IT-Beratung/Existenzgründer und Einzelkämpfer behaupten sich

Der Markt ist nicht eingebrochen

01.10.2004
Mehr als 50000 IT-Berater arbeiten in Deutschland als Freiberufler und Selbständige. Tendenz steigend. Die Computerwoche hat sich bei sieben Beratern nach ihren Angeboten und Aufträgen erkundigt. Von Johannes Kelch*

Vorab eine gute Nachricht für alle IT-Fachkräfte, die sich heute freiwillig oder aufgrund von Kündigung in die Selbstständigkeit begeben: Die allgemeine Situation der IT-Berater ist nicht "so drastisch und dramatisch", wie sie in den Medien häufig dargestellt werde, betont Rüdiger Dittmar, Diplomingenieur Nachrichtentechnik und Certified IT-Consultant (CIC) aus der Region Rhein-Main. Allerdings ist die Lage nicht mehr so gut wie noch vor zwei bis drei Jahren: "Projekte liegen nicht mehr auf der Straße", so Dittmar. Alle anderen befragten IT-Berater bestätigten ziemlich exakt diese Lagebeschreibung - mit einer Ausnahme.

Die frühere Schauspielerin Patricia Koller, die im Jahr 2000 nach einer Ausbildung zur zertifizierten Online-Entwicklerin in München eine Agentur mit dem pfiffigen Titel "Webkoller" gründete, machte die Erfahrung, dass das anfänglich gut laufende Geschäft "sehr sehr sehr zäh" wurde. Obwohl Koller mit ihrem Netzwerk auch anspruchsvolle Aufgaben, etwa E-Shops mit Datenbankanbindung, realisieren kann, kommt sie an größere Unternehmen nicht leicht heran. Kleine Firmen hingegen wollten "möglichst alles umsonst". Erwartet werde heute "Beratung ewig und drei Tage" und "ein Rolls Royce an Website zum Preis eines Dreirads". Zur Sorte Kunden, die "am schlimmsten" sei, zählten im Übrigen die Existenzgründer.

Welche IT-Berater sind heute gefragt? Spezialisten mit Fokus auf ein Gebiet oder Generalisten mit dem großen Überblick über die gesamte IT-Welt? Die meisten Befragten sind der Auffassung, dass es auf Spezialisierung ankommt.

Dirk Adler, diplomierter Ingenieur und Kaufmann aus dem Hamburger Raum, hält die Spezialisierung für "sehr wichtig, um auf einem Gebiet richtiges Know-how anbieten zu können". Adler, der früher ein auf Nixdorf-Produkte spezialisiertes Softwarehaus geleitet hat, entschied sich 1996 bewusst für den Schwerpunkt Datenbanken und hier wiederum für Oracle. Der Branchenkenner wundert sich, was andere IT-Berater in einschlägigen Datenbanken als ihr "Profil" ausgeben. Wer sich in der IT auskenne, wisse, dass die häufig behauptete Bandbreite an Kenntnissen und Fähigkeiten einfach nicht realistisch sei, meint Adler.

Dass man es als Spezialist auch ohne Studium zum gefragten IT-Berater bringen kann, zeigt das Beispiel von Stefan Reelsen. Der 25-Jährige absolvierte vor Beginn seines Berufslebens eine Ausbildung zum "staatlich geprüften informationstechnischen Assistenten" und ist heute erfolgreicher IT-Security-Spezialist. Was Reelsen entscheidend vorangebracht hat, sind Herstellerzertifizierungen von Cisco und Checkpoint "auf einem hohen Level".

Wilhelm Untch aus dem Raum Nürnberg Erlangen, der 1999 bei Siemens gekündigt hat und bis heute für den ehemaligen Arbeitgeber SAP-Projekte betreibt, betont, man müsse als Spezialist "besser sein als hauseigene Leute, da man sonst keine Chance hat". Zum speziellen Know-how müsse aber auch die "breite Orientierung" in der gesamten IT kommen, um eine größere Anzahl an Jobs zu erhalten.

