IT-Normen/Nur der Wandel ist bestaendig

Der PC-Markt hangelt sich von einer Norm zu der naechsten

26.04.1996

Ohne Standards sind Massenkonsum und Massenmarkt schlicht nicht denkbar, und selbst Nischen-Player nehmen standardisierte Verfahren als Basis ihrer oft exotischen Produkte her. Inwieweit Standards allerdings vom Markt akzeptiert werden, haengt nicht nur in hohem Masse davon ab, wer sie in welchem Zusammenhang entworfen hat und wie notwendig die besagte Standardisierung ist, sondern auch und vor allem davon, wer sich ueberhaupt daran haelt.

Hat sich in der traegen, aber dennoch hochsensiblen Masse "Konsument" ein Standard durch Abstimmung per Portemonnaie erst einmal etabliert, setzen sich neue Vereinbarungen - auch mit wesentlichen technischen Aenderungen - oft nur noch schwer oder gar nicht durch. Zu unterscheiden sind verschiedene Kategorien von Standards - natuerliche (zum Beispiel Schuhgroessen), zwangsdurchgesetzte (etwa postalische Kuvertgroessen) oder zumindest zum Teil zweckmaessige (beispielsweise DV-Standards). Gerade bei der letztgenannten Gruppe muss erst einmal ein echter oder zumindest scheinbarer Bedarf bestehen, damit sich das gewuenschte Gleichschaltungspotential in barer Muenze niederschlaegt.

Recht gut laesst sich die Entstehung eines De-facto-Standards an PC- Bus-Systemen nachvollziehen. Zu Beginn der PC-Zeitrechnung galt IBM-Kompatibilitaet mit dem ISA-Bus (Industrie-Standard- Architektur) jahrelang unumstritten als A und O der damals neuen Technik. Nach geraumer Zeit buhlten dann der von IBM 1987 entworfene MCA-Bus (Micro Channel Architecture) und der von einer Gruppe von Hardwareherstellern 1988 unter der Leitung von Compaq entwickelte EISA-Bus (erweiterter ISA-Bus) um die Gunst der Kunden.

Jeder konnte eigene Produkte herausbringen

So richtig durchsetzten konnte sich keiner von beiden. Obwohl die IBM-Entwicklung von Experten als das bessere System gepriesen wurde, schnitt der EISA-Bus erheblich besser ab. Er ist als wichtige Voraussetzung fuer die Akzeptanz durch den Markt abwaertskompatibel zum ISA-Bus - und vor allem gab es darauf im Gegensatz zu IBMs MCA keine Lizenzgebuehren. Jeder konnte, wenn er wollte, mitspielen und eigene Produkte aufsetzen.

Der Zwang zu einem vor allem auch schnelleren Bus-System war aber noch nicht so gross, dass die Masse der Anwender foermlich danach gegiert haette. So blieb der EISA-Bus eigentlich immer nur ein System fuer High-end-PCs.

Die Situation aenderte sich durch eine neue technische Entwicklung aus einer ganz anderen Ecke grundlegend. Ein De-facto- Betriebssystem-Standard fuer PCs namens Windows schaffte ganz neue Beduerfnisse. Vor allem der durch die grafische Benutzeroberflaeche sprunghaft gestiegene Durchsatz der Grafikkarten spielte hier den Ausloeser fuer den Bedarf eines schnellen Busses im Massenmarkt.

VL-Bus:Spezifikationen waren nicht klar genug

Der 1993 vorgestellte VL-Bus (Vesa Local) kam auf den Markt und brachte zwar Neues, durch die aus Kompatibilitaetsgruenden vorhandene gleichzeitige Nutzung des ISA-Busses mit der VL- Erweiterung als additivem Part waren jedoch einige Probleme vorprogrammiert. Mit allzu grosser Ueberzeugung wurde der VL-Bus daher nicht gerade angenommen, und auch die Spezifikationen waren wohl nicht klar genug, dass daraus ein echter Standard haette erwachsen koennen.

Anders beim 1994 vorgestellten PCI-Bus (Peripheral Component Interconnect). Dort stimmten alle Voraussetzungen dafuer, dass sich das System kurzfristig durchsetzen konnte. Der Bedarf war vorhanden, und aus technischer Sicht erfuhr das System von allen Seiten Lob, da es ein vollkommen neues und nicht durch alten Ballast gebremstes System war.

Zudem koennen in PCI-Rechnern durch die PCI-to-ISA- oder EISA- Bridge auch weiterhin alte Karten verwendet werden, ohne dass der schnelle Bus dadurch beeintraechtigt wuerde. Die (im Gegensatz zum VL-Bus) klare Spezifikation tat ein uebriges, so dass Probleme der Kompatibilitaet von vornherein minimiert wurden. Heute gilt dieser Bus als unumstrittener Standard, denn das System erfuellt alle Wuensche, und eine permanente Verbesserung durch neue genaue Spezifikationen laesst ihn nicht veralten.

