Open-Source-Software/Interview mit IBMs Linux-Marketier Adam Jollans

Der Linux-Kurs des blauen Supertankers

27.04.2001
Von allen Traditionsfirmen der IT-Branche hat IBM den radikalsten Schritt zur Förderung von Linux und Open Source unternommen. Adam Jollans, der Leiter für das Software-Marketing Windows 2000 und Linux sowie E-Technologies bei IBM, Region Europa, Naher Osten und Afrika (Emea), erläutert im Interview mit CW-Redakteur Ludger Schmitz die bisherige Entwicklung und die Absichten.

CW: Wer die IBM-Geschichte kennt, wäre nicht überrascht gewesen, wenn Big Blue alles um Linux als "Programmierkommunismus" abgetan hätte. Wie begründet Ihre Firma die neue Haltung?

Jollans: Wir glauben, dass Open-Source-Software wie Linux und kommerzielle Programme wie DB2 koexistieren und voneinander gewinnen können. Die Gesellschaft bietet eine gute Analogie: Einerseits haben wir alle unsere persönlichen Karriereziele und Ambitionen - das ist mit der kommerziellen Software vergleichbar. Andererseits zahlen wir zum Vorteil der Gesellschaft Steuern - das ist mit Open Source vergleichbar.

CW: Die Linux-Orientierung hat viele IBM-Mitarbeiter überrascht. Wie steht es um die unternehmensinterne Meinungsbildung?

Jollans: Unsere Unterstützung für Open-Source-Software ist bei den Programmierern in unseren Entwicklungslaboren sehr begrüßt worden. Die stehen Schlange, um in Open-Source-Projekten mitmachen und ihre Glaubwürdigkeit beweisen zu können. Und das können sie durch das Linux Technology Center (LTC).

CW: Welche Kosten- und Nutzenüberlegungen waren ausschlaggebend bei der Entscheidung für Linux?

Jollans: Erstens ist IBMs Strategie E-Business. Das Internet basiert seit jeher auf offenen Standards wie TCP/IP und HTML, und das wird weiterhin so sein. Linux bietet offene Standards für Applikationen und Middleware, die unmittelbar auf das Betriebssystem aufsetzen. Also nehmen wir an, dass Linux das E-Business vorantreiben wird und sich folglich die Marktchancen für IBM verbessern.

Zweitens ist Linux das erste Betriebssystem der Geschichte, das sich von der Armbanduhr bis zum Supercomputer skalieren lässt. Es läuft auf der gesamten IBM-Hardware von der Intel-basierenden X-Serie zu den Mainframes der Z-Serie. Das macht es möglich, Applikationen schneller über ein ganzes Maschinenspektrum anzupassen - sowohl unsere eigenen Programme als auch die von unabhängigen Softwarehäusern.

Drittens bewegt sich die Welt von der Phase proprietärer Systeme auf eine Ära offener Systeme zu, und Linux ist ein bedeutender Teil dieser Entwicklung. In dieser Welt stehen die IT-Anbieter über die Qualität ihrer Implementierungen im Wettbewerb: Wie schnell ist ihre Hardware, wie zuverlässig ihre Software? Wir glauben, IBM hat die beste Hardware und Software der Welt. Also ist eine offene Welt gut für uns.

CW: Ist Linux für IBM nur ein Mittel, um mit geringerem finanziellen Aufwand als bei der Weiterentwicklung und Pflege vieler eigener Betriebssysteme zu arbeiten?

Jollans: Linux ist für die gesamte IT-Welt ein Weg, ihre Ressourcen auf ein einziges, gemeinsames Betriebssystem zu konzentrieren, statt proprietäre Betriebssysteme zu entwickeln. Bisher werden eigentlich nicht so neue Techniken - virtuelle Speicher, symmetrisches Multiprocessing, Journaled File-Systeme oder Debugging-Tools - für neue Hardware immer wieder programmiert. Das Neue an Linux ist, dass es offen und sehr portabel ist.

CW: Könnte für IBM die Open-Source-Business-Maxime Dienstleistungen statt Lizenzen attraktiv sein?