Als Spezialist angetreten und als Generalist gefragt war Guido Wölfle-Flecken, als er 1999 aus der - durchaus geschätzten - Festanstellung in die freiberufliche IT-Beratung wechselte. Während er als Angestellter schwerpunktmäßig das Feld Windows NT und Exchange beackerte, war er beim ersten Projekt plötzlich als Generalist im Backoffice gefordert, der vom Firewall-Server über den Proxyserver bis zum Konzept für Rechtestrukturen alles beherrschen sollte.

In Projekten der Systemhäuser arbeiten

Horst Härtel, Maschinenbau-Ingenieur mit 25 Jahren Berufserfahrung in der IT und seit 2000 freiberuflicher IT-Berater in München, gibt zu bedenken, dass sowohl Spezialisten als auch Generalisten gefragt seien. Härtel, seit kurzem Vorstandsvorsitzender der neugegründeten DV-Genossenschaft 7-IT mit sieben Mitgliedern und 30 weiteren Kooperationspartnern, versteht sich als "Allrounder" in der strategischen Beratung. Der ehemalige DV-Leiter des Beck-Verlags vermittelt jedoch auch hochspezialisierte Kräfte je nach Bedarf des Kunden.

Wie akquirieren freiberufliche IT-Berater ihre Projekte, wie finden sie lukrative Aufträge? Die wichtigste Rolle spielen jedenfalls bei den Befragten jene Systemhäuser, die aus Freiberuflern für IT-Projekte größerer Unternehmen Teams formen.

Für die Genossenschaftler von 7-IT sind nach Aussagen von Härtel die Systemhäuser noch "ziemlich wichtig", da man als Einzelkämpfer kaum Chancen habe, bei größeren Unternehmen einen Auftrag zu ergattern. Allerdings versuche die Genossenschaft immer mehr, größere Aufträge selbst an Land zu ziehen, um das Honorar nicht mit Vermittlern teilen zu müssen.

Netzwerke bewähren sich offenkundig immer stärker in der Akquisition. So stellt sich Dirk Adler als Datenbankexperte auf der Website des jungen Consulting Network "Itup" in Duisburg vor. Netzwerkpflege sei sehr wichtig. Patricia Koller hat sehr gute Erfahrungen mit "hervorragenden Leuten" aus ihrem Netzwerk gesammelt.

Gulp: Spiegelbild des Marktes

Welche Rolle spielen die Datenbanken für IT-Berater bei der Akquisition? Alle Befragten sind mit ihrem "Profil" bei der Jobbörse und Projektvermittlung Gulp registriert, wo 51000 Profile hinterlegt sind, mehr als nach dem Mikrozensus des Bundesamts für Statistik 2003 an freiberuflichen IT-Beratern gezählt wurden (50 000). Noch vergleichsweise wenige Berater stellen sich in der Datenbank des Bundesverbandes Selbstständige in der Informatik (BVSI) vor. Der Verband möchte damit den "Trend" unterstützen, dass "die meisten selbstständigen Consultants ihre Projektakquise jetzt selbst betreiben", so ein Pressetext vom August 2004.

Die Erfahrungen mit Gulp gehen bei den sieben Befragten weit auseinander. Lobend äußert sich Dirk Adler. Gulp sei "sehr gut", er habe bereits "recht gute Angebote" über Gulp erhalten, die er jedoch zum Teil nicht annehmen konnte. Wilhelm Untch hat über Gulp "noch nichts gekriegt". Bei Guido Wölfle-Flecken ist das nicht anders, aufgrund seines hinterlegten Profils hätten ihn nur "wenige Anfragen" erreicht. Allerdings erkennt Wölfle-Flecken die Gulp-Statistiken ausdrücklich "als Spiegelbild des Marktes" an. Die Suche von Freiberuflern in Projektdatenbanken sei generell sehr hilfreich.

Horst Härtel und die Genossenschaftler von 7-IT sind von Gulp überhaupt nicht angetan. Härtel wörtlich: "Vergessen Sie Gulp! Ab und an ruft jemand an, dann kommt nichts. Das ist ein irrelevanter Vertriebsweg." Es gebe zu viele Datenbanken, deren Angaben großenteils nicht gepflegt würden, kritisiert der langjährige DV-Leiter.

