Der neue Siemens-Chef räumt auf

01.02.2005
Der frisch gebackene Siemens-Boss Klaus Kleinfeld hat mit der Konzernsparte Siemens Communications und dem IT-Dienstleister SBS zwei schwierige Sanierungsaufgaben zu lösen.

Heinrich von Pierer wollte sich seine Abschiedsgala auf der Hauptversammlung der Siemens AG in München wohl nicht verderben lassen. Kein Wort verlor der scheidende Vorstandsvorsitzende vergangene Woche bei seinem letzten Auftritt als CEO über den bevorstehenden Abbau von 1350 Stellen in der Konzernsparte Siemens Communications. Und auch sein Nachfolger Klaus Kleinfeld schwieg an diesem Tag beharrlich. Er ließ die Katze erst 24 Stunden später aus dem Sack - an seinem ersten Arbeitstag als neuer Siemens-Chef.

Von Pierer wird Aufsichtsratschef

Die Geheimniskrämerei war ein abgekartetes Spiel. Nichts sollte den perfekt inszenierten Abtritt von Pierers trüben. Schon gar nicht eine schlechte Nachricht an das versammelte Aktionärs- und Stimmvolk, unter dem sich traditionell viele Siemens-Mitarbeiter befinden. Eine Hiobsbotschaft hätte im Extremfall von Pierers Wechsel an die Spitze des Aufsichtsrats gefährdet. Immerhin hatte er die Geduld der Angestellten gegen Ende seiner Amtszeit auf eine harte Belastungsprobe gestellt.

Unter seiner Ägide fand in der Kommunikationssparte bereits ein radikaler Kahlschlag bei den Arbeitsplätzen statt. Und von Pierer war es auch, der in Deutschland die Abwanderungsdebatte anzettelte und damit an mehreren Standorten eine Ausweitung der Wochenarbeitszeit erzwang. Beschäftigten und Gewerkschaften stieß das sauer auf. Wie sauer, war vor der Münchner Olympiahalle zu hören. Dort machten verbitterte Siemens-Mitarbeiter und Gewerkschafter ihrem Ärger lautstark Luft.

Pfiffe draußen, Applaus drinnen - ein Kontrast, der zeigt, dass von Pierer mit seinem Abgang nicht alle versöhnte. Während er sich von den Aktionären mit glänzenden Ergebnissen für das Geschäftsjahr 2004 und das erste Quartal 2005 verabschiedete, hinterlässt er seinem Nachfolger einige offene Baustellen. Die größte Problemzone ist die Konzernsparte Siemens Communications, in der mit Beginn des neuen Fiskaljahres im Oktober 2004 das Festnetz- und Mobilfunkgeschäft zusammengeführt wurden. Das zweite Sorgenkind ist der IT-Dienstleistungsbereich Siemens Business Services (SBS).

Auf Kleinfelds Schultern liegt nun die Verantwortung, die beiden Krisenherde auf Rendite zu trimmen. Für den Neuen, der sich den Aktionären auf der Hauptversammlung nur mit seinem Markenzeichen - einem breiten Lächeln - präsentierte, steht viel auf dem Spiel. Nach einem Nettoquartalsgewinn von einer Milliarde Euro liegt die Messlatte für ihn besonders hoch. Außerdem hat er einen Ruf als hart durchgreifender Manager zu verlieren. Kleinfeld war es, der die einst angeschlagene Medizintechnik zur profitabelsten Einheit des Konzerns umbaute. Sein Meisterstück lieferte er, als er das marode US-Geschäft in Ordnung brachte. Die Folge war der Ruf auf den Chefsessel.

Mit Siemens Communications und SBS warten nun zwei weitere Brocken auf ihn, wobei die Kommunikationssparte wohl die größte Herausforderung darstellt. Mit diesem Bereich, der mit Einnahmen von 17 Milliarden Euro ein Viertel zum gesamten Konzerumsatz beisteuert, hat er eine gewaltige Aufgabe in Sachen Integration und Ausrichtung zu stemmen. Eine, die er selbst mit geschaffen hat, den Kleinfeld war es, der sich als designierter CEO für die Verschmelzung der Festnetz- und Mobilfunkeinheiten aussprach.

