Der nächste Coup der Inder

30.01.2006
Auch Arbeit von Spezialisten lässt sich auslagern und offshore erledigen. Vom Knowledge Process Outsourcing (KPO) versprechen sich indische Dienstleister eine Verbesserung ihrer ohnehin schon üppigen Margen.
Der weltweite KPO-Markt verspricht in den kommenden Jahres das größte Wachstum. Unterm Strich bleibt das IT-Outsourcing auf absehbarer Zeit aber das Geschäft mit dem höchsten Umsatz.
Der weltweite KPO-Markt verspricht in den kommenden Jahres das größte Wachstum. Unterm Strich bleibt das IT-Outsourcing auf absehbarer Zeit aber das Geschäft mit dem höchsten Umsatz.

Es gibt noch kein Anzeichen einer Krise unter den indischen Dienstleistern, allerdings hat sich der Wettbewerb im Offshore-Markt verschärft. In der Konkurrenz um Kunden, stehen sich Offshore-Spezialisten und -Schwergewichte wie Tata Consultancy Services, Wipro und Infosys sowie westliche IT-Dienstleister wie IBM Global Services, Accenture und Capgemini gegenüber. Allesamt investieren in indische Servicezentren und suchen Fachkräfte.

Hier lesen Sie …

• was Knowledge Process Outsourcing ist;

• welche Aufgaben betroffen sind;

• wie hoch die erwarteten Wachstumsraten sind;

• wo die Grenze der Auslagerung liegt.

Die Offshoring -Evolution

• ITO: Im Rahmen des IT-Outsourcings werden IT-Dienste in Niedriglohnländer verlagert. Das betrifft häufig die Softwareentwicklung, die Betreuung und Pflege der Applikationen sowie den IT-Betrieb und User Helpdesk. Diese Commodity-Dienste sind gut standardisierbar, mögliche Skaleneffekte drücken die Kosten. Allerdings ist der Wettbewerb hart und die Gewinnspannen gering.

• BPO: Das Business Process Outsourcing umfasst die Verlagerung von Geschäftsprozessen. Die beauftragten Dienstleister verlagern Aufgaben wie das Finanz- und Rechnungswesen, die Kundenbetreuung im Call-Center, das Beschwerde-Management sowie die Funktionen der Personalabteilungen oft ins Ausland, häufig in osteuropäische Länder wie Polen, Ungarn und Tschechien. Die Prozesse sind IT-gestützt und gut standardisierbar. Im Vergleich zum IT-Outsourcing verbuchen die Betreiber deutlich bessere Margen.

• KPO: Knowledge Process Outsourcing bezeichnet die Verlagerung von Spezialistenaufgaben. Das umfasst etwa juristische Recherchen, Analyse von Finanzdaten und medizinische Diagnose durch indische Akademiker. IT ist hier lediglich Transport- und Speichermedium. Anders als im ITO- und BPO-Umfeld lassen sich die Aufgaben schlecht standardisieren. Die Gewinne pro Umsatz sollen deutlich höher sein als im Geschäftsprozess-Outsourcing.

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Lohnkosten steigen

Der Hunger der IT-Dienstleister nach zusätzlichen IT-Spezialisten lässt Fluktuation und Löhne in Indien steigen. Das ist vor allem für die einheimischen Dienstleister ein Problem, weil deren Arbeitsweise viel mehr Personal erfordert, ihr Geschäftsmodell also noch abhängiger von den günstigen Lohnkosten ist, als das der westlichen Dienstleister, die in Indien ihre Dependancen gegründet haben. Infosys nimmt beispielsweise mit rund 50000 Mitarbeitern etwa zwei Milliarden Dollar pro Jahr ein. IBM beschäftigt im Servicesektor knapp viermal so viele Mitarbeiter (zirka 190000). Der Umsatz belief sich im Jahr 2004 allerdings auf gut 46 Milliarden Dollar, also auf das 23fache der Infosys-Jahreseinnahmen.

Üppige Margen der Offshorer

Die Margen der indischen Anbieter sind dennoch üppig: Infosys meldete zuletzt beispielsweise eine Gewinnspanne von 34 Prozent, Wipro schloss das dritte Quartal 2005 mit einer Betriebsmarge von 24 Prozent ab. Die meisten IT-Dienstleister aus den Industrienationen wären über derartige Kennzahlen hellauf begeistert (zum Vergleich: IBMs operative Marge beläuft sich auf knapp zwölf Prozent), doch die Firmen vom Subkontinent haben schon bessere Zeiten erlebt.

Die indischen IT-Dienstleister versuchen deshalb entlang der Wertschöpfungskette aufzusteigen, und zwar vom IT-Outsourcing über BPO (Business Process Outsourcing) zum KPO (Knowledge Process Outsourcing). Der mit klassischen Geschäftsprozess-Auslagerung befasste Unternehmensbereich BPO von Tata Consultancy Services, der beispielsweise Call-Center betreibt, bietet seit August 2005 auch KPO-Services an. Sie umfassen Untersuchungen und Analysen im Finanzsektor. Adressaten sind Anlageunternehmen, Aktienhändler und Finanzabteilungen großer Konzerne. In diesem Markt stoßen die IT-Experten allerdings auf Konkurrenz mit ausgeprägtem Branchenwissen. Den Tata-Vorstoß konterte beispielsweise Indiens größter bankunabhängiger Finanzdienstleister Karvy flugs, indem er seine Servicetochter im Oktober 2005 ins KPO-Rennen schickte. Zudem gehen etliche große Firmen auch selbst nach Indien, um dort Arbeitskräfte anzuheuern.

