Neue Anforderungen an Führungskräfte (Teil 3)

Der neue Führungsstil ist kooperativ und demokratisch

16.10.1992

Führung galt bis vor nicht allzulanger Zeit meist als autoritär oder günstigstenfalls charismatisch. In jüngster Zeit sollen Führungskräfte jedoch eher integrativ, konsensgeleitet, konsultativ, kooperierend und motivierend sein. Von der Universität Mainz wurde dazu eine Expertenbefragung durchgeführt. Folge 1 dieser dreiteiligen Serie ist in der CW Nr. 40 vom 2. Oktober 1992, S.55, erschienen, Folge 2 in der CW Nr. 41 vom 9. Oktober 1992, S.43.

Nach dem Verständnis von Führungskräften haben Entscheidungsaktivitäten in Leitungsfunktionen die erste Priorität. Von gleicher, künftig aber noch zunehmender Bedeutung erscheint das Motivieren und Delegieren, also auf Mitarbeiter und deren Leistungen bezogene Aktivitäten. Daß die künftigen Führungsbedingungen aber nicht durch nette Gespräche oder einsame Entscheidungen gekennzeichnet sein werden, zeigen die hohen Einschätzungen eines betont systematischen Managements. Wenn eine Führungskraft erfolgreich sein will, muß sie nach, Expertenmeinung in Zukunft zunehmend

- planen, koordinieren, informieren und verhandeln,

- Konflikte lösen und

- Personal auswählen oder ausbilden.

Leistungen wie Kontrollieren, Organisieren, Repräsentieren, Anleiten oder Berichten erscheinen demgegenüber als eher traditionelle und in ihrer Bedeutung abnehmende Führungsaufgaben. Offenbar wird den direkt auf Mitarbeiter Einfluß nehmenden Steuerungshandlungen ein sinkender Wert beigemessen. An die Stelle kurzfristig angelegter personeller Führungsimpulse treten langfristig ausgerichtete Strategien der Zielgebung, Qualifizierung und Konsenssicherung.

In den Befunden zur gegenwärtigen und künftigen Relevanz unterschiedlicher Kommunikationssituationen spiegelt sich die hohe, noch wachsende Bedeutung der Mitarbeiterorientierung. Mitarbeiter, Betriebsrat und Gewerkschaften sowie die Kollegen als besondere Bezugspunkte der Leistung und ihrer Anerkennung gelten als unverzichtbare Gesprächspartner. Demgegenüber stehen Kontakte zu unternehmensexternen Stellen im Hintergrund. Einige von ihnen wie etwa Medien, Berater und staatliche Stellen ziehen zwar viel Aufmerksamkeit auf sich, ihnen sind jedoch spezielle Interaktionsinstanzen im Unternehmen zugeordnet, was die wachsende Bedeutung der Kommunikation noch unterstreicht.

Einen sehr hohen und in Zukunft sogar noch wachsenden Rang haben die Befragten der persönlichen Kommunikation in allen Ausprägungsformen des direkten Gesprächs zugemessen. Vor allem der informelle Dialog in Form sogenannter Meetings und Workshops dürfte in den nächsten Jahren das Bild mehr als bisher bestimmen.

Hierin kommt eine deutliche Präferenz für eine formlose, unkomplizierte, natürliche Kommunikation zum Ausdruck. Der schriftliche Austausch wird dagegen tendenziell unwichtiger werden.

Insgesamt betrachtet bringen die Ergebnisse zur Relevanz und Entwicklung der "Führungskraft 2000" einen hohen Stellenwert sozialer und im besonderen kommunikativer Kompetenz zum Ausdruck.

