Thema der Woche/Umstrukturierung bei SNI und Siemens

Der lange Abschied des letzten deutschen Computerbauers

01.05.1998

Wer David Coulthards grandiosen Sieg mit angezogener Handbremse beim Großen Preis von San Marino am Fernseher verfolgte, der könnte ganz nebenbei etwas gelernt haben über die Zeichen der DV-Zeit, wie man sie bei Siemens in Zukunft auslegen wird: Jede Plazierung auf dem legendären "Autodromo Enzo e Dino Ferrari" in Imola wurde am Bildschirm mit dem Werbeschriftzug "Siemens Communications" unterlegt.

Auf zwei Worte läßt sich in der Tat reduzieren, was Technologie made in Bavaria nicht nur in Deutschland und Europa, sondern weltweit ausmacht: Der Name Siemens in Verbindung mit Kommunikation.

Nixdorf hingegen war als Gütesiegel für Wertarbeit immer nur im Bewußtsein deutscher DV-Anwender verankert. Hierzulande stellte das Unternehmen des Heinz Nixdorf unter anderem mit seinen "8870"-Maschinen in der sogenannten Mittleren Datentechnik (MDT) eine Großmacht dar. Da richtete auch die Konkurrenz etwa der "/34"- und "/36"-Systeme von IBM, Kienzles "9000"-, Philips´ "P400" und "4000"-, NCRs "I"-, CTMs "9016"- und "9032"- sowie HPs "250"- und "260"-Maschinen nichts aus. Laut Zahlen von Diebold konnte Nixdorf Ende 1987 allein bei den "8870"-Systemen rund 23 000 Installationen vorweisen. Die gesamte vorgenannte Konkurrenz plazierte insgesamt hingegen nur etwa 35 000 Rechner beim Anwender. Noch vor der IBM rangierte mit Kienzle übrigens ein Unternehmen, zu dem heutzutage DV-technisch ebenfalls niemandem mehr etwas einfällt.

Seit der Verschmelzung 1990 von Nixdorf mit dem Unternehmensbereich Daten- und Informationssysteme (DI) der Siemens AG verblaßte der Name des legendären deutschen Computerbauers aus Paderborn rapide. Kläglich scheiterten auch Versuche der SNI, Nixdorf-Technologie in die Jetztzeit zu überführen. Stichworte wären hier etwa 8870, "Quattro" oder "Comet" (siehe Artikel Seite 12).

Die SNI andererseits hatte zeitlebens mehr damit zu kämpfen, die Öffentlichkeit von ihren gedeihlichen Geschäftsaktivitäten zu überzeugen, als sich einen Namen als etablierter DV-Konzern zu machen. "Außerhalb Europas fiel die Siemens-Nixdorf Informationssysteme AG nur durch einen Rekord auf - nämlich den längsten Namen aller Computerunternehmen zu besitzen", formuliert denn auch Luis Praxmarer, Geschäftsführer des anwendernahen Marktforschungsinstituts Meta Group GmbH. Draußen in der Welt war SNI als Markenname nicht existent.

Genau aus diesem Grund ergibt die jetzt öffentlich gemachte Umstrukturierung sowohl für Praxmarer als auch für Felix Hamann, Geschäftsführer des Marktforscherunternehmens Input GmbH, viel Sinn: "Das Vorgehen ist ein sehr geschickter Schachzug", urteilt Hamann. Siemens mache damit klar, daß man ein Kommunikationsunternehmen sei, das sich über die Jahre auch Know-how in der Informationstechnologie aufgebaut habe. Als Dienstleister könne man nun beide Bereiche verquicken und so gegenüber Kunden mit geballter IuK-Kompetenz auftreten.

Genau so argumentiert die Siemens AG. Vorstandsmitglied Volker Jung selbstbewußt gegenüber der COMPUTERWOCHE: "Wir sind das einzige Unternehmen, das Kompetenz sowohl im Kommunikations- als auch im Informations-, also DV-Bereich, besitzt."

Doch die Sache hat einen Haken: Genau die Aktivitäten, die für die Öffentlichkeit das Herzstück der SNI ausmachten, deretwegen man den Nixdorf-Nachfolger als DV-Unternehmen ê la IBM, DEC, Compaq wahrgenommen hat, eben diese Geschäftsbereiche verschwinden in der neuen, dreigeteilten IuK-Struktur bei der Siemens AG völlig.

Der IuK-Produktbereich umfaßt, so die offizielle Diktion, im wesentlichen die Endgeräte von PN und von der "alten" SNI. Die "neue" SNI wird reduziert auf Kassen- und Selbstbedienungsgeräte. "Da fragt sich natürlich jeder, wo der gesamte bisherige SNI-Bereich der Computersysteme hinwandert", also die BS2000- und die Unix- sowie NT-Server schüttelt Praxmarer den Kopf. Draußen bei den Anwendern könnte wegen des "nicht professionellen" PR-Auftritts bei der Vermittlung der Umstrukturierung und der nicht klaren Zuordnung der ehemaligen SNI-DV-Bereiche insbesondere bei klassischen SNI-Kunden eine "große Verunsicherung" entstehen.

