sich weitgehend bewahrheitet. Nicht umsonst stellt man seit 20 Jahren regelmäßig die Frage nach der Wirtschaftlichkeit des PCs; diskutiert(e) kontrovers und leidenschaftlich über Downsizing, Total Cost of Ownership oder die Vor- und Nachteile eines Thin beziehungsweise Thick Client. Ganz zu schweigen von Problemen wie Virenschutz und allgemeiner IT-Sicherheit, die spätestens mit dem Erfolg des Internet eine dramatische Dimension erreicht haben.

Was wäre ohne den PC? Die entscheidende Frage kann heute aber nicht mehr sein, was ohne besagten Irrtum der IBM geschehen wäre. Erst recht nicht, ob die IT ohne PC heute besser dastehen würde und ob wir dann das Internet in seiner heutigen Form kennen und nutzen würden. Der vielleicht wichtigste Aspekt könnte indes - gerade angesichts eines solchen Jubiläums - sein, ob es die IT jetzt (endlich) schafft, den oft versprochenen Beitrag zur Produktivitätssteigerung zu leisten.

Doch zurück zum Geburtstagskind. "Eine beigefarbene Box aus Florida eroberte die Welt", hieß es dieser Tage in den zahlreichen Elogen auf den IBM-PC. Bisher weltweit rund 500 Millionen verkaufte "IBM-Kompatible" sprechen in der Tat Bände. Auch die Marktentwicklung, die damit einherging. Schließlich sind nicht nur die Anwender, sondern auch die IT-Chefs als Einkäufer durch den PC mündig geworden.Kein Geringerer als Intel-Gründer Andrew Grove wies vergangene Woche darauf hin, dass - wenn IBM den Bau seiner Rechner nicht lizenziert hätte - wohl ein anderer Hersteller, vermutlich Apple, das Rennen gemacht hätte.

Einiges spricht für, vieles gegen diese These. Doch während man bei der Apfel-Company, die weiland so publicityträchtig "Big Brother" den Garaus machen wollte, bis heute nicht so recht weiß, ob man sie zu den Gewinnern oder Verlierern des PC-Zeitalters zählen soll, machen fünf andere Namen deutlich, warum es auch in marktpolitischer Hinsicht berechtigt ist, den PC als Zäsur zu begreifen: Compaq, Dell, HP sowie natürlich Intel und Microsoft. Und man könnte, um die jüngere Vergangenheit zu strapazieren, ohne weiteres auch AOL, Yahoo, E-Bay und Amazon.com nennen.

Nichts ist also mehr so, wie es vor dem PC war. Auch in Zukunft? Schon seit geraumer Zeit läuten (interessierte) Untergangs-Propheten das Ende des PC-Zeitalters ein. Wer macht das Rennen als kommendes Internet-Zugangsgerät, kombiniert dabei besser die Erfordernisse von Business- und Consumer-Markt? Die illustre Schar der "Gegner" reicht von digitalen Handys, Handhelds und Notebooks bis hin zum - zumindest im Marketing der einschlägigen Hersteller immer noch existenten - Internet-fähigen TV-Gerät samt Settop-Box. Argumentieren können die PC-Skeptiker auch mit der aktuellen Marktentwicklung. Wie kaum ein anderes Segment leiden die PC-Firmen unter der derzeitigen Konjunkturflaute; erstmals seit 15 Jahren musste die nur auf Wachstum geeichte Branche im zweiten Quartal einen Nachfragerückgang hinnehmen.

Vieles spricht allerdings dafür, dass sich an der heutigen Rolle des PC als einer der tragenden Säulen der privaten und unternehmensweiten DV so schnell nichts ändern wird. Zumindest dürfte es abwegig sein, das baldige Verschwinden der Desktops zu prophezeien. So wie der Mainframe bis heute alle Downsizing-Trends überlebt hat und man bei vielen Anwendern pragmatisch dazu übergegangen ist, einfach nur zu fragen: "Welcher Server ist der richtige?", könnte es in fünf, zehn oder auch 15 Jahren heißen: "Welche individuelle Kommunikationsplattform ist die richtige?"