E-Learning, Gamification, Webseminare

Der neue Lernmix

03.03.2014
Von 
Ingrid Weidner arbeitet als freie Journalistin in München.
E-Learning galt lange als dröge. Doch mit den neuen technischen Möglichkeiten wandert das elektronische Lernen in den Mittelpunkt der Weiterbildung.
Simplify ist das Ziel eines Programms zur Komplexitätsreduzierung innerhalb der Bayer AG. Das Dialogbild dient dazu, über Komplexität ins Gespräch zu kommen und sie zu identifizieren. Es ist in drei Teile aufgeteilt: die Bayer-Welt, die Arten von Komplexität und die Kundenwelt. Auf der linken Seite des Bildes ist unter dem großen Bayer-Schirm die Konzernwelt dargestellt. Hier zeigt sich, wie Komplexität durch Strukturen, Arbeitsweisen und Prozesse entsteht. In der Mitte des Bildes führen drei Pfeile von links nach rechts. Sie zeigen die drei Arten von Komplexität: die gute (grün), die Bestandteil des Geschäftsmodells und damit des Erfolgs ist, die gegebene (blau), die bestmöglich gehandhabt werden muss, und die schlechte (rot), die reduziert werden muss. Auf der rechten Seite ist die Kundenwelt zu sehen, die das Ziel darstellt. Sie soll auf dem einfachsten und besten Weg erreicht werden – doch auch Konkurrenten (ganz rechts) haben das im Sinn.
Simplify ist das Ziel eines Programms zur Komplexitätsreduzierung innerhalb der Bayer AG. Das Dialogbild dient dazu, über Komplexität ins Gespräch zu kommen und sie zu identifizieren. Es ist in drei Teile aufgeteilt: die Bayer-Welt, die Arten von Komplexität und die Kundenwelt. Auf der linken Seite des Bildes ist unter dem großen Bayer-Schirm die Konzernwelt dargestellt. Hier zeigt sich, wie Komplexität durch Strukturen, Arbeitsweisen und Prozesse entsteht. In der Mitte des Bildes führen drei Pfeile von links nach rechts. Sie zeigen die drei Arten von Komplexität: die gute (grün), die Bestandteil des Geschäftsmodells und damit des Erfolgs ist, die gegebene (blau), die bestmöglich gehandhabt werden muss, und die schlechte (rot), die reduziert werden muss. Auf der rechten Seite ist die Kundenwelt zu sehen, die das Ziel darstellt. Sie soll auf dem einfachsten und besten Weg erreicht werden – doch auch Konkurrenten (ganz rechts) haben das im Sinn.
Foto: Bayer AG

Das riesige Plakat wirkt wie ein Auszug aus einem Wimmel-Bilderbuch von Ali Mitgutsch. Kleine Menschen fasziniert das bunte Durcheinander, in dem sie immer wieder ein neues Detail entdecken. Doch eignet sich ein zwei mal ein Meter großes Poster, um Mitarbeitern das neue Vertriebsmodell vorzustellen oder Führungskräften die Leitlinien des Unternehmens zu verdeutlichen?

"Dialogbild" nennt die 2003 gegründete Agentur Ecke in Hamburg ihre Wimmelbilder für Erwachsene. Firmen geben sie in Auftrag, um ihren Mitarbeitern komplexe Produktionsabläufe, neue Produkte oder Change-Projekte näherzubringen. Auch Unternehmensleitlinien, Organigramme oder Seminare für Führungskräfte eignen sich für eine solche Art der Darstellung, meint Daniel Schuch, Vertriebsleiter Süd für das Unternehmen in Karlsruhe.

David Gezzele leitet den Bereich Training und Ausbildung der Bank für Arbeit und Wirtschaft und Österreichische Postsparkasse Aktiengesellschaft (Bawag P.S.K.) in Wien. Er überzeugte Kollegen und Vorgesetzte davon, ein Dialogbild für die Weiterbildung einzusetzen. Von Kritikern, die im Vorfeld über das "infantile Trainingskonzept" schimpften, ließ er sich nicht beirren. Schon die gemeinsame Entwicklung des Dialogbilds empfand Gezzele als bereichernd. Schließlich musste man sich im Unternehmen genau überlegen, wie das Bild gefüllt wird. Im Workshop diskutierten dann Mitarbeiter und Führungskräfte über ein neues Kreditprodukt anhand eines Dialogbilds, in dem "jeder schnell die Struktur erkannte, das aber auch Raum für Diskussion ließ", sagt Gezzele. Inzwischen gab die Bawag ein weiteres Dialogbild in Auftrag, das auch elektronisch abrufbar und mit Videos, Erklärtext sowie einem Quiz hinterlegt ist.

Wolf Wienecke, Agentur Ecke: "In jedem Workshop sitzen ein bis zwei Teilnehmer mit einer Anti-Haltung."
Wolf Wienecke, Agentur Ecke: "In jedem Workshop sitzen ein bis zwei Teilnehmer mit einer Anti-Haltung."
Foto: Agentur Ecke

Wolf Wienecke, Geschäftsführer der Agentur Ecke, kennt die Vorbehalte: "In jedem Workshop sitzen mindestens ein oder zwei Teilnehmer mit einer Anti-Haltung." Doch gerade wenn es um Veränderungen geht, sieht er Bilder im Vorteil gegenüber Powerpoint-Folien: Die Zeichnungen entlockten den Teilnehmern Emotionen, über die sich gut diskutieren lässt. "Wir versuchen auch witzige Elemente einzubauen oder zu provozieren", verrät er. Auf einem Beispielbild ist die Verbindungstür zwischen zwei Abteilungen, die zusammenarbeiten müssten, mit zwei Brettern zugenagelt. Das sticht ins Auge und bleibt selten unkommentiert.

Die Kundenliste umfasst namhafte Unternehmen, etwa Lufthansa, BMW oder Bombardier. Neben den Dialogbildern in analoger und elektronischer Form bietet das Unternehmen auch kurze Filme und sogenannte Scribbles an, die an Strichmännchen aus Comic-Strips erinnern. Es gibt auch Unternehmen, die ihren Führungskräften den Zeichenstift in die Hand drücken. Continental-Manager entwickelten mit Grafikern die Führungsrichtlinien in einem Dialogbild.

David Gezzele, Bawag: "Anhand von Bildern haben Mitarbeiter neue Kreditprodukte entwickelt."
David Gezzele, Bawag: "Anhand von Bildern haben Mitarbeiter neue Kreditprodukte entwickelt."
Foto: Bawag P.S.K.

Die aufwendigen Illustrationen haben allerdings ihren Preis, die Kosten beginnen bei etwa 10.000 Euro. Auch wenn David Gezzele gute Erfahrungen mit den beiden bisher eingesetzten Dialogbildern gesammelt hat, empfiehlt er, die Methode nicht zu häufig einzusetzen. In den Sozialräumen der Bank hängen die Dialogbilder noch als Gedächtnisstütze für die Mitarbeiter.

Spielend lernen?

Seit einigen Jahren erobern Serious Games zumindest in den Köpfen von E-Learning-Experten und in Fachkreisen einen festen Platz im Weiterbildungsmix der Unternehmen. Das MMB-Institut für Medien- und Kompetenzforschung in Essen befragt jedes Jahr in seinem Trendmonitor ausgewählte Experten der Bildungsszene nach den Trends des elektronischen Lernens. Während die Kombination von Präsenz- und Online-Kursen, auch unter dem Begriff "Blended Learning" bekannt, inzwischen zum Weiterbildungsstandard zählt, räumen nur 25 Prozent der Befragten den Serious Games große Chancen in der betrieblichen Weiterbildung ein.

Michael Ihne, Geschäftsführer von Cogni.net aus München, unterscheidet innerhalb des spielenden Lernens noch einmal zwei Richtungen. Serious Games definiert der promovierte Psychologe als Computerspiel mit Lernziel. Gamification dagegen verknüpft eine ernste Situation mit Spielelementen. "Alle trockenen, schwer vermittelbaren Inhalte eignen sich besonders gut für das spielerische Lernen", sagt Ihne.

Doch noch bleiben viele Unternehmen skeptisch, denn schließlich bezahlten sie ihre Mitarbeiter fürs Arbeiten und nicht fürs Spielen, so ein gängiges Argument, dem Ihne immer wieder begegnet. Doch der Psychologe entgegnet den Kritikern gerne, dass es sich viel besser lernt, wenn Spaß und Emotionen im Spiel sind. "Vertriebsabteilungen sind solchen Lernszenarien gegenüber aufgeschlossener", berichtet Ihne. Außerdem sieht Ihne gute Chancen bei jüngeren Mitarbeitern, die mit Computerspielen aufgewachsen sind und kaum Berührungsängste mitbringen.