Jollans: Wir machen unsere Geschäfte mit Hardware, auf der Linux läuft, mit Software, die ihm aufsetzt, und außerdem noch mit Services, um es zu implementieren. Professionelle Anwender interessieren sich in erster Linie für ihre Total Cost of Ownership und nicht dafür, ob sie das Geld nun für Lizenzen oder Services bezahlen.

CW: Viele Anwender assoziieren mit Linux kostenlose Software. Hat IBM mit Linux-Programmen schon Geld verdient?

Jollans: Ja, mit Software für Linux-Systeme verdienen wir Geld, zum Beispiel mit Lotus Domino, DB2 und Websphere. Die Ansicht, dass Linux-basierende Software grundsätzlich kostenlos sein sollte, teilen wir nicht. Irgendwo muss in der Industrie auch das Geld verdient werden, mit dem man beispielsweise auch die Open-Source-Entwicklung finanzieren kann.

CW: Machen die IBM-Kunden in ihrer eigenen IT-Strategie die Orientierung von Big Blue auf Linux mit?

Jollans: Ja, ausgesprochen gut sogar. IBM hat Linux Glaubwürdigkeit gegeben, während die CIOs entdeckten, dass dieses System aus dem Untergrund schon in ihre IT-Landschaften hineingewachsen war. Die IT-Chefs stellen gleichzeitig fest, dass sie ihre Systeme mit denen ihrer Kunden, Lieferanten und Partner verknüpfen müssen und Linux das einfacher macht.

CW: Wo sieht IBM die besten Marktchancen für Linux in naher Zukunft?

Jollans: Wir glauben, dass Linux kurzfristig in vier Bereichen akzeptiert wird: erstens zur Konsolidierung der Workload, beispielsweise durch Übergang von Server-Farmen auf einen einzigen Mainframe, auf dem mehrere Linux-Images laufen. Zweiter Verbreitungsort für Linux sind Unternehmen mit Servern in vielen lokalen Niederlassungen, wie es im Handel, bei Banken und Versicherungen der Fall ist. Drittens sind kommerzielle Cluster ein Thema, Supercomputer aus vielen Intel-basierenden Servern für wissenschaftliche oder technische Berechnungen. Punkt vier sind Web-Applikations-Server, um etwa mit Java auf der Basis von Apache interaktive Web-Applikations-Server schneller zu entwickeln.

CW: Folgen die Softwarepartner der Linux-Orientierung von IBM? Gibt es ein spezielles Programm oder andere Anreize für Linux-orientierte Business-Partner?

Jollans: Wir starten in diesem Frühjahr eine 17-Städte-Tour unter dem Slogan "Ready Set Linux". Sie beginnt jeweils mit einer Erläuterung der Geschäftsmöglichkeiten unserer Business-Partner mit Linux und unserer Linux-Strategie. Danach gibt es einen Kurs über Linux, unsere E-Server und Linux-Middleware, der mit einem Zertifikat abschließt.

CW: IBM betont die Gleichberechtigung der Linux-Distributionen. Gibt es nicht trotzdem im Stillen eine Spezialisierung oder Zuweisung dieser Partner auf bestimmte der vier IBM-Hardwarelinien? Oder wird alles mehrmals erfunden?

Jollans: Wir haben drei weltweit tätige Linux-Distributionspartner, die Linux über die gesamte Reihe unserer Server unterstützen wollen: Suse, Red Hat und Turbolinux. Zusätzlich kooperieren wir mit Distributionen, die spezifische Anliegen verfolgen oder lokale Stärken sind. So konzentriert sich Caldera auf Linux für Systeme unserer X-Serie, und Mandrake hat eine starke Präsenz in Frankreich.

CW: Manche Partner aus der Linux-Szene klagen, die Zusammenarbeit mit IBM sei finanziell nicht attraktiv und IBM lasse hinter seinem großen blauen Logo die Partner nicht recht zur Geltung kommen.

