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Anwender sparen am Desktop

Der PC erreicht die Grenzen des Wachstums

09.05.2003
Vor der Krise galt der PC als Triebfeder für Fortschritt und Wachstum der IT-Branche. Zwar sind die Desktops nach wie vor nicht aus der Unternehmens-DV wegzudenken, doch sind sie mittlerweile zum reizlosen Arbeitsmittel degradiert.

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Vor der Krise galt der PC als Triebfeder für den Fortschritt und das Wachstum der gesamten IT-Branche. Zwar sind die Desktop-Rechner trotz aller Unkenrufe nach wie vor nicht aus der Unternehmens-DV wegzudenken, doch sind sie mittlerweile zum reizlosen Arbeitsmittel degradiert.

Die meisten kennen ihn, fast jeder nutzt ihn, mindestens einmal hat ihn jeder schon zum Teufel gewünscht: den PC, das Rückgrat der modernen IT und zugleich der persönliche Client der ersten Wahl. Doch im gegenwärtigen Mobilitätszeitalter ist mit dem gemeinen Tischrechner nicht mehr viel Staat zu machen - die Technik gilt als antiquiert. Auch haben sich die Prioritäten der Anwender im Laufe der Krisenjahre verändert: War es früher gut fürs Ego, einen schnelleren Rechner als die Kollegen vorzeigen zu können, ist man heutzutage froh, wenn man überhaupt noch einen eigenen Schreibtisch hat.

Kein Grund zur Eile

Seit der letzten großen Rollout-Welle anlässlich der Jahr-2000-Umstellung warten die einschlägigen Lieferanten darauf, dass Anwender in großem Stil ihre mittlerweile steuerlich abgeschriebenen Desktops gegen zeitgemäße Computer austauschen. Der diesbezügliche Druck auf Seiten der Unternehmen scheint sich allerdings in Grenzen zu halten. Als Statussymbol taugen Desktops jedenfalls nicht mehr - den aus heutiger Sicht eher unspektakulären Büroknechten stehlen schmucke Flachbildschirme, Smartphones, PDAs oder Notebooks zunehmend die Schau. Wolfgang Honold, IT-Leiter der Getzner Textil AG aus dem österreichischen Bludenz, bringt das Problem auf den Punkt: "Der PC ist zum normalen Werkzeug reduziert - ich will nicht sagen, degradiert - worden." Man brauche heute nicht unbedingt einen Rechner mit einer Taktfrequenz von 3

Gigahertz - "aber das war früher natürlich genauso". Früher hatte es es sich die heimische Wirtschaft allerdings leisten können, die Wünsche der Mitarbeiter zu erfüllen.

Auch Dieter Sinn, Managing-Partner bei dem Münchner Beratungsunternehmen Sinn-Consulting, erwartet keine unmittelbare Belebung des PC-Geschäfts: "Ich kann momentan weder einen technischen Impuls noch einen anderen Marktzwang wie seinerzeit die Jahr-2000-Umstellung erkennen, der zu kollektiven PC-Upgrades führen würde." Nach seinen Beobachtungen tauschen Anwender ihre Desktops zwar weiterhin aus, allerdings in geringerem Umfang und später. Als ein typisches Beispiel für die Daseinsverlängerung nicht mehr ganz taufrischer Rechnergenerationen nennt Sinn den immer häufiger angewandten Thin-Client-Ansatz.

Dünn ist in

Von der "autonomen" Hardwareplattform PC ein Stück weit verabschiedet hat sich beispielsweise die Sixt Autovermietung, die ihre älteren Desktops unlängst zu "dummen" Terminals umkonfiguriert hat. "Angesichts des Server-basierenden Programmablaufs und der damit verbundenen moderaten Leistungsanforderungen lassen sich diese Clients theoretisch auf unbegrenzte Zeit einsetzen", begründet IT-Produktionschef Hans-Joachim Schwarzer die Abkehr vom regelmäßigen Rechnerneukauf.

