Digitalisierung in mittelständischen Unternehmen

Mittelstand hängt an alten Prozessen

25.07.2017
Von 
Susanne Köppler ist nach einigen Jahren als Praktikantin und freie Mitarbeiterin in den Redaktionen des IDG Medienhauses nun als Content Managerin Events für die inhaltliche Ausgestaltung der Channel- und C-Level-Events bei IDG verantwortlich.
Die Unternehmen im deutschen Mittelstand sind sich der Notwenigkeit einer digitalen Transformation weitgehend bewusst. Trotzdem halten viele noch an den bestehenden Strukturen fest. Zu diesem Problem nehmen Uwe Bohnhorst, COO des Beratungsunternehmens Itelligence, sowie Lutz Tilker, Partner bei Eric Salmon & Partners, im Interview Stellung.
  • Mittelständische Firmen haben die Notwendigkeit zur Digitalisierung erkannt, zögern aber noch.
  • Im Mittelstand fehlt es oft an zeitlichen und personellen Ressourcen für die digitale Transformation.
  • Die eigenen Mitarbeiter können stark zum Veränderungsprozess beitragen.

Was bedeutet Digitalisierung für die Geschäftsprozesse eines mittelständischen Unternehmens?

Lutz Tilker: Die Stärke von mittelständischen Unternehmen liegt darin, dass sie größtenteils in integrierten und übergreifenden Wertschöpfungsketten agieren. Dies beinhaltet fast immer eine enge Verbindung zwischen Unternehmen und Kunden sowie Lieferanten. Insofern verlangt die Digitalisierungvom Mittelstand, die bestehende IT-Abstützung der Wertschöpfungskette aus der digitalen Perspektive zu analysieren. Dies betrifft Produktion, also Leistungserbringung, genauso wie die Prozesse mit Kunden und Lieferanten.

Lutz Tilker: Die Planung und Implementierung einer Digitalstrategie ist ein strategisches Projekt, das auch in Projektform organisiert werden sollte.
Lutz Tilker: Die Planung und Implementierung einer Digitalstrategie ist ein strategisches Projekt, das auch in Projektform organisiert werden sollte.
Foto: Eric Salmon & Partners

Uwe Bohnhorst: Aus meinen Diskussionen mit mittelständischen Unternehmern und Entscheidern höre ich immer wieder, dass der Bedarf und die Notwendigkeit zur Digitalisierung von Prozessen grundsätzlich erkannt sind. Auch mit vielen der damit einhergehenden Technologien haben sich die Verantwortlichen bereits beschäftigt. Viele Entscheider stehen heute jedoch vor der Frage, wie sie die Digitalisierung angehen und umsetzen sollen. Manche Unternehmen sehen sie als Projekt. Für wieder andere geht es einfach um Innovation der bestehenden Produkte und Dienstleistungen. Alle haben gemeinsam, sich erst daran gewöhnen zu müssen, dass Erfolg im Zeitalter der Digitalisierung nicht nur mit präziser Facharbeit und der Liebe zum Detail beim Produkt zu erreichen ist, so wie sie das über viele Jahrzehnte gewohnt waren.

Hat der Mittelstand verstanden, dass die Digitalisierung der eigenen Prozesse für seine Unternehmen überlebenswichtig ist?

Tilker: Grundsätzlich ja, auch wenn man hier den Mittelstand differenziert betrachten sollte. Es gibt sicher Branchen, für die das Potenzial der strategischen Weiterentwicklung mit Hilfe von Technologien und Techniken der Digitalisierung weitaus größer ist als für andere. In diversen Studien haben sich zwei Drittel der deutschen mittelständischen Unternehmen geäußert, dass Digitalisierung ein aktuelles Thema für ihr Geschäftsmodell ist. Über die Hälfte hat die Digitalstrategie in ihre Unternehmensstrategie eingebettet. Branchen wie Handel und Dienstleistung sehen hier nachvollziehbarerweise eine höhere Dringlichkeit als zum Beispiel das Baugewerbe.

Bohnhorst: Die Notwendigkeit hat der Mittelstand in der Tat verstanden. Mittelständische Betriebe wissen, dass sie agiler, schneller und innovativer werden müssen, um bei der Kundenakquise und dem Rennen um neue Geschäftsmodelle mit ihren Konkurrenten im globalen Wettbewerb mithalten zu können. Und der digitale Wandel trifft alle Branchen. Während Medien und IT längst den Wandel vollziehen, spüren Sparten wie Automobil- und Maschinenbau die Veränderung erst allmählich, sie ist in diesen Branchen aber nicht minder umwälzend und eine große Chance für einen starken deutschen Mittelstand.

Wie geht der Mittelstand mit den erforderlichen Veränderungen um, und woher kommt das dafür nötige Know-how?

Tilker: Mittelständische Unternehmen haben eine hohe Innovationskraft. Die Liste der Mittelständler, die in ihrem Segment weltmarktführend sind, ist beeindruckend. Dass es sich hierbei in erster Linie um Produktinnovationen handelt, sagt viel über die Fähigkeiten des Mittelstands aus, Veränderungen beziehungsweise Fortschritt herbeizuführen. Gleichwohl stellt die Digitalisierung durch die unternehmensübergreifenden Konsequenzen eine besondere Herausforderung dar. Hinzu kommt, dass mittelständischen Unternehmen oft die zeitlichen und personellen Ressourcen fehlen, um den großen Markt von Digitalisierungsprodukten und -lösungen effektiv zu sichten. Daraus folgt, dass die Bewertung für eine passende Digitalstrategie sowie Entscheidungswege für Investitionen oft schwierig sind.

