Automation wandelt die DV-Kommadozentrale zum Serviceanbieter

Der Kulturschock steht dem RZ erst noch bevor

01.12.1989

MÜNCHEN (CW) - Jobs und Personalkosten im Rechenzentrum steigen, Qualität und Termintreue sinken. Setzen die Referenten des CSE-Anwender-Kongresses "RZ-Management und DV-Organtisation" in München deshalb auch unisono auf Automationstools im RZ - zur Implementierung, so ihr Fazit, gehört vor allem der optimierte Mitarbeiter.

Mit ihren Lösungen zur automatisierten RZ-Produktion zählen die CSE-Referenten - Rechenzentrums-Manager aus Finanz- und Versicherungswirtschaft sowie Fertigung - hierzulande noch zu den Vorreitern. Denn nur fünf Prozent aller Großrechenzentren nutzen unterstützende Software zur automatischen RZ-Planung und --Steuerung bereits voll aus. "Handgestrickt oder computergesteuert" ist für etwa 7000 Großrechenzentren noch keine

ernsthafte Frage.

Dabei besitzt ein mit Automation optimiertes RZ strategische Bedeutung. Es hat Hebelwirkung für die Positionierung am Markt. Diese Überzeugung teilt auch der Vorstand der Leonberger Bausparkasse. Ohne sein grünes Licht hätte das "Quality-Management"-Projekt der Finanzanstalt kaum Chancen gehabt, für das verantwortlich Bernhard Koblischeck zeichnet. Der 29jährige Leiter für den gesamten DV-Betrieb gibt zu bedenken: "Nur Software anzuschaffen und zu installieren, reicht nicht aus." Wie seine Kollegen aus anderen Unternehmen betont er, sie müsse auch implementiert werden. Und: "Hier muß sich das RZ-Management umstellen und von der engen Sichtweise befreien, Projektmanagement sei eine reine Angelegenheit der Anwendungsentwicklung."

Für diese langfristige Umgestaltung sind die Leonberger ein Beispiel. Sie begannen mit einer ausführlichen Analyse. Aus ihr leitet sich der notwendige Automatisierungsgrad ab. Organisatorisch eindeutige Schnittstellen wurden definiert, Konventionen festgelegt und Ressourcen unternehmensweit verbindlich zur Mitarbeit verpflichtet. Dann erst war das Change-Management für die Batch-Produktion angesagt.

Automation rechnet sich bereits, beispielsweise für die Deutsche

Krankenversicherung in Köln. Dort konnte die Nachtschicht für zwei Jahre ausgesetzt werden. Damit allein hätte sich der Kaufpreis amortisiert, merkt Hans Joachim Jentzsch, Leiter der RZ-Planung, an.

"Je höher der Automatisierungsgrad ist, um so wichtiger wird die

Strukturorganisation des RZ. Der RZ-Manager hat dabei eine Sozialaufgabe zu erfüllen". Damit meint Klaus-Peter Kratzer von der ACC Automation Consulting Group in Frankfurt besonders die Motivationsspitze für die gewandelte Rolle des RZ-Fachmannes.

Denn der Arbeitsstil verändert sich im Zeichen integrierter RZ-Gesamtkonzepte. Neue Funktionen bilden sich "vom Installation-Prozeß-Management über die

Systemplanung zur Sicherheitskontrolle und Netzwerkmanagement", beobachtet Berater Kratzer. Weniger, aber qualifiziertere Mitarbeiter sind gefragt. Damit stehen besonders Operator und klassische Arbeitsvorbereiter auf verlorenem Posten .

Bei der Prym GmbH in Stollberg etwa wechselten nach vollzogener RZ-Automation einige der Arbeitsvorbereiter und Systemprogrammierer in den Benutzer-Service. "Wir fahren nur noch zwei Schichten, haben weniger Streß und sind zufriedener", schildert DV-Leiter Lothar Papenberg. Er setzt zudem auf Tele-Operating. Als EDV-Verbindungsleute zu den Fachbereichen hält sich die Colonia Versicherung in Köln ehemalige Anwendungsprogrammierer warm.

Schulung bieten die meisten Unternehmen bereits schon vor Beginn der Produktionsumstellung an. "Höherer Skill und Engagement sind zentrale Erfolgsfaktoren-, macht auch Heinz Hain, Leiter der Abteilung DV bei Wüstenrot und verantwortlich für das Netzwerkmanagement, deutlich. Aus- und Weiterbildung dürften deshalb kein Lotteriespiel

bleiben. Sie müßten statt dessen in Personalentwicklungs- und Schulungsplänen festgeschrieben werden. RZ-Planer Jentzsch propagiert ebenfalls Fortgeschrittenen-Schulung für "danach".

In die Erfolgsmeldungen der DV-Produktions-Chefs mischte sich indes auch Kritik. Zum

einen deckten die wenigsten Tools bislang eine RZ-Disziplin funktionell vollständig ab, zum anderen sei für viele Tätigkeitsfelder eine Automatisierungsunterstützung überhaupt erst im Ansatz erkennbar, so Wüstenrot-DV-Leiter Hain. Vor allem hätten sich auf vielen Gebieten allgemein verbindliche Standards und Konventionen eben noch nicht durchgesetzt.

Die Softwarehersteller näher zu betrachten, sei lebensnotwendig, sekundiert DV-Betriebsleiter Koblischeck. Automatisieren heiße, sich in Abhängigkeit zu begeben. Die Infrastruktur des Herstellers, seine Entwicklungsmannschaft und seine technischen Support-Möglichkeiten seien daher im Problemfall mit Sicherheit wichtiger als vielleicht die eine oder andere Report-Erstellung des Produktes (siehe CW Nr. 42 vom 13. Oktober 1989, Seite 122).