Allerdings brachte sein Vorschlag von Pierer auch in Nöte, weil es nicht gelang, für die neue Sparte rechtzeitig ein Strategiekonzept und Budget festzulegen. Das war peinlich, denn von Pierer musste deshalb bei der Präsentation der Jahresergebnisse im November eine Konzernprognose für 2005 schuldig bleiben.

Verantwortlich für die Unsicherheiten in der Kommunikationssparte ist vor allem das Handy-Geschäft, das seit Sommer letzten Jahres rote Zahlen schreibt. 141 Millionen Euro Verlust im vorletzten Quartal folgten nun erneut 143 Millionen Euro Miese. Gegenüber dem Vorjahr sanken Umsatz und Anzahl der verkauften Geräte. Das Geschäftsgebiet Mobile Devices bekam die Quittung für eine verfehlte Gerätepolitik und einen Softwarefehler der Handy-Serie 65. Mittlerweile sind die Münchner im weltweiten Markt auf den fünften Platz abgerutscht.

Mit dieser Pleite verhagelte die Mobilfunkdivision das Quartalsresultat des Unternehmensbereichs Siemens Communications. Es fiel mit einem Plus von 240 Millionen Euro gemessen am Umsatzvolumen von 4,243 Milliarden Euro mager aus. Zudem kam der Profit nur zustande, weil Siemens für 208 Millionen Euro Anteile am Netzwerkausrüster Juniper Networks abgestoßen hatte.

Doch nicht nur das Handy-Geschäft zeichnet für das schwache Abschneiden verantwortlich. Eine weitere Ursache für die Misere des Kommunikationssektors ist die andauernde Zurückhaltung der Netzbetreiber bei Investitionen in Festnetztechnik, wohingegen das Business mit Mobilfunktechnik für Carrier und Voice-Equipment für Enterprise-Kunden ansprechend läuft. Allerdings gibt es auch in diesen Marktsegmenten aufgrund des harten Wettbewerbs einen starken Kostendruck und Überkapazitäten. Wegen dieser schwierigen Konstellation blieben die Mobilfunk- und Festnetzeinheiten seit dem Markt-Crash von 2001 in der Regel hinter den vom Management geforderten Umsatzmargen zwischen acht und elf Prozent zurück.

Entlassungen im Festnetzbereich

Da Kleinfeld nicht vom Wachstums- und Renditepfad seines Mentors abweichen wird, sind bei Siemens Communications gravierende Einschnitte programmiert. Ein erstes Zeichen seines Sanierungswillens setzte Kleinfeld bereits jetzt mit den angekündigten 1350 Entlassungen. Betroffen davon ist der Teilbereich Festnetze mit 1250 Jobs. Weitere 100 Arbeitsplätze sollen in zentralen Funktionen bei Siemens Communications wegfallen.

Was aus dem Handy-Geschäft wird, steht noch in den Sternen. Als sicher gilt jedoch, dass eine Liquidierung oder ein Verkauf vom Tisch sind. "Wir haben eine gute Entwicklungsmannschaft, exzellente Werke und einen guten Markennamen. Diesen Wert gilt es zu erhalten", hat von Pierer seinem Nachfolger auf der Hauptversammlung ins Stammbuch geschrieben. Vieles spricht derzeit für die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens nach dem Vorbild von Sony Ericsson. Interesse an einer Zusammenarbeit mit Siemens wird den chinesischen Unternehmen Huawei und Ningo Bird sowie LG Electronics nachgesagt. Es ist aber auch nicht ganz auszuschließen, dass Kleinfeld gegen den Rat vieler Analysten den Bereich auf den Kopf stellen und eine Aufholjagd ohne Partner starten wird - ähnlich wie in der Medizintechnik. Sein Macherimage würde das noch verstärken. So könnte er aus dem Schatten von Pierers treten.