Die Aufgaben, die sich einerseits aus komplexeren Betätigungsfeldern, andererseits aber auch aus anspruchsvolleren Interaktionspartnern ergeben, lassen die Prioritäten künftiger

Führungsarbeit deutlich erkennen: Neben ausgeprägter Entschlußkraft treten intellektuelle und soziale Qualitäten wie Lernfähigkeit, Flexibilität, Kreativität, Teamfähigkeit und Konfliktbereitschaft sowie moralische Kategorien wie Integrität und soziale Verantwortung hervor. Insbesondere die letztgenannten spiegeln hohe und weiter wachsende Anforderungen im Bereich ethischer Kompetenz wider. Keineswegs unbedeutend, aber ohne zunehmende Tendenz, sind Qualitäten wie Systematik, Durchsetzungsvermögen und Berechenbarkeit.

Gute Führung orientiert sich an den Mitarbeitern

Die empirische Ermittlung eines Sachverhalts ist um so mehr in Gefahr, von Scheinrealitäten überlagert zu sein, je populärer er ist. Dies erscheint beim Thema Führungsstil und angesichts der gewählten Zielgruppe in besonderer Weise gegeben. Kaum einer der Experten kennt nicht die einschlägige Literatur. Die bei schriftlichen Befragungen ansonsten üblichen Antwortvorgaben sind deshalb hier nicht erforderlich; im Gegenteil, sie würden möglicherweise sogar eine ungewollte Beeinflussung bewirken. Es wurde daher in der ersten Befragungsrunde auf Vorgaben völlig verzichtet. Statt dessen sollten die Experten selbst Adjektive nennen, die nach ihrem Urteil den gegenwärtigen Führungsstil kennzeichnen. Die so gewonnenen Begriffe gingen in die nachfolgenden Befragungen als Items ein. Auf diese Weise ist das Kenntnis- und Einschätzungspotential wohl bestmöglich ausgeschöpft worden.

Die Befunde zum gegenwärtigen Führungsstil lassen eine hohe Ausprägung von Merkmalen wie "aufgaben-" und "ergebnisorientiert" erkennen. Auch hierin spiegelt sich der hohe Stellenwert der Leistungsorientierung. Demgegenüber erreichen demokratische oder Laissez-faire-Haltungen eine bemerkenswert geringe Bedeutungseinschätzung.

Autorität und Charisma sind weniger gefragt

Den Führungseigenschaften Autorität und Charisma sagen die Experten einen klaren Bedeutungsverlust voraus; auch die Fähigkeit, zu manipulieren, ist nicht mehr so geschätzt. Statt dessen gewinnt wohlverstandene Mitarbeiterorientierung an Gewicht. Dies kommt in recht hohen positiven Änderungserwartungen bei "integrativ", "konsensgeleitet", "konsultativ", "kooperierend" und "motivierend" zum Ausdruck. Darin drückt sich Gegensatz zu hoher Leistungsorientierung aus, denn der Manager der Zukunft wird nach Auffassung der Befragten noch ergebnis- und, zielorientierter handeln müssen als der von heute.

Die bisherige Analyse erfolgte zunächst insofern empiristisch, als sie die gegenwärtige und zukünftige Bedeutungseinschätzung einzelner Merkmale in den Blick nahm. Kritiker halten diese Vorgehensweise für Fliegenbeinchenzählen. Einer anwendungsgerichteten Untersuchung schadet es aber gewiß nicht, die Faktorenanalyse auf konkrete Zahlen zu stützen.

Führungskräfte brauchen große soziale Kompetenz

Das Faktorenmuster zeigt recht deutlich drei eigenständige Führungsstile: den kooperativen, den charismatischen und den aufgabenorientierten. Ein vierter Faktor ist zwar nach Itemzahl und Varianzerklärung nicht stark, aber noch hinreichend ausgeprägt: Er bildet den demokratischen Führungsstil ab.

An der Spitze steht der aufgabenorientierte Führungsstil, der kaum an Bedeutung verlieren dürfte. Ihm nachgeordnet ist die kooperative Leitung, die nach Auffassung der Experten künftig häufiger angestrebt werden wird.

Besondere Aufmerksamkeit verdient der demokratische Führungsstil. Seine Relevanz schätzen die Befragten gegenwärtig noch gering ein, erwarten aber einen deutlichen Wertewandel.

