Der Notstand der heutigen DV ist durch Umbau nicht zu beheben

13.10.1989

Dr. Wolfgang Zillessen

Senior Consultant Arthur D. Little International, Wiesbaden

Welche DV-Fachpublikation oder Management-Zeitschrift man in letzter Zeit auch aufschlägt, der "Informationsmanager" als Dirigent der Informationsverarbeitung (IV) scheint zum Schlagwort der ausgehenden 80er Jahre geworden zu sein. Unmittelbar damit verknüpft werden dann Diskussionen über die richtige hierarchische Positionierung des Org./DV-Leiters und dessen Mitwirkung auf Geschäftsführungs- oder Vorstandsebene. Auf diese Weise soll ein wesentlicher Beitrag geleistet werden, die durch die mangelnde strategische Ausrichtung der Datenverarbeitung entstandenen Probleme zu lösen.

In der Tat ist die Situation in zahlreichen Unternehmen zur Zeit nicht gerade einfach. Auf der einen Seite sind die Jahre, in denen durch Einführung neuer IV-Anwendungen hohe Produktivitätssteigerungen im operativen Bereich erzielt werden konnten, aufgrund der hohen Penetration der Datenverarbeitung in vielen Unternehmen vorbei. Selbst dort, wo auf der operativen Ebene noch wesentliche Rationalisierungseffekte erzielt werden könnten, müssen IV-Budgets überwiegend für die Erhaltung und Veränderung bereits existierender Systeme aufgewendet werden; der Spielraum für echte Neuinvestitionen zur Produktivitätssteigerung wird immer kleiner.

Auf der anderen Seite steigt die Nachfrage nach IV-Anwendungen, die die Informationsversorgung für Kontroll- und Steuerungsfunktionen sowie für Aufgaben auf der Planungs- und Strategieebene verbessern sollen. Derartige Informationssysteme sind über eine klassische Kosten-/Nutzenrechnung kaum mehr zu rechtfertigen. Darüber hinaus zeigen sie nur allzuoft das ganze Dilemma der Datenverarbeitung in vielen Unternehmen auf: Die Systeme auf der operativen Ebene sind historisch gewachsen und damit oft schlecht integriert. Die technologische Basis geht nicht selten noch auf die Lochkartenzeit zurück; Veränderungen an solchen Systemen, deren Nutzen kaum mehr rechenbar ist, führen zu hohen Kosten.

Sollen auf einer derartigen Basis moderne Systemarchitekturen für die 90er Jahre mit aufgesetzten Informationssystemen aus eigener Kraft heraus realisiert werden, so sind in vielen Unternehmen erneut hohe Investitionen in Anwendungssoftware erforderlich: Anforderungen und Konzepte wie etwa Datentransparenz über mehrere Ebenen einer Rechnerarchitektur hinweg, einheitliche Benutzeroberflächen, Portabilität und Modularität von Software erfordern eine professionelle fabrikmäßige Erstellung operativer Anwendungssysteme in einer durchgängigen Systementwicklungsumgebung.

In dieser Ausgangssituation wird der Ruf nach dem Informationsmanager immer lauter. Eine engere Verbindung von Unternehmensstrategie und lnformationsverarbeitung sei erforderlich, und durch Qualifizierung und bessere Positionierung des Org./DV-Leiters auf Geschäftsführungsebene soll eine bessere strategische Ausrichtung erreicht werden.

Was ist tatsächlich mit dem Vorwurf der mangelnden strategischen Orientierung der Informationsverarbeitung gemeint? Üblicherweise trifft man heute zumeist auf zwei Problembereiche: Erstens ist die Informationsversorgung im Unternehmen nicht ausreichend strategisch ausgerichtet, das heißt, den verschiedenen Managementebenen im Unternehmen werden nicht jene Informationen zeit- und qualitätsgerecht bereitgestellt, die sie für die Messung von Zielerreichung, kritischen Erfolgsfaktoren sowie für Planungszwecke tatsächlich benötigen.

Zweitens ist die Systemarchitektur historisch bedingt heterogen, sie bindet hohe Ressourcen. Dies wiederum führt dazu, daß Veränderungen an existierenden IV-Anwendungen so teuer werden, daß ein Unternehmen sich einen größeren Umbau in seiner Anwendungslandschaft eigentlich gar nicht mehr leisten kann.