Wie mobil müssen freiberufliche IT-Berater sein, um gutes Geld zu verdienen? Mit dem Versuch, allzu häufige Abwesenheiten vom Wohnort, von Partnern und Familie zu vermeiden, kommen einige befragte Berater recht gut durch. Rüdiger Dittmar hat, abgesehen von wenigen Ausnahmen, immer in der Region Rhein-Main Projekte gefunden. Es könne aber sein, dass er jetzt ein halbes Jahr während der Woche in München verbringen müsse. Für Guido Wölfle-Flecken ist die Mobilität "nicht ganz so wichtig". Bis zur Geburt seiner Kinder sei er viel verreist, aber jetzt finde er in der Rhein-Main-Region - einem riesigen Markt - genügend Aufträge. Ähnliche Erfahrungen macht Wilhelm Untch, der im Raum Nürnberg/Erlangen immer gut im Geschäft ist und im Gegensatz zu vielen seiner Bekannten aus dem IT-Beratermarkt kein "Wehklagen" anstimmt.

Dirk Adler ist viel auf Achse: "Mobilität ist sehr wichtig", sagt der Datenbankexperte. Fast immer auf Geschäftsreise ist Stefan Reelsen. An seinem Wohnort in der Region Ostwestfalen sind Projekte höchst selten. Der 25-jährige Security-Spezialist wörtlich: "Mein Leben spielt sich in der Regel in Hotels ab."

Man verdient "nicht so schlecht"

Welchen Lohn erhalten die Selbstständigen in der IT für das ruhelose Projekt- und Beratungsgeschäft? Müssen sie niedrigere Stundensätze akzeptieren, um überhaupt noch im Geschäft zu bleiben? Dirk Adler hat sich auf Heller und Pfennig ausgerechnet, wie viel er verdienen muss, um nicht schlechter gestellt zu sein als ein Angestellter. Er verdient, wie er sagt, "nicht so schlecht", sein Stundensatz liegt in der Spanne von 70 bis 120 Euro. Wenn Projektanbieter versuchen, ihn als Know-how-Träger herunterzuhandeln, ent- wickelt er eine störrische Haltung: "Ich geh' nicht runter von meinen Preisen." Stefan Reelsen betont, heute müsse man als Berater "sich gegen Preisdruck wehren". Er verlangt 65 bis 70 Euro pro Stunde und müsse heute häufig übers Geld diskutieren. Auch er rät, von den eigenen Preisvorstellungen nicht abzuweichen: "Es macht keinen Sinn, zwei Wochen früher im Projekt zu sein, wenn die Konditionen nicht stimmen." Guido Wölfle-Flecken strebt ebenfalls Stundensätze in der Größenordnung von 65 bis 70 Euro an. Die Preise hätten wohl den Tiefpunkt im ersten Quartal des Jahres erreicht. "Jetzt geht es wieder bergauf", glaubt Wölfle-Flecken. Rüdiger Dittmars Stundenhonorar bewegt sich zwischen 40 und 60 Euro. Bei Vollauslastung seien Honorare in dieser Größenordnung für ihn in Ordnung. Versuche, ihn für 32 Euro zu engagieren, sind zwecklos. Auch Dittmar entwickelt dann eine harte, unnachgiebige Haltung.

Die EDV-Genossenschaft 7-IT kennt mehrere "Preismodelle". Der übliche Stundensatz liegt bei Projektarbeiten in der Größenordnung von 75 Euro. Bei strategischer IT-Beratung nimmt der Allrounder Härtel pro Manntag mehr als 1000 Euro. Klar umrissene Arbeiten, etwa ein IT-Sicherheitscheck bei einer Bank, werden mit einem vorher ausgehandelten Festpreis honoriert. Die Genossenschaftler lassen sich darüber hinaus auf Arbeiten ein, "die rein auf Erfolgsbasis vergütet werden". Der Auftraggeber bezahlt in diesem Fall nur dann, wenn ein Vorschlag von 7-IT die DV-Kosten deutlich senkt. (bi)

*Johannes Kelch ist Wissenschaftsjournalist in München.

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