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Der Mann des Jahres 1982 ist kein Mann

14.08.2001
Am vergangenen Sonntag feierte der "Persönliche Computer" seinen zwanzigsten Geburtstag - am 12. August 1981 hatte IBM den "5150 PC" auf den Markt gebracht. Die COMPUTERWOCHE blickt zurück...

Von CW-Redakteur Jan-Bernd Meyer

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Am 12. August 1981 stellte die IBM mit dem "5150 PC" ihren ersten marktreifen Mikrocomputer vor. Ganz gegen ihr bisheriges Vertriebskonzept war er nicht für die Unternehmensklientel gedacht. Vielmehr sollte der Rechner über Wiederverkäufer vertrieben werden. Heutige PC-Marktgrößen wie Compaq oder Dell existierten damals noch nicht. Das Konzept des Rechners für jedermann, das innerhalb von Big Blue heftig bekämpft wurde, hatte seine Geburtsstunde zwar mit Computerbausätzen etwa von Altair oder Apple schon früher. Aber nur ein Riesenkonzern wie IBM war in der Lage, dieser technologischen Minirevolution den nötigen Schub zu geben, der den Erfolg des PCs garantierte.

Natürlich spielt bei der Entwicklung des PCs Microsoft neben IBM die Hauptrolle. Auch ein Unternehmen wie Intel verdankt seinen heutigen Reichtum und seine Monopolstellung in erster Linie der Tatsache, dass IBM damals eine wegweisende Entscheidung traf: Der zu entwickelnde PC sollte nicht im Hause Big Blue entworfen werden. Der Computerriese mit einer unangefochtenen Machtstellung im Großrechnergeschäft sprang über seinen eigenen Schatten und kaufte sich die Technologie, die für den PC nötig war, bei Drittfirmen zusammen. Damit entschied IBM auch, dass die Architektur der Volksrechner offen sein sollte - für ein Unternehmen, das es gewohnt war, mit seiner proprietären Mainframe-Hard- und -Software jahrzehntelang gigantische Gewinne einzustreichen, eine sensationelle Entscheidung.

Kann ein Elefant steppen?

Grund für IBMs Entscheidung, nicht selbst hausintern einen PC zu entwickeln, war eine selbstkritische Einschätzung des damaligen Laborleiters der Systemabteilung in Boca Raton, Bill Lowe. IBM werde wegen seiner umfangreichen Qualitätssicherungsverfahren von der Konstruktionsphase bis zum fertigen Produkt mindestens vier Jahre brauchen - viel zu lang, um mit dem damals schon erkennbaren schnellen Entwicklungszyklus bei Mikrocomputern Schritt halten zu können. Lowe schlug ein für IBMs Hierarchieverständnis völlig untypisches Vorgehen vor: Das PC-Entwicklungsteam sollte aus Programmierern und Verkaufs- sowie Marketing-Experten bestehen, die alle für den PC benötigten Komponenten am Markt zusammensuchen sollten. Tandon lieferte denn auch die Diskettenlaufwerke, Zenith die Stromversorgung, und SCI Systems produzierte die Systemplatine. Codename des Projekts war "Chess", der Tarnname des Rechners lautete "Acorn". Frank Cary, damals IBM-Chairman und seit Mitte der 70er Jahre zunächst gegen die Meinung seines höheren und mittleren Managements Verfechter eines Lowend-Computing-Konzepts, kommentierte dieses für Big Blue revolutionäre Vorgehen mit dem legendär gewordenen Satz: "Wie bringt man einen Elefanten zum Steppen?"

IBMs PC war nicht der erste Mikrocomputer

Schon lange vor IBMs "5150 PC" hatten etwa Steve Wozniak und Steve Jobs im Juli 1976 ihren "Apple I" der Öffentlichkeit präsentiert, einen so genannten Board-Level-Computer, eigentlich eine bessere Holzkiste mit Tastatur. Dessen Nachfolger im darauf folgenden Jahr, der "Apple II", kostete 1298 Dollar und besaß den riesig großen Arbeitsspeicher von 4 KB. Zeitgleich präsentierte auch Commodore auf der West Coast Computer Faire in San Francisco seinen legendären "Pet". Sehr viel mehr, nämlich rund 20.000 Dollar, kostete der "Alto"-PC, der 1973 im Forscherzentrum Xerox Park entwickelt wurde (wo übrigens auch die erste PC-Maus herstammt); auch der "Altair"-Rechner erlebte Mitte der 70er Jahre seine Geburtsstunde.