Jollans: Auch die Linux-Firmen realisieren, dass es nicht so einfach ist, mit einem kostenlosen Betriebssystem Geld zu verdienen. Sie müssen mit Services, kommerzieller Software und mit Hardware ihre Umsätze machen. Wir helfen ihnen dabei, zum Beispiel durch die Bundles von Software, die IBM und Firmen wie Suse oder Red Hat zusammengestellt haben. Solch ein Fall ist der Linux-Groupware-Server von Suse, der Lotus Domino umfasst.

CW: Verschlechtern die anhaltenden Probleme von Linux-Services-Unternehmen wie Linuxcare, ID-Pro oder Innominate die Perspektiven für Linux?

Jollans: Die Entwicklung von Linux von der Phase der Early Adopters zum Mainstream in der Unternehmens-DV hat gravierende Auswirkungen auf die Linux-Ökonomie. Und wir arbeiten mit unseren Linux-Partnern dahingehend zusammen, dass wir ihnen beim Übergang in diese neue Zeit helfen. Services sind ein bedeutender Geschäftszweig im Linux-Feld. Die Nachfrage nach kommerziellen Erfahrungen bei der Implementierung von Linux-Systemen steigt.

CW: IBM hat angekündigt, insgesamt rund 1,3 Milliarden Dollar in Linux zu investieren. Worin wird im Einzelnen investiert? Geht das meiste Geld ins Marketing?

Jollans: Wir investieren dieses Geld in sechs Bereiche: Wir machen unsere gesamte Hardware Linux-fähig, also für Linux auf den Mainframes der Z-Serie oder auf der I-Serie, den einstigen AS/400. Unsere gesamte wichtige Software soll auf Linux portiert werden. Wir entwickeln Serviceangebote für Linux, Linux-Schulungen und -Beratung. Für die Open-Source-Community gibt es direkte Unterstützung, etwa durch die Entwickler im Linux Technology Center oder indem wir Hardware für das Open Source Development Lab zur Verfügung stellen. Wir unterstützen unsere Geschäftspartner, zum Beispiel die Linux-Distributionen durch gemeinsames Marketing, die unabhängigen Softwarehäuser durch Hilfe bei der Portierung ihrer Applikationen über die IBM Solution Partnership Centers und die VARs durch Bildungsmaßnahmen wie das Programm Ready Set Linux. Und unser Marketing hilft, Anwender zu überzeugen, dass Linux reif für Enterprise-Computing ist.

CW: Es steht ein L hinter AIX 5. Bedeutet Linux das Ende der Unix-Derivate?

Jollans: Nein, denn Linux ist in Sachen Skalierbarkeit limitiert. So unterstützt der Kernel 2.4 problemlos acht CPUs bei symmetrischem Multiprocessing. Unix-Systeme wie AIX kommen mit 32-Wege-SMP und mit viel komplexeren Clustern zurecht. Soweit wir es absehen können, wird man für Highend-Systeme AIX oder Ähnliches benötigen.

CW: Wird IBM in der Linux-Community akzeptiert, oder gibt es Ressentiments, die beispielsweise in der IBM-Geschichte begründet sein könnten?

Jollans: Wir glauben, in der Community sehr gut akzeptiert zu sein. Man weiß, dass wir mit Linux-Distributionen kooperieren, zu Open-Source-Projekten Beiträge leisten und sie unterstützen. Als kürzlich eine Falschmeldung suggerierte, IBM möchte quasi Linux übernehmen, hat uns interessanterweise die Linux-Community verteidigt und festgestellt, dass sowas eben nicht stattfindet.

CW: IBMer konnte man früher schon an ihren einheitlich dunkelblauen Anzügen erkennen. Haben IBM-Mitarbeiter Schwierigkeiten mit den nicht-hierarchischen, spontanen, manchmal emotiona-len Umgangsformen in der Community?

Jollans: In unseren Entwicklungslaboren gab es immer die Tüftler, die Um-die-Ecke-Denker, die wilden Vögel, und IBM hat sie ermutigt. Und die Böblinger Ingenieure, die Linux auf die S/390 portiert haben, sind auch eher die nicht-hierarchischen und spontanen Typen. In der Linux-Community zählen die Kleidung oder der Arbeitgeber nicht, da geht es nur um technische Fertigkeit. Also passen unsere Leute ganz gut in die Open-Source-Community.