Da müssen wir gegensteuern

Siemens-Vorstandsmitglied Jung räumt ein, daß der Markt eine "ähnliche Sicht haben könnte", da "müssen wir gegensteuern". Bislang ist hausintern aber überhaupt noch nicht klar, auf welche der neuen IuK-Bereiche die bisherigen SNI-Aktivitäten verteilt werden, bestätigt Jung. Telefonendgeräte und PCs werden, so der Siemens-Manager, mit Sicherheit in die Geschäftsdivision IuK-Produkte eingegliedert: "Bei anderer Gerätschaft wie beispielsweise den großen Servern ist es noch nicht klar, ob die besser zu IuK-Produkte oder IuK-Netze passen". Kontert Praxmarer trocken: "Eine Ankündigung zu machen, bei der der gesamte Unix- und der komplette BS2000-Bereich von der Bildfläche verschwindet, ist seltsam."

Die Tatsache, daß Acer künftig die PC-Fertigung samt Produktionsstätten in Augsburg von der SNI übernimmt, ist da als unternehmerische Entscheidung noch nachvollziehbar und sinnvoll. Meta-Group-Mann Praxmarer meint zu Recht, eine PC-Fertigung biete heutzutage keine strategischen Vorteile mehr. Eine Erkenntnis übrigens, die seit langem auch schon IBM, Dell oder Compaq gewonnen haben. Sie lassen - ebenfalls in Taiwan - diverse PC-Rechnerlinien produzieren.

Das Problem der Neustrukturierung und Eingliederung der DV-Aktivitäten von Siemens in ein unternehmensweites IuK-Konzept - für sich genommen schon eine herkulische Aufgabe, entsteht hier doch ein 50-Milliarden-Mark-Komplex mit 100000 Mitarbeitern - liegt in der damit verbundenen Neufokussierung der Geschäftsausrichtung: Bislang hatte Siemens beziehungsweise die SNI im Endgerätebereich das Ziel, in Deutschland und dann in Europa mit PCs die Erfolgsleiter hochzuklimmen. Der Schwerpunkt bei Endgeräten im künftigen IuK-Produkte-Bereich ist aber sicher nicht identisch mit dem Ziel der bisherigen SNI-PC-Gruppe, hierzulande und in Europa erfolgreich als PC-Anbieter zu reüssieren. Das heißt, es geht in Zukunft nicht mehr darum, bei PCs die Nummer eins zu werden, sondern im IuK-Endgeräte-Segment eine starke Position aufzubauen. Das bedingt eine andere Strategie.

Differenzierung kaum mehr möglich

Beide Marktforscher sind sich im übrigen einig, daß Siemens das bei PCs verfolgte Konzept der Fertigungsauslagerung auch bei Midrange-Servern (Unix/NT) durchziehen könnte.

Dies gilt nicht für die BS2000-Welt. Hier ist das Know-how, das die Siemens AG für ihre Großrechner vorhält, zu spezifisch. Fujitsu liefert nur noch die Systemplatinen, Siemens hingegen erledigt die gesamte Anpassung der Chips an das ebenfalls aus Bayern stammende Betriebssystem. Fraglich ist aber bereits, wie die Zukunft der Mips-basierten RM-Systeme aussieht. Ausgemacht ist, daß die Mips-Prozessoren eingemottet werden und statt dessen Intel-CPUs Einzug halten. Statt der Sinix- und DC/OSx-Unix-Derivate will man sich zudem künftig auf Suns "Solaris" verlassen. Mit anderen Worten: Siemens verzichtet auf halbwegs proprietäre Architekturen und setzt statt dessen auf die Macht des Faktischen, beugt sich also dem Markttrend.

Eine per se sinnvolle Entscheidung, wie die Analysten sagen, allerdings mit möglichen Spätfolgen beziehungsweise Nebenüberlegungen. Denn neben der Betonung des Kommunikations-Know-hows spielt in den strategischen Überlegungen von Siemens vor allem der Geschäftsbereich IuK-Dienstleistungen eine dominierende Rolle. Und auch hier gewärtigt Siemens ein Dilemma: Als Anbieter von DV-Produkten sieht sich die Servicemannschaft von Siemens mit dem internen Interessenskonflikt konfrontiert, als verlängerter Vertriebsarm des Produktbereichs zu gelten: "Das Problem hat die IBM mit ihrer Global-Services-Mannschaft auch", so Input-Geschäftsführer Hamann. Weswegen Diensteanbieter wie Andersen Consulting, Debis oder EDS auch Vorteile gegenüber Siemens hätten: "Die können als unabhängige Dienstleister bei der Implementierung von DV-Technolo- gien auftreten." Hamann glaubt deshalb, daß sich die Zukunft von Siemens als DV-Unternehmen, das nur noch Dienstleistungen und keine Produkte mehr anbietet, im Prinzip schon in der Vergangenheit abgezeichnet hatte. Die zunehmende Auslagerung von Software-Aktivitäten wie die Entwicklung von betriebswirtschaftlichen Lösungen ("Comet") an Firmen wie Baan, die Vergabe der PC-Fertigung an Acer oder auch die Ankündigungen zu Solaris und Intel machen ihn sicher: "Es würde aus diesen Gründen niemanden wundern, wenn Siemens in Zukunft im Computerbereich keine eigenen Produkte mehr anbietet, sondern nur noch als unabhängiger Dienstleister agiert." Das wäre dann das Ende des letzten deutschen Computerbauers.