Durch Personifizierung dieses Dilemmas der mangelnden strategischen Ausrichtung der Informationsverarbeitung in Form eines Informationsmanagers wird an der geschilderten Situation jedoch recht wenig geändert, vielmehr werden beide Problembereiche auf gefährliche Weise miteinander vermischt.

Erforderlich ist hingegen eine klare Trennung der Verantwortlichkeiten zwischen "Management of Information" und "Management of Technical Services".

"Management of Information" besteht insbesondere darin, über die unbedingt erforderlichen Zwischenschritte, nämlich Funktionen, Ziele, Meßgrößen und kritische Erfolgsfaktoren den Informationsbedarf systematisch abzuleiten und zu strukturieren. Das Problem der mangelnden strategisch orientierten Informationsversorgung liegt häufig schon darin begründet, daß bei der Gestaltung der operativen Systeme der gesamte Informationsbedarf in dieser Form nicht abgeleitet wird. Viele Daten, die auf der operativen Ebene jedoch nicht gesammelt werden, können später auch nicht als Informationen zur Messung der Zielerreichung ausgewertet werden.

Den Informationsbedarf systematisch abzuleiten und zu strukturieren und alle damit zusammenhängenden Aufgaben wahrzunehmen, ist Verantwortung jeder Fachfunktion und Führungsebene im Unternehmen und kann nicht delegiert oder in einer gesonderten Funktion "Informationsmanagement" zusammengefaßt werden.

Nicht selten wäre es sogar erforderlich, vor der Gestaltung von Informationssystemen einen regelrechten betriebswirtschaftlich ausgerichteten "Information Needs Review" vorzuschalten, da nicht jede Fachfunktion in der Lage ist, ihren Informationsbedarf unternehmenszielorientiert zu beschreiben.

"Management of Technical Services" umfaßt die Bereitstellung technischer Spezialkenntnisse für Entwicklung und Betrieb von IV-Anwendungen sowie das Management der technischen Ressourcen. Auch hier müssen langfristige strategische Entscheidungen, wie etwa die Festlegung der Vendor-Politik, getroffen werden. In diesem Fall muß, abgesehen von klaren betriebswirtschaftlichen Kosten-/Nutzenkriterien, auch die Einschätzung der langfristigen Stabilität eines Lieferanten auf der Basis technischer Fachkenntnisse erfolgen.

AIlerdings sind noch lange nicht alle technischen Fragen tatsächlich so strategisch, wie dies manchmal vorgegeben wird. Die Einführung eines Bürokommunikationssystems sollte beispielsweise ebenso betriebswirtschaftlichen Kosten-/Nutzenrechnungen unterworfen werden wie Fragen der optimalen Größe von Mainframe-Rechenzentren oder Untersuchungen zum Downsizing. Und ob zum Beispiel der oft als strategisch begründete Umbau einer operativen Anwendungslandschaft von hierarchischen zu relationalen Datenbanksystemen tatsächlich rechenbare Vorteile erbringt, muß zumindest angezweifelt werden - insbesondere dann, wenn damit wenig zusätzliche betriebswirtschaftliche Funktionalität trotz hohem Aufwand bereitgestellt wird und die nächste Generation der objektorientierten Datenbanksysteme bereits vor der Türe steht.

In organisatorischer Hinsicht bedeutet eine klare Trennung von Verantwortlichkeiten, daß alle jene Aufgaben, für die im Sinne von "Management-of-Information"-Expertise über die geschäftlichen Strategien und Abläufe im Vordergrund steht, allen Geschäftsfunktionen unmittelbar zugeordnet werden müssen. Damit ist in jedem Funktionsbereich und auf jeder Führungsebene eines Unternehmens echtes "Business Information Management" wahrzunehmen.

Im Sinne von "Business Information Management" übernehmen die Fachbereiche und Führungsebenen im Unternehmen die Verantwortung für die Gestaltung und die effiziente Nutzung der Informationsverarbeitung. Das bedeutet, Fachbereiche spezifizieren nicht nur ihre Anforderungen an IV-Anwendungen, sondern sie sind für den gesamten Plan zur Informationsverarbeitung ebenso verantwortlich wie für die Einführung und Betreuung konkreter IV-Anwendungen. Nur wenn Fachbereiche für die organisatorische Einführung von Informationssystemen zuständig sind, lassen sich auch die von Peter Drucker und anderen Schulen immer wieder betonten Effekte einer Abflachung der Organisationsstruktur durch bessere Informationsversorgung erreichen.