Für ein Windows-Startsystem und eine Verbindung zum Server sei diese Architektur allemal ausreichend. Triftige Gründe für eine groß angelegte Einkaufstour sieht Schwarzer demnach keine: "In der Paxis spricht heutzutage wenig für Neuanschaffungen." Und: Sollten die zu Terminals degradierten Desktops tatsächlich einmal das Zeitliche segnen, will Sixt sie ausschließlich durch dedizierte Thin-Client-Devices ersetzen.

Derweil macht sich die PC-Branche Mut mit Durchhalteparolen. Rund 160 bis 180 Millionen Desktops seien dieses Jahr weltweit reif für die Ablösung, verkündete Intel-Chef Craig Barrett im Frühjahr auf einem Entwicklerforum seiner Company. Auch Marktforscher wie IDC und Gartner spekulieren seit geraumer Zeit immer wieder auf eine Systemaufrüstung im großen Stil. Bislang hat sich die Hoffnung indes nicht erfüllt, und mit jedem Quartal wächst der Druck auf die IT-Konzerne.

Ausnahmen bilden zumeist Unternehmen, die sich für langfristige Leasingverträge und somit für ein regelmäßiges Upgrade entschieden haben. So will etwa die Commerzbank dieses Jahr in 30.000 neue PCs investieren. "Leasing gibt uns die Möglichkeit, technisch stets auf einem einheitlichen Spitzenniveau zu sein", ist IT-Sprecherin Gisela Hawickhorst von den Vorteilen überzeugt. Auch glaubt sie, mit dem Leasingansatz sowohl hinsichtlich IT-Betrieb und -Wartung als auch in Bezug auf die Kosten günstiger zu fahren.

Doch derartige Großbaustellen sind heutzutage in einer rezessiven Wirtschaft selten geworden. Häufig trennen sich Anwender von betagteren Rechnergenerationen, weil sie sich in der Vergangenheit einmal auf einen PC-Austauschzyklus von drei oder vier Jahren festgelegt haben oder ihre Leasingverträge den Modellwechsel turnusgemäß vorsehen. Während die Ablösezyklen bei vielen Großen aufgrund bestehender, langfristiger Finanzierungsverträge teilweise noch verhältnismäßig kurz ausfallen, zeigen sich mittelständische Anwender deutlich ausdauernder: "Kleinere Unternehmen nutzen ihre Rechner in der Regel, solange sie halten", beobachtet Mathias Scheibe, Berater bei ADR Consulting in Oberhaching.

Doch auch unter den Großunternehmen finden sich immer mehr, die länger an ihren PCs festhalten: So verlängerte beispielsweise die Nürnberger Datev den internen Nutzungszeitraum ihrer rund 12.500 PCs. "Wir lassen die Desktops langsam in Bereiche hinausmigrieren, in denen die Anforderung an die Rechnerleistung nicht mehr steigt", beschreibt Werner Bast, Leiter IT-Support beim fränkischen Software- und Serviceanbieter, das Prozedere.

Auch Henrik Klagges, Managing Partner der IT-Beratung TNG Technology Consulting, geht davon aus, dass sich die Upgrade-Zyklen im Durchschnitt verlängern: "Die heutigen Clients sind gut genug für Anwendungen wie Office-Programme, Mail-Clients oder Browser." Mit einer großen Investitionswelle rechnet er nicht, denn dafür sitze den Firmen gegenwärtig das Geld zu knapp. Daher gehe der Trend in den Anwenderunternehmen weg vom Rundum-Rollout und hin zum punktuellen Ersatz etwa für defekte Geräte. "Der Lebenszyklus der Rechner ist mittlerweile von drei auf bis zu fünfeinhalb Jahre gedehnt worden", bestätigt auch IT-Berater Sinn.

Das abwartende Verhalten vieler Unternehmen mag auch daher rühren, dass die Argumente der Lieferanten für die regelmäßige Aufrüstung der PC-Flotten nicht mehr verfangen: Das Problem der Rechner sei nicht ihre Anschaffung, sondern der laufende Betrieb, lautet das Mantra. Der Support schlucke 80 Prozent der Gesamtkosten, während der kleine Rest auf den Einstandspreis entfalle. Daher würden Anwender am falschen Ende sparen, wenn sie ihre Rechner veralten ließen - je älter der Desktop, desto schneller stiegen die Kosten.