In einer globalen Arbeitswelt, besonders der IT-Branche, fordern viele Arbeitgeber fundierte Fremdsprachenkenntnisse, vor allem verhandlungssicheres Englisch. Doch nicht jeder Informatiker bringt ein Sprachstudium mit. Deshalb verdienen zahlreiche Sprachschulen gut daran, aus einem IT-Manager mit holprigem Englisch einen eloquent parlierenden Business Man zu machen. Doch inzwischen gibt es flexible Alternativen im Netz.

Der Videosprachlernportal "Papagei.com" aus Hannover wartet mit einer Palette von Methoden und Kursen zum Fremdspra-chentraining auf. Neu untertitelte Kinofilme oder Serien mit integrierten Vokabeleinheiten und Grammatiklektionen, Aussprachehilfen per App oder auch ein Telefontraining mit einem Sprachlehrer sind einige der Angebote der erst 2011 gegründeten Firma. Zu den Kunden des flexiblen Lernens zählen Privatpersonen sowie Firmen und Schulen.

Um die Fortschritte der Sprachschüler zu erfassen, protokolliert ein Tracking-Tool, welche Methoden die Lernenden bevorzugt nutzen und welche Fortschritte sie machen. Was Privatpersonen einen guten Überblick verschafft und sie ermahnt, die Grammatiklektionen nicht zu überspringen, schreckt jedoch im beruflichen Umfeld manchen Sprachschüler ab, wenn der Chef mitliest. Meistens sieht der Betriebsrat solche Anwendungen äußerst ungern, wie Brigitte Mettang-Weiss von Papagei.com weiß. (hk)

"Mobiles Lernen ist heute ganz normal"

Smartphones, Apps und Tablets geben auch der beruflichen Weiterbildung neuen Schwung und etablieren das elektronische Lernen fest in den Unternehmen. Bildungsforscher Lutz Goertz vom MMB-Institut für Medien- und Kompetenzforschung in Essen erklärt die Chancen.

Lutz Goertz, MMB-Institut: "Second Life wurde zu sehr gehypt und war überladen."
Lutz Goertz, MMB-Institut: "Second Life wurde zu sehr gehypt und war überladen."
Foto: MMB

CW: E-Learning erlebte immer wieder Höhen und Tiefen. Wie geht es der Branche heute?

GOERTZ: Die 30 umsatzstärksten E-Learning-Anbieter in Deutschland haben 2012 einen Umsatz von rund 523 Millionen Euro erzielt. Die Branche beschäftigt etwa 6600 Mitarbeiter sowie zusätzlich etwa 2700 Freiberufler.

CW: Welche Trends im E-Learning sehen Sie für die betriebliche Weiterbildung?

GOERTZ: Mobiles Lernen hat sich mittlerweile etabliert. Begünstigt wurde diese Entwicklung durch Smartphones und Tablets, die viele auch privat verwenden. Das Interesse an Webinaren im virtuellen Klassenzimmer wächst. Diese Unterrichtsräume im Netz, die Elemente wie Tutoren mit Live-Unterricht oder eine Art Helpdesk für den Lernenden integrieren, sind wieder im Kommen. Beim Thema Serious Games sehe ich noch viel Potenzial, ebenso für Augmented Reality.

CW: Weshalb feiern virtuelle Lernwelten jetzt ein Comeback?

GOERTZ: Virtuelle, begehbare Räume für Sitzungen erleben gerade eine Renaissance, aber ohne Avatare und anderen Schnickschnack. Second Life wurde zu sehr gehypt, war fürchterlich überladen und zu unseriös. Doch die Möglichkeiten, sich mit 3D-Effekten ein ganz anderes Lernerlebnis zu erschließen, werden beim betrieblichen Lernen immer wichtiger. Wenn Auszubildende und Fachkräfte mit Augmented Reality an laufenden Druckmaschinen lernen, diese zu warten, ohne sie auseinanderzuschrauben, dann spart das enorme Kosten.