Kleinfelds Händchen als Sanierer ist darüber hinaus bei der IT-Servicesparte SBS gefragt, die als einzige der zwölf Konzerneinheiten im ersten Quartal rote Zahlen auswies. 25 Millionen Euro Minus stehen bei dem Dienstleister zu Buche, obwohl der Umsatz gegenüber dem Vorjahr um vier Prozent auf 1,256 Milliarden Euro stieg. Mit einer negativen Ergebnismarge von zwei Prozent ist der Bereich derzeit meilenweit von der Vorgabe zwischen fünf und sechs Prozent entfernt.

Von Pierer attestierte SBS zwar Erfolge beim Business Process Outsourcing (BPO), gestand aber auch Schwächen auf dem Gebiet der produktnahen Dienstleistungen wie zum Beispiel der Wartung ein. Tatsächlich schaffte die Serviceorganisation im Fiskaljahr 2004 im gesamten Outsourcing-Geschäft einen Umsatz von 2,4 Milliarden Euro, wovon 150 Millionen aus BPO-Aufträgen resultierten. Der Anteil des Outsourcings an den kompletten SBS-Einnahmen erhöhte sich damit auf 51 Prozent.

Für Aufsehen sorgte SBS vor allem durch den 2,7 Milliarden schweren und über zehn Jahre laufenden Outsourcing-Deal mit der BBC. Weitere Erfolge waren die Ausweitungen der BPO-Verträge mit den Banken National Savings und Barclays. Damit ist das Siemens-Servicehaus in Großbritannien gut aufgestellt, vergleichbare Prestigeprojekte im wachsenden deutschen BPO-Markt sind aber Mangelware. Hier haben andere die Nase vorn wie IBM bei der Dresdner Bank, Accenture bei der Deutschen Bank und EDS bei Infineon. Nach Meinung vieler Experten fehlt es SBS im Gegensatz zum Mutterkonzern auch an einer klaren internationalen Strategie.

SBS-Potenzial liegt im Konzern

Nicht so negativ bewertet Christophe Chalons, Geschäftsführer der Beratungsfirma PAC, das Standing von SBS. Er sieht die Münchner bei den Product Related Services - also den produktnahen Dienstleistungen - gegenüber Anbietern wie IBM und HP zwar im Nachteil, weil diese bedingt durch ihre Hard- und Softwarehistorie mit "proprietärer" Wartung noch immer gutes Geld verdienen. "Der schwierige Markt mit Product Related Services sei aber "nicht tot", meint der Experte und beobachtet in diesem Geschäft eine immer stärkere Entwicklung von der reinen Wartung hin zu komplexen Leistungen. Dadurch werde die Grenze zwischen diesem Segment und dem Outsourcing immer fließender. Es könnte für SBS daher sinnvoll sein, beide Bereiche enger miteinander zu verknüpfen.

Im Outsourcing attestiert Chalons SBS gute Ansätze und Erfolge, auch in Deutschland. Außerdem sei es nicht unbedingt erforderlich, dass SBS international auf allen Märkten mitmische. Der Consultant rät der Dienstleistungssparte vielmehr, stärker als in der Vergangenheit mit Siemens zusammenzuarbeiten. Er spielt damit nicht auf das kaptive Business mit dem Konzern an, sondern auf ungenutzte Auftragspotenziale, die sich aus dem gesamten Siemens-Geschäft ergeben könnten. "Ich erwarte von der neuen Vertriebsstruktur noch ein großes Synergiepotenzial", sagt Chalons.

Für den Marktbeobachter ist auch der jüngste Quartalsverlust kein Beinbruch. "Jeder, der einen Deal in der Größenordnung von BBC gewinnt, muss zunächst in Vorleistung gehen. Deshalb sind die 25 Millionen Euro Verlust eher als Investition zu betrachten", meint Chalons.

Ob auch Kleinfeld diesen Glauben hegt, ist ungewiss. Sicher wird er sich seine Gedanken über eine Integration beziehungsweise Zerschlagung, einen Verkauf, aber auch eine Partnerschaft machen. Ob ihm angesichts der Probleme bei Siemens Communications und SBS, die sein Vorgänger nicht lösen konnte, sein spitzbübisches Lachen bald verloren geht, wird die Zukunft zeigen. Die von Kündigungen bedrohten Angestellten des Festnetzbereiches haben schon nach seiner ersten Amtshandlung nichts mehr zu lachen.