Upgrade-Zyklen werden länger

Thomas Karg, Geschäftsführer der Münchner IT-Beratung Maturity, hält diese Argumente zumindest für "fragwürdig". Ein stabiles PC-System im Alter von drei Jahren erfordert seiner Meinung nach einen ähnlichen Wartungsaufwand wie ein lediglich drei Monate alter Rechner. Da dies auch immer mehr Anwender erkennen würden, dehne sich der Lebenszyklus der Desktops kontinuierlich aus: "Der Austausch wird so weit wie möglich herausgezögert", sagt Karg. Zwar hätten Firmen ihre Ersatzbeschaffung schon immer gelegentlich verschoben, in wirtschaftlich angespannten Zeiten werde dies jedoch erst recht versucht.

Das veränderte Nutzungsverhalten der Unternehmen wirkt sich zwangsläufig auch auf die PC-Marktzahlen aus. Zwar registrierten die Analysten von IDC im ersten Quartal 2003 in Europa, dem Nahen Osten und Afrika (EMEA) noch einen Stückzahlenzuwachs um immerhin 4,5 Prozent. Doch erreicht wurde dieses Wachstum nur, weil der osteuropäische Absatz (plus 21 Prozent) boomt. Hinzu kommt, dass der starke Anstieg der Notebook-Käufe die aktuellen PC-Zahlen verzerrt. In Westeuropa hingegen, wo das Geschäft nach Angaben der Experten in den ersten drei Monaten dieses Jahres "flau" gewesen ist, dürfte das Wachstum zum Stillstand gekommen, wenn nicht sogar geschrumpft sein.

Wenig technische Impulse

Auch das Erscheinen von Windows XP, das bislang noch keine Windows-98-Flucht auf breiter Front ausgelöst hat, konnte das schleppende Desktop-Geschäft nicht spürbar anschieben. Offenbar geht die alte Wintel-Rechnung "Neues Windows gleich neuer Rechner" nicht mehr auf: Windows XP läuft auch auf einem Pentium III, getaktet mit 500 Megahertz - zwar langsam, aber doch relativ stabil.

Infolge der Gesamtentwicklung dürfte der deutsche PC-Markt - statt von Nachfragespitzen wie dem synchronisierten Kaufrausch zur Jahr-2000-Umstellung - künftig nur noch von moderaten Veränderungen gekennzeichnet sein. Zudem sorgen die Entlassungswellen in vielen Firmen dafür, dass Arbeitsplätze verwaisen und gebrauchtes Equipment auf den Markt kommt.

Dennoch gibt es auch zu Flautezeiten IT-Szenarien, die Anwender an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen lassen. So werden etwa die Sachbearbeiter der Mainzer Bausparkasse mit Desktops ausgestattet, die das Arbeiten an jeweils zwei Bildschirmen ermöglichen. Das so genannte Monitor-Splitting erfordert allerdings neue Grafikkarten, die wiederum ein moderneres Betriebssystem im ganzen Haus sowie entsprechend leistungsfähige Clients nach sich ziehen. "Ohne dieses Projekt hätten wir wohl noch mindestens ein Jahr weiter auf Windows NT gesetzt und die Migration zu XP ausgesessen", räumt Robert Pfeifer, Hauptabteilungsleiter Organisation der Bausparkasse Mainz, ein.

Eile scheint angesichts der gegenwärtigen Situation jedoch nicht geboten - und ob sie jemals angebracht war, ist zumindest fraglich: "Wir sind schon immer dem Prinzip gefolgt, unsere PCs nicht alle auf einmal abzulösen", berichtet etwa Harald Fehsenfeld, IT-Leiter der Eckes AG in Nieder-Olm. Die Hardware der rund 700 Clients sei kontinuierlich ausgetauscht worden, sobald sie ein gewisses Alter erreicht hatte. Laut Fehsenfeld laufen die Eckes-PCs durchschnittlich vier Jahre - die wirtschaftliche und geopolitische Situation habe daran nichts geändert. In Zeiten wie diesen gilt Business as usual bereits als eine gute Nachricht. (kf/ajf)