CW: IBM hat bestimmt genaue Vorstellungen davon, was in Sachen Linux und Open-Source-Software entwickelt werden sollte. Wo wünscht sich Big Blue technische Verbesserung von Linux und zugehöriger Software?

Jollans: Über das LTC versuchen wir in mehreren Richtungen zur Entwicklung beizutragen. In puncto Kernel geht es beispielsweise um Verbesserungen der Skalierbarkeit, der Performance und ihrer Messung, der Eingriffsmöglichkeiten im Falle von Fehlern sowie des Schedulers. Außerdem arbeiten wir am Support für 32- und 64-Bit-Power-PC-Systeme, an der logischen Partitionierung, am Speicherzugriff nach Numa-Art und am JFS-File-System. Hinsichtlich weiterer Linux-Komponenten geht es unter anderem um Omni-Druckertreiber, Mwave-Devise-Support, Cluster und ihre Installation mit den Techniken LUI/Oscar und Distributed Lock Manager, glibc-Threading, Internationalisierung sowie das System-Management.

CW: Auf welche Aktivitäten konzentriert sich IBM Global Services im Kontext Linux?

Jollans: Bereits seit eineinhalb Jahren bieten wir 24x7-Support an, denn die häufigste Frage unserer Kunden war: "Wen rufe ich an, wenn mit Linux was schief geht?" Zweitens bieten wir über IBM Learning Services Linux-Ausbildung und weitere Schulungsmaßnahmen. Drittens gibt GS-Beratung und Implementierungshilfen für Linux.

CW: Was ist der Beitrag von IBM zu den Open Source Development Labs?

Jollans: Wir waren einer der Mitbegründer der OSDL. Sie befinden sich in der IBM-Niederlassung Beaverton, Oregon. Wir haben des Weiteren für die Arbeiten Hardware, Software und Personal abgestellt.

CW: Kann IBM mit den bisherigen Ergebnissen in Richtung Linux-Standardisierung zufrieden sein?

Jollans: Standardisierung ist die Schlüsselfrage für Linux. Wir arbeiten im Projekt Linux Standard Base, LSB, mit, um es schnell zum Erfolg zu bringen. Das Hauptziel besteht darin, dass Softwarehersteller ihre Lösungen ohne weiteres für jede im RPM-Format verpackte Linux-Version, etwa von Caldera, Red Hat, Suse oder Turbolinux, entwickeln und ausliefern können.

Ein IBMer ist ausschließlich für LSB tätig: George Kraft leitet das LSB-Projekt. Sobald eine LSB-Spezifikation verabschiedet ist, werden wir nur noch entsprechende Versionen und Produkte ausliefern.

CW: Erinnert nicht vieles in der Linux-Standardisierung an die X/Open, der es nie gelang, Hersteller zur Aufgabe proprietärer Eigenheiten ihrer Unix-Derivate zu zwingen? Droht Linux eine ähnliche Zersplitterung?

Jollans: Die GPL-Lizenz von Linux macht es anders als Unix: Wer an Linux etwas verändert, muss das in Form von Quellcode wieder der Community zugänglich machen. Also gibt es in Linux nicht diese proprietären Elemente wie in Unix. Wir glauben, das wird die Fragmentierung verhindern, die Unix erlitten hat.

CW: IBM ist ein Konzern mit besonders vielen Patenten. Die Open-Source-Community ist gegen Patentierungen, die GPL macht sie unmöglich. Wie steht IBM in diesem Spannungsverhältnis?

Jollans: Wir glauben, das Softwareerfindungen wie bei anderen Technologien auch patentierbar sein sollten. Das erlaubt es Firmen, mit Erfindungen Geld zu verdienen, für die sie vorher in Forschung und Entwicklung investiert haben. IBM verfolgt eine Politik offener Patentlizenzierung. Wir vergeben kostenlose Nutzungsrechte unserer Patente, die für Open-Source-Beiträge notwendig sind. Im Falle der Software, die wir Open Source gestellt haben, bewahren uns Patente davor, dass später ein Wettbewerber mit weniger Open-Source-freundlichen Intentionen die Erfindungen auf sich patentieren lässt.