Kenbak-1 - der Welt erster kommerziell vermarkteter PC

Den Ruhm, den weltweit ersten kommerziell vermarkteten Mikrocomputer überhaupt entwickelt zu haben, kommt John Blankenbaker zu: Er hatte 1971 den "Kenbak-1" (von Blankenbaker) entworfen, der äußerlich nicht viel mit einem heutigen PC gemein hatte. Blankenbaker baute seine Maschine, wie es sich gehörte, seinerzeit in einer Garage, nämlich in Brentwood im US-Bundesstatt Kalifornien.

Der Kenbak-1 konnte rund 1000 Wörter speichern. Blankenbaker hoffte, sein System an Schulen, aber auch an Privatanwender und sogar im kommerziellen Sektor verkaufen zu können - was sich als großer Irrtum herausstellte. Genau 40 seiner 750 Dollar teuren Konsolen brachte er in zwei Jahren an den Mann. Vielleicht lag Blankenbakers Misserfolg auch daran, dass der heute 68-Jährige selbst nicht an seine Maschine und die Potenziale dieser Technologie glaubte: "Ich hatte immer das Gefühl, dass der Computer nicht besser werden könnte."

Das sah man bei der IBM 1980 schon anders. Obwohl die "Mainframe"-Denke im Unternehmen dominierte und dessen Vertriebsleute im Nadelstreifengewand nur darum buhlten, wer wie schnell in die elitäre IBM-Vereinigung "Club 100" der umsatzstärksten Verkäufer aufstieg - trotz der eindeutigen Großrechnerorientierung des blauen Riesen also erkannte man im Management um Chairman Cary, dass mit diesen Mikrocomputern, wie PCs damals gemeinhin genannt wurden, ein sehr lukratives Marksegment entstehen könnte.

Unerwarteter Verkaufsschlager

Allerdings verschätzten sich auch die Marktstrategen der IBM wie schon Blankenbaker mit ihrer Prognose über die zu erwartenden Verkaufszahlen gewaltig. Während Letzterer allerdings das Interesse der Konsumenten weit überschätzt hatte, legte Big Blue die Messlatte viel zu niedrig: Genau 241.683 PCs glaubten die Verkaufsexperten bei Big Blue in den ersten fünf Jahren verkaufen zu können. Die hatte IBM dann innerhalb von vier Wochen an den Mann gebracht.

Dabei war der erste IBM-PC technologisch gesehen keine Offenbarung: Der 8-Bit-Prozessor "8088" von Intel erwies sich mit einer Taktrate von 4,77 Megahertz als sehr leistungsarm. Außerdem führte er technologisch ins Abseits, weswegen schon 1980 ein Kooperationspartner der IBM namens Microsoft darauf hinwies, dass der ebenfalls von Intel gelieferte 8086-Prozessor zukunftsträchtiger, weil bereits in 16 Bit ausgelegt sein würde.

Daten konnten beim IBM-PC lediglich auf einen Kassettenbandspeicher oder ein Diskettenlaufwerk (160 KB Fassungsvermögen pro Diskette) gespeichert werden, weil der 5150 keine Festplatte besaß. Das Wort Grafik war mit dem IBM-Rechenknecht überhaupt nicht kompatibel, lediglich die Darstellung von Text möglich - und das auch nur monochrom und bei einer dermaßen niedrigen Bildwiederholrate, dass einem nach kürzester Zeit am Monitor die Augen flimmerten. Ohne Software, Verkabelung und Drucker kostete IBMs erster PC 1595 Dollar.