Das KPO-Geschäftsmodell sieht ebenso wie das IT- und Geschäftsprozess-Outsourcing vor, Arbeit aus den Hochlohnländern in Regionen zu verlagern, in denen Arbeitskraft günstiger ist. Aktuelle KPO-Beispiele sind

• juristische Recherchen, Analysen und Erläuterungen, etwa für kleine US-amerikanische Anwaltskanzleien. Dabei durchforsten indische Juristen Online-Datenbanken.

• Diagnose radiologischer Aufnahmen durch ausgebildete Mediziner. Indische Dienstleister liefern beispielsweise innerhalb von 30 Minuten Auwertungen via E-Mail. Rund 40 amerikanische Krankenhäuser nutzen diesen Dienst, um sich die teuren Bereitschaftsdienste der Spezialisten im eigenen Land zu sparen.

• Redaktionelle Auswertung von Beiträgen für eine internationale Nachrichtenagentur.

• Risiko-Management, Internet-Recherche und Aktienanalyse für Finanzdienstleister.

• Bilanzanalyse mittelständischer Unternehmen und Risikomodellierung ganzer Branchen im Auftrag von Banken.

• Übersetzung und Bearbeitung von medizinischen und psychologischen Forschungstexten.

• Zeichnen, Erstellen und Einreichen von Patentanträgen.

Die Research-Abteilung der Deutschen Bank bezeichnete KPO bereits als den "Rising Star" der indischen Dienstleistungsbranche. "Kern des KPO ist das Expertenwissen der indischen Mitarbeiter. Auch wenn KPO - im Vergleich zum BPO - weniger standardisiert und eher ergebnisoffen ist, eignet es sich durchaus, um offshore erbracht zu werden", heißt es in einer Analyse der Deutsche Bank Research. Weil die Abläufe komplexer als im IT- und Geschäftsprozess-Outsourcing sind, stellen die Dienste höhere Anforderungen an die Kommunikation und Abstimmung der Geschäftspartner.

Die indischen Anbieter gewinnen

Auch andere Marktforscher nähren die hohen Erwartungen, die die Dienstleister in dieses Geschäft setzen. Zwar bietet der IT-Outsourcing- und BPO-Markt in den kommenden Jahren noch das größere Potenzial, doch die Einnahmen mit KPO-Diensten legen schneller zu. Das Beratungshaus Evaluserve erwartet für die kommenden vier Jahre ein durchschnittliches Wachstum des KPO-Marktes um 45 Prozent, das Geschäft mit BPO-Diensten soll im gleichen Zeitraum um 26 Prozent per annum zulegen. Insgesamt wird sich das weltweite KPO-Volumen im Jahr 2010 laut Evaluserve auf 17 Milliarden Dollar summieren (siehe Grafik "KPO wäschst am schnellsten.)

Den Großteil der Ausgaben dürften indische Anbieter auf ihren Konten verbuchen. Zwar werden Arbeiten auch in Länder wie Russland, China, Tschechien, Irland und Israel verlagert. Indiens Marktanteil soll laut Evaluserve dennoch von 55 Prozent im Jahr 2005 auf mehr als 70 Prozent im Jahr 2010 wachsen, weil dort die Löhne gut ausgebildeter Spezialisten geringer sind.

Wie reagieren die Kunden?

Allerdings gibt es auch einige Hürden, die sowohl Dienstleister als auch Auftraggeber zu bewältigen haben. Eben weil sich die Arbeiten nur schlecht standardisieren lassen, bringen nur geringere Löhne auch geringere Kosten, Mengeneffekte schlagen sich dagegen kaum nieder. KPO erfordert hohe Qualitätsstandards, ausgereifte Kontrollprozesse, Investitionen in die Infrastruktur, tiefes Vertrauen zum Geschäftspartner sowie ein verstärktes Risoko-Management, warnt beispielsweise der Brancheninformationsdienst "Kennedy Information".

Mit KPO werden außerdem keine internen Backend-Prozesse verlagert, sondern zum Teil Aufgaben, die der KPO-Auftraggeber wiederum seinem Kunden in Rechnung stellt. KPO fördert somit die Geheimniskrämerei. "Was macht eine Anwaltskanzlei, die von ihren Kunden 350 Dollar pro Stunde für eine juristische Analyse verlangt, selbst aber nur 100 Dollar pro Stunde für einen indischen Sachbearbeiter gezahlt und das Ergebnis lediglich vom eigenen Junior-Berater prüfen lassen hat?", fragt der Branchendienst. Es werde interessant sein zu beobachten, ob Kunden ihren Geschäftspartnern den Rücken kehren, wenn diese die Verlagerung der Arbeit in Niedriglohnländer offen und ehrlich einräumen. Noch interessanter werde es allerdings sein, so "Kennedy Information", wie die Kunden reagieren, wenn sie erfahren, dass die Dienste ausgelagert wurden, ohne dass sie darüber informiert wurden.