Interview mit Jan Mrosik, CEO von Siemens Digital Factory

"Der Nutzen von MindSphere für den User kommt durch die Apps"

22.03.2018
Von  und
Jürgen Hill ist Chefreporter Future Technologies bei der COMPUTERWOCHE. Thematisch befasst sich der studierte Diplom-Journalist und Informatiker derzeit mit aktuellen IT-Trendthemen wie KI, Quantencomputing, Digital Twins, IoT, Digitalisierung etc. Zudem verfügt er über einen langjährigen Background im Bereich Communications mit all seinen Facetten (TK, Mobile, LAN, WAN). 


Manfred Bremmer beschäftigt sich mit (fast) allem, was in die Bereiche Mobile Computing und Communications hineinfällt. Bevorzugt nimmt er dabei mobile Lösungen, Betriebssysteme, Apps und Endgeräte unter die Lupe und überprüft sie auf ihre Business-Tauglichkeit. Bremmer interessiert sich für Gadgets aller Art und testet diese auch.

MindSphere für AWS

MindSphere kommt in den unterschiedlichsten Fertigungsbereichen (hier eine Lackiererei) zum Einsatz.
MindSphere kommt in den unterschiedlichsten Fertigungsbereichen (hier eine Lackiererei) zum Einsatz.
Foto: Eisenmann SE

CW: Mittlerweile ist die MindSphere Version 3 verfügbar. Was hat sich geändert?

Mrosik: Es hat sich einiges geändert, etwa die Verfügbarkeit der MindSphere. Nach SAP Hana ist MindSphere nun auch auf Amazon Web Services (AWS) erhältlich. Zudem können wir nun Funktionen, die bei der Amazon Cloud schon unter der Motorhaube stecken, direkt in MindSphere nutzen. Das sind beispielsweise die dort vorhandenen Analytics-Fähigkeiten. Zur Programmierung eigener MindSphere-Apps können Anwender auch die AWS-Entwicklungs-Tools nutzen.

Ferner haben wir die Analysefunktionen erweitert und bieten eine leistungsfähigere Entwicklungsumgebung. Ebenso wurde die Connectivity ausgebaut und die Zahl der unterstützen Protokolle erhöht, die Palette reicht jetzt von OPC UA bis ModBus.

CW: Was hat der Anwender davon?

Mrosik: Wir sorgen dafür, dass wir mit MindSphere eine solide Basis liefern, auf die andere aufbauen können. Eines muss man aber auch einmal deutlich sagen, das Wesentliche sind die Applikationen, die Softwareentwickler, Integratoren, Service-Anbieter und Dienstleister anbieten, denn hier entstehen die differenzierten Ideen.

Wir gewährleisten, dass die Daten zuverlässig gesammelt werden können. Dazu stellen wir ein hochperformantes Werkzeug zur Verfügung, aber die Kreativität, mit der neue Apps und Dienstleistungen entstehen, das ist der eigentliche Mehrwert.

Die Ziele der Anwendervereinigung MindSphere World.
Die Ziele der Anwendervereinigung MindSphere World.
Foto: MindSphere World

CW: Sie haben verschiedentlich die Bedeutung von Partnerschaften erwähnt, welche Rolle spielt hier die MindSphere World?

Mrosik: Die Gründung von MindSphere World ist ein weiterer wichtiger Schritt, um die weltweite Verbreitung des Ökosystems rund um MindSphere als offenes IoT-Betriebssystem zu fördern. Zudem wollen wir mit der MindSphere World die einzelnen Mitglieder bei der Entwicklung und Optimierung von IoT-Lösungen auf MindSphere sowie der Erschließung neuer Märkte in der digitalen Wirtschaft unterstützen. Dazu gehören Vorschläge zu Anforderungen an das IoT-Betriebssystem MindSphere und zum Beispiel Empfehlungen zur Schaffung einheitlicher Spielregeln für die Datennutzung. Der Verein fördert darüber hinaus Wissenschaft, Forschung und Lehre rund um MindSphere.

IoT führt zur Shared Economy

CW: Neben Partnerschaften sprechen Sie oft von der Bedeutung der Offenheit. Der Gedanke der Shared Economy war bislang eher eine Domäne ihrer US-amerikanischen IoT-Konkurrenten?

Mrosik: Bei unseren Softwaresystemen finden Sie eine Menge Komponenten, die wir nicht selbst programmieren. Hier setzen wir auf Vorhandenes auf, weshalb wir es bereits aus der Vergangenheit gewohnt sind, mit anderen zu kooperieren.

Der zweite Punkt ist in der Tat, dass im Wettbewerbsumfeld von IoT ein Ökosystem entsteht, das ein Shared-Economy-Modell ist. Das ist deshalb entscheidend, weil ein entsprechendes IoT-Betriebssystem dann skalieren muss. Und es kann nur dann skalieren, wenn sie einen möglichst großen Teil des Marktes in Bewegung setzen. Deshalb müssen Systeme wie MindSphere möglichst offen sein, denn nur so erreichen Sie eine möglichst große Verbreitung.

Der dritte Punkt ist, dass Sie nicht für jedes System, jeden Anwendungsfall eine Applikation selbst schreiben können - selbst ein sehr großes Unternehmen wie Siemens hat nicht in jedem Bereich das erforderliche Know-how. Deshalb baut unser Ansatz von vornherein auf Kooperation. Anders funktioniert das nicht.

In der "Arena der Digitalisierung" in Bad Neustadt an der Saale zeigt Siemens auf über 800 Quadratmetern Kunden und Partnern, wie Digitalisierung in der Metallbearbeitung und Motorenproduktion eingesetzt wird.
In der "Arena der Digitalisierung" in Bad Neustadt an der Saale zeigt Siemens auf über 800 Quadratmetern Kunden und Partnern, wie Digitalisierung in der Metallbearbeitung und Motorenproduktion eingesetzt wird.
Foto: Siemens AG

CW: Wie ist denn die Stellung des Bereichs Digital Factory innerhalb des Konzerns? Sind Sie primär Haus- und Hoflieferant anderer Siemens-Bereiche oder ist Ihr Hauptziel, externen Umsatz zu generieren?

Mrosik: Die Siemens Digital Factory ist eine Division innerhalb des Konzerns. Sie ist für das weltweite Geschäft mit externen Kunden verantwortlich, wobei wir natürlich auch im eigenen Hause Abnehmer haben: weltweit rund 200 Fabriken. Dort setzen wir unsere Software, die Automatisierung und MindSphere ein.

Wenn Sie sich unseren Umsatz anschauen, dann sind wir mit 11,4 Milliarden Euro Umsatz und rund 51.100 Mitarbeitern natürlich eine extern orientierte Einheit. Aber von der Fülle an Erfahrungen, die wir innerhalb des Hauses machen, profitieren auch unsere Kunden.

Die Anwender fragen durchaus: Wie habt Ihr es bei Euch gelöst? Wie sind Eure Erfahrungen? Könnt Ihr uns das in der Praxis zeigen? Dann sagen wir: "Sie sind herzlich nach Bad Neustadt an der Saale, Amberg oder in ein anderes Werk eingeladen, um sich anzuschauen, wie wir es gelöst haben."

Mit unserer Digital Enterprise Suite bietet unsere Division Kunden aus der Fertigungsindustrie ein breites Angebot an industrieller Software und weltweit führenden Automatisierungstechnologien. Sie umfasst den gesamten Lebenszyklus des Produktes sowie der Produktion. Die Basis bildet Teamcenter, eine kollaborative Softwareplattform für Products Data Management und zentraler Daten-Backbone.

Neben der Digital Enterprise Suite hat Siemens ein umfassendes Portfolio an industrieller Kommunikation, Sicherheitslösungen und industriellen Services, um ganzheitlich die digitale Transformation für seine Kunden realisieren zu können

Siemens Digital Factory in Amberg.
Siemens Digital Factory in Amberg.
Foto: Siemens

Wichtig ist, dass wir einen gemeinsamen Dialog führen können, um im Rahmen der Digitalisierung den besten Weg zu finden, Den allein seligmachenden Weg, der überall funktioniert, egal welche Größe das Unternehmen hat, egal was es produziert, gibt es leider nicht. Der passende Weg muss sehr sorgfältig an Hand von Business- und Nutzenplänen errechnet und ermittelt werden.

CW: Wo steht Deutschland bei der digitalen Transformation?

Mrosik: Diese Frage lässt sich so pauschal nicht beantworten. Es gibt Unternehmen, die extrem weit fortgeschritten sind. Aber es gibt viele, für meinen Geschmack zu viele Unternehmen, die sich mit dem Gedanken der Digitalisierung noch nicht auseinandergesetzt haben. Das ist aber kein rein deutsches Phänomen. Eine solche Transformation passiert aber nicht über Nacht, sondern ist ein Prozess.

CW: Welche Tipps haben Sie dazu?

Mrosik: Mein Rat für die Digitalisierung in Summe lautet: Beginne jetzt und beginne auch im Kleinen, gehe kleine Schritte. Das gilt ebenso für MindSphere: Anschließen und loslegen, mit Basisthemen beginnen und Transparenz generieren.

So haben wir in Bad Neustadt an der Saale begonnen. Wir haben einfach unsere Maschinen angeschlossen - ohne große künstliche Intelligenz. Auf diese Weise begannen wir festzustellen, wann die Maschinen laufen und wann sie stillstehen und warum. Später fingen wir an, die Komplexität Stück für Stück hochzutreiben, um mehr Information zu erhalten, um so weitere Rückschlüsse für weitere Maßnahmen zu gewinnen.

Wichtig ist dabei, die Mannschaft mitzunehmen, dann bringen die Mitarbeiter selbst Ideen ein, wo noch Verbesserungspotenzial liegt. Deshalb besser heute anfangen als morgen - das gilt für die gesamte Digitalisierungskette. So kommen Sie zu neuen Ideen, neuen Geschäftsmodellen, vorbeugender Wartung, und eventuell zu völlig neuen Dingen, an die man vielleicht so noch gar nicht gedacht hat.