Das Ziel ist ein gewandeltes Servicebewußtsein im RZ für die

Unternehmensbereiche des Bausparunternehmens. Ohne deren Unterstützung wiederum geht nichts. Kommunikation mit dem Fachbereich will gelernt und gepflegt sein. Ein User-Help-Desk, wie es die Wüstenrot-Bausparkasse in Ludwigsburg im Rahmen eines Netzwerkmanagements aufweist, signalisiert Verständnis für notwendiges Technik-Marketing. Wenn liebgewordene Gewohnheitsrechte der Nutzer fallen sollen, müssen die Argumente schon überzeugen: Am besten sie stützt, wie in Leonberg, die Unterschrift des Vorstands.

Einleuchtend vor allem sind die Ergebnisse des umgestalteten DV-Betriebes: Steigerung des Automatisierungsgrades, Parallelverarbeitung statt seriellem Ablauf, manuelle Eingriffe in die Tagearbeit entfallen weitgehend. Damit verkürzt sich die Laufzeit der Arbeitsvorgänge bis auf die Hälfte und die Termintreue erhöht sich.

Auch ein festgeschriebener Service für Fachbereiche, in dem etwa ein umgestaltetes Sachgebiet fortlaufend über wacht wird, gehört zu den neue n Spielregeln für Akzeptanz. Dokumentationssysteme und Output-Management-Werkzeuge schaffen für beteiligte Mitarbeiter gleichzeitig erhöhte Transparenz. Schließlich gibt ein Informations-Tool Überblick über die - gesunkene - Fehlerrate im RZ.

Doch nicht die Technik bremst den Automationsschwung, der zentralen DV. Ein ständig steigender Arbeitsaufwand, klagten RZ-Leiter, verhindere bislang "daß die Vorteile der Automation voll ausgenutzt werden". Einige fahren deshalb schon wieder den 3-Schicht-Betrieb.

"Das RZ als allmächtige DV-Zentrale ist tot", schlußfolgert daraus Jürgen Dostal. Der Geschäftsführer der Metall Gesellschaft-Informationsverarbeitung MGI in Frankfurt hat sich auf eine neue Generation technisch versierter Anwendern eingestellt. "Sie bevorzugen individuelle, auf einzelne Benutzer zugeschnittene Lösungen."

Dostal funktionierte das Konzern-Rechenzentrum zum Profit-Center um. Er versteht es nun als "Informationskraftwerk", dessen "Service aus der Steckdose" er nach innen und außen an eigenverantwortliche Nutzer verkauft: Rechner- und Speicherkapazität mit hoher Verfügbarkeit, Basissoftware und Kommunikationswege. Diesen "Kulturschock" hätten seine Mitarbeiter mittlerweile überwunden, für viele andere RZ stünde er noch bevor. +

Integration als Leitmotiv: Rechenzentrums-Automation

- AIfred Tenfelde,

Abteilungsleiter EDV-Produktion, Colonia Versicherungs AG, Köln

- Bernhard Koblischeck, Leiter DV-Betrieb, Leonberger Bausparkasse AG" Leonberg

- Heinz G. Hain, Leiter Abteilung DV, Wüstenrot GmbH, Ludwigsburg.

Wie wandeln Automatisierungs-Tools für das Rechenzentrum?

Tenfelde: Manuelle fehlerträchtige RZ-Funktionen entfallen. Damit steigt die Qualität der Ergebnisse.

Koblischeck: Mit Steuerung komplexer Automatisierungs-Software, zunehmend gezielter

Einsatz immer intelligenterer Hardware-Komponenten und mit Lokal und

Remote-Vernetzungen.

Hain: Die Herausforderung "Qualifikation" steigt: Es gilt, bestehende Engpässe zu über

winden.

Wo liegt das größte Problem der Automation?

Tenfelde: Sicherlich im personellen Bereich. Es geht eben nicht nur um die technische

Fragesiedlung der Realisierung.

Koblischeck: Mit Sicherheit bei der Implementierung der unterstützenden Software. Hier muß das RZ-Management nach Projektmanagementgesichtspunkten lernen vorzugehen.

Hain: Der notwendige Wandel des Umfelds wird ebenso übersehen wie die steigende

Abhängigkeit des Rechenzentrums von eben diesen Tools unterschätzt wird.

Wo findet der RZ-Leiter künftig seinen Platz?

Tenfelde: Bei der Aufgabe, den RZ-Ablauf auf eine Null-Fehler-Disziplin auszurichten sowie ein systematisches Projekt- und Problem-Management zu installieren.

Koblischeck: An der Schnittstelle zwischen der Realisierung neuer Anwendungen und den vorhandenen technischen Möglichkeiten.

Hain: Ist eine effiziente Ressourcensteuerung und erhöhte Benutzerzufriedenheit vollzogen, kann der Platz des RZ-Leiters nur in der vordersten Reihe des Informationsmanagements sein.

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Erprobte RZ-Automation zum Nachschlagen

"Handgestrickt oder computergesteuert ist für die zentrale DV-Produktion in Rechenzentren künftig eine Existenzfrage. Erfolgreiche Losungen nachlesen können RZ-Praktiker im Tagungsband des CSE-Kongresses. In ihm geben RZ-Manager aus Finanz- und Versicherungswirtschaft sowie Fertigungsbetrieben Orientierung und Entscheidungshilfen für RZ-Kollegen und DV-Organisatoren.

Dazu stellen sie erprobte Konzepte, Methoden und Verfahren zur Automation der RZ-Produktion vor. Ein Schwerpunkt ist dabei die kritische Betrachtung darüber, wie sich marktbestimmende Automations-Tools in Lösungen bewähren.

Informationen: CSE, IDG Communications Verlag AG, Rheinstraße 28, 8000 München 40, Telefon 089 / 360 86169.