Obwohl sich der Bus fuer mehrere Prozessoren verschiedener Hersteller eignet, beherrscht hier Intel im PC-Bereich ganz eindeutig den Markt. Und auch wenn andere Prozessoren zu ueber 99 Prozent gleiche Funktionalitaet bieten, geht hier vor allem bei den professionellen Anbietern die Sicherheit einer hundertprozentigen Kompatibilitaet durch den Griff zum Original vor.

Auch bei Betriebssystemen will jeder auf Nummer Sicher gehen. Novells DOS 7.0 besass unbestritten viele Vorteile gegenueber MS- DOS. Doch vor allem Windows-Anwender waren gut beraten, lieber zum Original MS-DOS 6.22 zu greifen, um moegliche Systemabfragen von seiten Windows und unvorhergesehene Schnackler bei einem Fremd-DOS von Anfang an auszuschliessen. So hatte das System keine Chance und ist de facto tot.

Ebenfalls auf einem absterbenden Ast lebt (noch) das 16-Bit- Windows. Seit ueber einem halben Jahr gibt es nicht mehr den Ton an. Softwarehaeuser, die ueberleben wollen, werden durch den De- facto-Windows-32-Bit-Standard mehr oder weniger gezwungen, neue 32-Bit-Versionen ihrer Programme herauszubringen. Die 16-Bit- Anwendungen laufen zwar meist auch auf Windows 95 und NT, jedoch sind Einschraenkungen vor allem in bezug zu den "echten" 32er Programmen vorhanden. Sollen mehrere Anwendungen zusammenarbeiten, ist der totale Umstieg manchmal unumgaenglich.

Wie komplett der Umstieg bisweilen vonstatten geht, verdeutlicht ein Beispiel: Die neueste Netscape-Navigator-Gold-Version fuer das Internet ist - zumindest derzeit - nur in 32-Bit-Technologie zu bekommen. Damit dieses Programm allerdings laeuft, muss auch ein 32- Bit-Winsock her, auf dem die bisherigen 16-Bit-Programme nicht mehr laufen wollen. So ist der 32-Bit-Umstieg manchmal schneller vonnoeten, als vielen Anwendern recht ist.

Standards make the world go round

Der parallele Betrieb von 16- und 32-Bit-Versionen des gleichen Programms zum Beispiel bei einem sanften Umstieg ist ohne einige Bastelarbeit kaum moeglich. Wer fummelt schon gern staendig in irgendwelchen Ini-Dateien und der Registry herum? So ist 32-Bit- Software fuer Windows 95 und damit auch NT auf dem besten Wege, zwangsweiser De-facto-Standard zu werden. 16-Bit-Software wird jetzt schon von den meisten Unternehmen nur noch dann vertrieben, wenn die 32-Bit-Version schon laengst auf dem Markt ist.

So krempelt ein neu erschienenes Betriebssystem mal eben den Markt um, und alle machen mit, denn eine nennenswerte Konkurrenz zu Microsofts Betriebssystemen gibt es im PC-Bereich bekanntermassen nicht. Ein einziges Unternehmen bestimmt also hier, was ab jetzt Standard wird, und alle anderen haben zu gehorchen - oder gehen unter.

Andere Microsoft-Produkte profitieren ebenfalls von dessen Marktbeherrschung. Winword, das von der Qualitaet her nicht unbedingt unumstritten ist, gilt so fast zwangsweise als der De- facto-Standard der PC-Textverarbeitungen. Auch die anderen Programme aus dem MS-Office-Paket benoetigen kaum noch Werbung, denn beim gleichen Hersteller ist die Wahrscheinlichkeit von Inkompatibilitaeten nun mal am geringsten.

Gluecklicherweise gibt es aber nicht nur Windows-Rechner auf dieser Erde, so dass in die PC-Welt auch einige Standards einwirken, die von anderen DV-Systemen stammen. Der Trend geht eindeutig dahin, dass bestimmte Standards wirklich loesungs- und laenderuebergreifend entstehen und so ein Zusammenwirken der verschiedensten IT-Systeme moeglich wird.