Uwe Bohnhorst: Die Digitalisierung erfordert eine starke Zusammenarbeit in Teams, wo sich Fach-, Branchen- und IT-Know-how ergänzen.
Uwe Bohnhorst: Die Digitalisierung erfordert eine starke Zusammenarbeit in Teams, wo sich Fach-, Branchen- und IT-Know-how ergänzen.
Foto: Itelligence

Bohnhorst: Da ist genau das Problem, das ich eingangs erläuterte. Den mittelständischen Unternehmen - und besonders den erfolgreichen - gelingt es oft nicht, die richtigen Ansätze für die Digitalisierung zu finden. Zu sehr sind diese Unternehmen in ihren altbewährten Mustern, fest gelegten Regeln und bis dato funktionierenden Prozessen verhaftet. Sie konzentrieren sich primär darauf, bestehende Kundenbeziehungen und Produkte zu verbessern, anstatt zu verändern. Marktführerschaft ist im Zeitalter der Digitalisierung aber nicht nur über noch bessere und präzisere Produkte und Feinschliff in den Prozessen garantiert. Viele Unternehmen sehen hier auch vornehmlich den IT-Bereich in der Verantwortung. Dieser kann das aber nicht alleine leisten. Das Abteilungsdenken vieler Mittelständler ist in diesem Zusammenhang eher hinderlich.

Es knirscht im Getriebe: Einige Unterntehmen sind zu sehr in alten (durchaus aber noch funktionierenden) Prozessen verhaftet.
Es knirscht im Getriebe: Einige Unterntehmen sind zu sehr in alten (durchaus aber noch funktionierenden) Prozessen verhaftet.
Foto: PHOTOCREO Michal Bednarek - shutterstock.com

Sind die vorhandenen Mitarbeiter die richtigen für Veränderungen, oder gibt es eine Tendenz, verstärkt mit Externen zu arbeiten?

Tilker: Nach meiner Beobachtung können in vielen Fällen die eigenen Mitarbeiter zu diesem Veränderungsprozess sehr viel beitragen, da sie das Geschäftsmodell und die Wertschöpfungskette des Mittelständlers im Detail kennen. Dies ist für eine Digitalisierungsstrategie unabdingbare Voraussetzung. Jedoch ist eine externe Unterstützung hilfreich, damit Fachwissen ins Unternehmen kommt, über das im Haus meist nicht verfügt wird.

Bohnhorst: Wie bereits erwähnt, sind mittelständische Unternehmen häufig in Altbewährtem verhaftet. Von daher ist es sinnvoll, neue Mitarbeiter an Bord zu holen; idealerweise aus anderen Branchen beziehungsweise mit einem anderen Hintergrund. In dieser technischen Revolution ist vieles anders und verlangt nach einer anderen Form von Teamarbeit und Kreativität. Auch das Ausprobieren und Verwerfen von Ideen ist Teil dieses Prozesses.

Wie sieht die Personalentwicklung aus? Wie werden die guten Leute gehalten, damit sie in der derzeitigen Digitalisierungswelle nicht abgeworben werden?

Tilker: Der Mittelstand ist sehr erfolgreich darin, seinen Mitarbeitern eine langjährige Perspektive zu bieten und sie dementsprechend im Unternehmen zu halten. Dies gründet zum einen auf der familiären Unternehmenskultur und zum anderen auf der Möglichkeit für Mitarbeiter, Verantwortung zu übernehmen und am Erfolg der eigenen Arbeit zu partizipieren.

Bohnhorst: Die Digitalisierung erfordert eine starke Zusammenarbeit in Teams; die sollten möglichst interdisziplinär gemischt sein, so dass Fach-, Branchen- und IT-Know-how sich ergänzen. Dann gibt es eine gegenseitige Befruchtung und gemeinsame und sinnstiftende Weiterentwicklung. Dies bietet Mitarbeitern meiner Erfahrung nach eine befriedigendere Perspektive als reine Geld-Boni. Zudem finden digitale Innovationen nicht digital statt, sondern indem die richtigen Teams physisch zusammenarbeiten.

Welche Erfahrungen mit neuen Modellen machen Ihre Kunden?

Tilker: Die Planung und Implementierung einer Digitalstrategie ist ein strategisches Projekt, welches auch in Projektform organisiert werden sollte. Bewährt hat sich die Schaffung eines Ressorts oder Bereichs mit Verantwortung für die unternehmensübergreifende Digitalisierung. Zwar ist der Begriff des Chief Digital Officer manchmal auch ein Buzz-Word, aber zur Sicherstellung eines digitalen Lern- und Umsetzungsprozesses im Unternehmen ist eine solche Person notwendig. Digitalisierung sollte natürlich kein Selbstzweck sein; die digitalen Aktivitäten sollten kontinuierlich hinsichtlich Effizienz und Effektivität kontrolliert und evaluiert werden. Zuletzt gilt es auch, die bei einem Lernprozess leider zwangsläufig auftretenden Fehler zu akzeptieren und zu korrigieren, auch wenn dies mit Fehlinvestitionen einhergeht.

Bohnhorst: Wir stellen bei unserer mittelständischen Klientel, vornehmlich aus dem Maschinenbau, einen starken Trend zur Vernetzung von Maschinen in die Prozesse fest, das sogenannte Internet of Things (IoT). Die Maschinen werden mit Sensoren versehen und liefern enorme Mengen von Daten, die wiederum für völlig neue Geschäftsprozesse genutzt werden, zum Beispiel im Bereich Predictive Maintenance oder für neue Abrechnungssysteme mit den Kunden (Pay per Use etc.). Dieser Trend mit all seinen damit verbundenen Neuerungen, Entwicklungen und Veränderungen birgt enorme Chancen und natürlich die bereits erwähnten Risiken und Herausforderungen. (pg)