Warum nicht CP/M das Betriebssystem wurde

Apropos Leistung des 5150-PCs: Dessen Betriebssystem, das eine kleine Firma mit Namen Microsoft aus Bellevue im Westküsten-Bundesstaat Washington lieferte, war mit dem "CP/M"-Betriebssystem von Digital Research nicht vergleichbar. Dessen Gründer und Chef, Gary Kildall, dürfte aber 1980 mindestens 100 Sechser im Lotto in den Sand gesetzt haben, als er eine einmalige Chance nicht nutzte. Kildall war gerade, so die immer wieder gern erzählte Story, als Hobbypilot über die Bucht von San Francisco abgehoben. Statt seiner empfing seine Ehefrau mit Firmenanwälten die Big-Blue-Abordnung, um über die Konditionen für die Lizenzierung des CP/M-Betriebssystems zu verhandeln. Die Gattin reagierte allerdings auf das IBM-übliche Gebaren beim Abschluss von Kooperationsverträgen sehr eigenwillig, manche sagen sogar zickig. Die Big-Blue-Delegation legte als erstes eine Nondisclosure-, also eine Stillschweigevereinbarung, auf den Tisch und darauf die weiteren Bedingungen, zu denen die große IBM bereit war, überhaupt mit sich über die Lieferung des Betriebssystems reden zu lassen. Das im Gespräch offenbar werdende Partnerschaftsgefälle irritierte Kildalls Frau dermaßen, dass sie die Verhandlung platzen ließ. CP/M wurde nicht IBMs PC-Betriebssystem.

Der Rest ist Geschichte: Ein unbekannter junger Mann Mitte Zwanzig mit zu großer Brille und modisch eher unaufdringlichem Dresscode hatte sich in einen so recht und schlecht sitzenden Anzug gezwängt, auf dessen Revers kontinuierlich Schuppen rieselten. Kein Gegner für IBM, dachten die Männer des Big-Blue-Verhandlungsteams. Sie hatten übersehen, dass der schmächtige Youngster nicht nur aus einer der Oberschichtfamilien von Seattle stammte und von einer Mutter Erbanlagen besaß, die nicht nur als Juristin Haare auf den Zähnen hatte; sondern dass dieser William H. Gates III, wie er offiziell hieß, mehr Erfahrung mit Computern hatte als die meisten seiner Gegenüber am Verhandlungstisch. Er und sein Geschäftspartner Paul Allen hatten bereits 1975 die Programmiersprache Basic für den Minicomputerbausatz Altair der Firma Micro Instrumentation and Telemetry Systems (MITS) entworfen und Fortran und Cobol für Mikrocomputer nachgeschoben.

Bill Gates bringt QDOS an den Mann

Den arrogant auftretenden IBM-Emissären entging auch, dass Gates hochintelligent und ausgebufft war und genau wusste, welche Konditionen er für sein "QDOS"-Betriebssystem (Quick and Dirty Operating System) aushandeln wollte. QDOS hatte Gates gerade erst einem Programmierer namens Tim Patterson für 50.000 Dollar abgeschwatzt. Jetzt handelte er bezüglich der Lizenzrechte für QDOS mit IBM aus, dass Microsoft an jeder Kopie des Betriebssystems mitverdienen sollte, das auf einem IBM-PC ausgeliefert werden würde. Selten dürfte jemand einen so intelligenten, durchdachten und cleveren Schachzug gelandet haben.

Im Dezember 1980, einen Monat, nachdem Microsoft mit IBM den Vertrag über die Lieferung eines PC-Betriebssystems unterschrieben und den ersten IBM-PC-Prototypen erhalten hat, arbeiten rund 40 Angestellte in der Firma von Gates und Allen. Der Jahresumsatz beträgt acht Millionen Dollar. Ein Jahr später und vier Monate nach der Markteinführung des 5150-PC beschäftigt Microsoft 125 Angestellte und erwirtschaftet einen Umsatz von 16 Millionen Dollar. 1990 ist Microsoft die erste Softwarefirma der Welt, die über eine Milliarde Dollar Umsatz macht. Erwirtschaftet haben ihn 5200 Microsoft-Mitarbeiter.

Der PC wird "Mann des Jahres

Das IBM-Team um Lowe und dessen fähigen Nachfolger Don Estridge, der eigentlich das Ur-PC-Team der IBM in Boca Raton zusammenschmiedete, hatte mit dem 5150-PC ein Geschäftsfeld geschaffen, das der IBM innerhalb von drei Jahren einen Umsatz von vier Milliarden Dollar einbrachte - und den ehrenvollen Titel "Mann des Jahres 1982". Die Auszeichnung verleiht das US-Magazin "Time" einmal pro Jahr an eine herausragende Persönlichkeit. Im Jahr 1982 hörte sie auf den Namen "5150 PC", und in der Laudatio schrieb "Time": "Es gibt manchmal Umstände, da ist nicht ein einzelnes herausragendes Individuum die treibende Kraft für Entwicklungen, sondern ein Prozess. Der Mann des Jahres 1982, der den größten Einfluss im Guten wie im Bösen ausübte, ist kein Mann. Es ist eine Maschine: ein Computer...".