Das Internet ist ein solches Gebiet, auf dem Microsoft entgegen anderslautenden Behauptungen eindeutig nicht das Sagen hat. Dort herrscht noch echter Mitbewerb, und durch die schnelle Verbreitung ueber das Netz wechseln hier die Bedingungen auch noch rasanter als im uebrigen DV-Markt. Netscape hat sich hier gemausert: Das Unternehmen gilt als unumstrittener Marktfuehrer bei den WWW- Browsern. Kaum eine WWW-Seite erhaelt nicht den Hinweis, das sie am besten mit dem Netscape Navigator 2 betrachtet werden sollte, obwohl dieses Programm offiziell erst seit einigen wenigen Monaten existiert. Wer einmal den Unterschied zu vergleichbaren Internet- Betrachtern gesehen hat, laedt sich den neuen Browser auch schnell auf seinen Internet-Empfaenger (egal ob PC, Mac, Unix etc.).

Auch das Dateiformat Hypertext Markup Language (HTML), Version 3, setzt sich auf diese Weise im Netz rasend schnell durch. Die aktuellsten Internet-Kinder sind die Virtual Reality Modelling Language (VRML) und Java. Diese Portable/Interpretive Programming Language funktioniert systemuebergreifend und hat per Akklamation auf der Tastatur beste Chancen, schnell Standard im Internet zu werden.

Ein weiterer, von einem Industriekonsortium eingefuehrter Standard bestand inzwischen den Praxistest: MIDI. Das Musical Instrument Digital Interface arbeitet systemuebergreifend und wurde schon vor 13 Jahren von Instrumentenherstellern konzipiert. Im Atari ST, Mac oder PC, aber auch bei Synthesizern herrscht ueberall das gleiche System.

Soundblaster ist ein Sammelsurium

Dagegen ist eine andere Audiokomponente wieder ein eigener PC- Standard. Der Soundblaster, der vor allem durch die Verwendung in vielen DOS-Spielen eine grosse Verbreitung fand und zum Standard avancierte, ist allerdings schon laengst ein Sammelsurium aus vielen Unterabteilungen wie Soundblaster Pro, Soundblaster 16 oder 32 mit und ohne Value.

Bei Festplatten, CD-ROM-Laufwerken etc. steht sich die PC- Community teils selbst im Weg. Seit 1981 existiert SCSI (Small Computer System Interface), mit dem nicht nur Festplatten, sondern an einem Strang auch bis zu sieben CD-ROMs, Streamer, Scanner und Drucker zusammenarbeiten. Die Geraete sind einfach und lassen sich schnell an PC-Systeme anschliessen. SCSI wurde seitdem immer weiter entwickelt und gilt nach wie vor - zumindest im High-end-Bereich - als Standard.

Trotz dieses hervorragenden Systems ist IDE (Integrated Device Equipment) und Enhanced-IDE (E-IDE) mit allen seinen Untervarianten und mittlerweile tatsaechlich zwei Straengen e zwei Geraeten im PC-Bereich viel verbreiteter. Das AT-Bus-Interface ist ein paar Mark (im woertlichen Sinne) billiger und rechtfertigt aus dieser Sicht wohl bei manchen Herstellern, immer neue Varianten dieses Systems herauszubringen, obwohl SCSI so gut wie alles, was IDE und E-IDE erst muehsam "beigebracht" wurde, schon seit langem kann.

Doch nicht nur im tiefsten Inneren eines PCs existieren Standards und Standardbauteile. Auch die Eingabegeraete entsprechen einem Standard. 102-Tasten-MF-2-Tastatur mit obenliegenden Funktionstasten und die Microsoft-kompatible Zwei-Tasten-Maus sind so selbstverstaendlich, dass nicht mehr darueber geredet wird.

Obwohl es schon jede Menge genau definierte Dateiformate gibt, werden auch hier mit fast jedem Programm und jeder neuen Version wieder andere Formate kreiert oder alte aufgemoebelt. Fuer viele beruhigend, fuer manche erschreckend aber bleibt zumindest eines in der Computerwelt konstant: Texte werden nunmehr schon seit zig Jahren immer noch gern im ASCII-Format ausgetauscht, denn diesen Standard verstehen wohl wirklich alle Computer und Betriebssysteme. Der kleinste gemeinsame Nenner ist - so scheint es - immer noch der sicherste Standard.

Kurz & buendig

Einmal abweichend vom fokussierenden oder vorauseilenden Blick der aktuellen Berichterstattung ist hier ein Ueberblick - samt Rueckblick auf die Zeit vor Windows - gegeben, der einige Standards der PC-Szene und ihr Kommen und Gehen beleuchtet. Immer wieder andere Markt- und technische Randbedingungen machen Trends zu De- facto-Standards, und das in immer schnellerer Abfolge. Rueckzug auf Standardanwendungen, -protokolle und -rechnerarchitekturen ist kein Rezept, um zu ueberleben. Nur die kontinuierliche Integra- tion neuester Trends (allerdings mit Rueckzugsoption!) bringt innovative und effektive Installationen.

*Christian Schreiber ist freier Fachjournalist in Muenchen.