Damit eine derartige Übernahme von Verantwortung tatsächlich auf allen Führungsebenen im Unternehmen wirksam wahrgenommen werden kann und nicht an sogenannte "Fachkoordinatoren" ohne echte Entscheidungsbefugnisse und Verantwortlichkeiten delegiert wird, müssen einige wichtige Voraussetzungen geschaffen werden:

- Es muß ein Informationsplan existieren, der über mehrere Jahre hinweg beschreibt, wie die Anwendungslandschaft zur Abdeckung der Informationsbedürfnisse des Unternehmens über einen Zeitraum von mehreren Jahren hinweg weiter zu entwickeln ist.

- Der Informationsplan muß so aufgebaut sein, daß er dem Management die Möglichkeit bietet, zielorientiert Prioritäten zu setzen, die Einhaltung des Plans zu kontrollieren und im Zeitablauf steuernd eingreifen zu können.

- Um sicherzustellen, daß bestimmte Aufgaben tatsächlich aus der Geschäftsfunktion heraus wahrgenommen werden, berichten die einzelnen Führungskräfte im Rahmen ihres Geschäftsplanes auch über die Nutzung von Informationsverarbeitung in ihrem Verantwortungsbereich.

- Da eine Übernahme von Verantwortung entsprechende Expertise erfordert, müssen Führungskräfte und Fachbereiche mit Basiswissen über Architekturen und Konzepte der Informationsverarbeitung ausgestattet werden.

Insbesondere die beiden zuletzt genannten Aspekte sind für die praktische Realisierung von besonderer Bedeutung. So wie eine Führungskraft bestimmte Aufgaben im Sinne des Personalmanagements wahrzunehmen hat, ist jeder Entscheidungsträger auch ein Stück Business Information Manager und muß insofern auch über die effiziente und effektive Nutzung von Informationsverarbeitung Bericht erstatten.

Für die operative Durchführung bestimmter Aufgaben im Rahmen der Gestaltung, Einführung und Betreuung von IV-Anwendungen wird es darüber hinaus Mitarbeiter innerhalb jeder Fachfunktion geben, die diese Aufgaben wiederum mit direkter Berichterstattung an die jeweilige Managementebene wahrnehmen. Um diese Mitarbeiter nicht zu sehr zu spezialisieren und damit die Abgrenzung zu den Aufgaben der Org./DV-Abteilung wieder zu erschweren, sollten konkrete Mitarbeiter derartige Aufgaben beispielsweise nicht länger als zwei bis drei Jahre übernehmen. Dadurch wird zusätzlich eine breitere Penetration des Know-hows über Aufgaben des Business Information Management im Unternehmen erreicht.

Der Aufbau von Know-how über Konzepte und Architekturen der Informationsverarbeitung ist eine entscheidende Voraussetzung für die Übernahme von Verantwortung.

Praktische Beispiele haben gezeigt, daß durch eine ausschließlich verordnete Übernahme von Verantwortung IV-Projekte in zweistelliger Millionenhöhe als Fehlinvestitionen abgeschrieben werden mußten, weil Fachbereiche für etwas verantwortlich gemacht wurden, von dem sie zu wenig verstanden und für das es keinen übergeordneten PIan gab.

Weltweit durchgeführte Projekte haben häufig gezeigt, daß eine klare Trennung von Verantwortlichkeiten im Sinne von "Management of Information" und "Management of Technical Services" entscheidend für eine effiziente Nutzung der lnformationsverarbeitung ist. Jede Vermischung in der Funktion eines "lnformationsmanagers" fördert die Konsumentenhaltung auf der Seite der Fachfunktionen und verhindert, daß sich das Management über seine wichtige Rolle im Rahmen der Gestaltung der Informationsverarbeitung bewußt wird.

Neuere technische Entwicklungen wie die wachsende Leistungsfähigkeit von Werkzeugen der individuellen Datenverarbeitung sowie die zunehmende Verfügbarkeit von operativen Standard-Softwarelösungen werden die Rollenverteilung im Unternehmen zusätzlich beeinflussen.