Anders der charismatische Führungsstil. Ihm traut man schon heute "nicht mehr viel zu. Sein Fortbestand und seine Leistungsstärke dürften maßgeblich davon bestimmt sein, inwieweit es den jeweiligen charisimatischen Führungspersönlichkeiten gelingt, ihre Position glaubwürdig und faktisch wirksam durch starke Mitarbeiter- und Aufgabenorientierung zu unterstützen. Ausstrahlung als eine Art Primärenergie legitimiert Führung in immer geringerem Maße.

Insgesamt liegt die Schlußfolgerung nahe, daß es den einheitlichen Führungsstil des Jahres 2000 nicht geben wird. Statt dessen dürften Konzepte vorherrschen, deren Merkmalsstruktur sich auf ein Kontinuum zwischen Aufgabenorientierung, Kooperation und Demokratisierung einordnen lassen.

Daß Führung stets insofern situativ ist, als sie die Akzeptanz der Geführten voraussetzt, ist eine altbekannte Tatsache. Zumindest ebenso wichtig erscheint jedoch die Qualifikation der Angeleiteten. Diese Einschätzung drückt der hohe Stellenwert aus, den die Experten der Personalauswahl bei zugleich geringer sind weiter, abnehmender Bedeutung direkter Einflußstrategien zusprechen. Die bedeutendsten Führungsaufgaben richten sich - neben der eher unspezifischen der Planung -auf die Mitarbeiter. Nach Expertenmeinung werden neben der Auswahl und Heranbildung von Personal Motivation, Information und Delegation im Mittelpunkt stehen.

Folglich ist es nicht verwunderlich, wenn die Mitarbeiter und der Betriebsrat zu den künftig wichtigsten Kommunikationsformen im Vordergrund stehen. Der Führungsstil ist am ehesten mit den Adjektiven kooperativ und demokratisch zu beschreiben. Mit diesen Veränderungen der Führungssituation korrespondieren insbesondere die Anforderungen an Lernfähigkeit, Kreativität, Flexibilität und Teamfähigkeit.

Für die betriebliche und die universitäre Management-Ausbildung bedeutet dies, daß sozialen und kommunikativen Fähigkeiten zukünftig erheblich größeres Gewicht beigemessen werden sollte.

Diese Serie erschien in erweiterter Fassung in Heft 11/1991 der Zeitschrift für Betriebswirtschaft. Sie war die außerdem die Grundlage eines Vortrags im Rahmen des "DV-Aktuell 1991" am 27.11.1991, gemeinsam veranstaltet von Prof. Herbert Kargl, Universität Mainz, und dem RKW.

Literatur:

Horst Albach (1970): Informationsgewinnung durch strukturierte Gruppenbefragung, die Delphi-Methode, in: Zeitschrift für Betriebswirtschaft, 40. Jg., Ergänzungsheft, S. 11-26

Rolf Bronner, Wenzel Matiaske, Friedrich A. Stein (1991): Anforderung an Spitzen-Führungskräfte, Ergebnisse einer Delphi-Studie, in: Zeitschrift für die Betriebswirtschaft, 61. Jg., Heft 11, S. 1227-1242

Jürgen Berthel (1992): Führungskräfte-Qualifikationen, in: Zeitschrift Führung und Organisation, 61. Jg., Heft 4, S. 206-211 und Heft 5 (im Druck)

Klaus Brockhoff (1987): Anforderungen an das Management der Zukunft, in: Zeitschrift für Betriebswirtschaft, 57. Jg., Heft 3, S. 239-250

Henry Mintzberg (1991): Mintzberg über Management, Wiesbaden

Oswald Neuberger (1990):Führen und geführt werden, 3. Auflage, Stuttgart

Eberhard Witte, Andreas Kallmann, Gerd Sachs (1981): Führungskräfte der Wirtschaft. Eine empirische Analyse Situation und ihrer Erwartungen, Stuttgart

*Professor Rolf Bronner ist Ordinarius am Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre und Organisation an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz.