Der kritische Punkt ist die Integration in Workflow-Systeme

10.12.1993

In Zusammenhang mit Image- Processing hat ein weiteres Schlagwort an Popularitaet gewonnen: Vorgangsbearbeitung beziehungsweise Vorgangssteuerung oder auch Workflow- Management. Zugleich wird von zusaetzlichen Vorteilen und Produktivitaetsgewinnen gesprochen. Viele Anbieter aber sind verwirrt durch die grosse Zahl der Moeglichkeiten1, Angebote und Produkte.

Von Markus Wochner*

Imaging-Systeme haben in erster Linie zum Ziel, Dokumente zu erfassen, sie abzulegen und zu archivieren sowie bei Bedarf wieder hervorzuholen und anzuzeigen. So koennen Unterlagen, die zum Beispiel in Form von Eingangspost in ein Unternehmen kommen, gescannt, auf optischen Platten abgelegt und vom entsprechenden Sachbearbeiter aufgerufen und betrachtet werden. Mit Imaging ist es moeglich, ohne Medienbruch alle benoetigten, auch extern erzeugten Dokumente und Informationen (ob codiert oder uncodiert) am Bildschirm fuer die Weiterverarbeitung verfuegbar zu machen.

Doch genau an der Weiterverarbeitung im Sinne eines voll integrierten Geschaeftsprozesses hapert es haeufig. Die Idee, die es zu verwirklichen gilt, ist die papierlose Bearbeitung von kompletten Vorgaengen am Bildschirm. Das ist zwar weiterhin Zukunftsmusik, mit der Entwicklung von Vorgangssteuerungssystemen kommt man dem Ziel jedoch deutlich naeher.

Was sind nun Vorgangssteuerungssysteme (VGSS)? Aus dem Englischen stammt der Begriff Workflow-Management, uebersetzt wurde er mit Vorgangsbearbeitung. Korrekterweise muss man jedoch von Vorgangssteuerung sprechen: Hauptaufgabe von VGSS ist das Steuern und Koordinieren des Arbeitsflusses zwischen den an einem strukturierten Geschaeftsprozess Beteiligten.

Mit Imaging ohne Medien- bruch weiterverarbeiten

Die Informationen (zum Beispiel eingescannte Dokumente oder Host- Daten) werden parallel dazu weitergegeben und beispielsweise dem Sachbearbeiter arbeitsschrittspezifisch praesentiert. Die eigentliche Bearbeitung uebernimmt somit der Sachbearbeiter beziehungsweise die uebrigen eingesetzten Anwendungen, nicht aber das VGSS. An sich ist somit Vorgangssteuerung (VGS) nichts Neues, haben doch praktisch alle Anwendungen eine quasi implizite Steuerungsebene; zum Beispiel wird in der Auftragsbearbeitung einer betriebswirtschaftlichen Standard-software ein bestimmter Auftrag schrittweise vom Eingang bis zur Fertigstellung und Auslieferung gesteuert. Das Neue an den VGSS ist lediglich, dass die eigentliche Steuerungsebene gewissermassen aus den bisherigen Programmen herausgehoben wurde und nun als eine weitere Ebene ueber allen anderen Anwendungen und Tools liegt. Auch Imaging-Systeme als zu steuernde Anwendungen gehoeren dazu. Dieses Konzept verbirgt sich hinter Programmen wie "Workparty" von SNI, "Cosa" von Software-Ley oder "Flowpath" von Bull.

Wichtig ist, sich darueber klarzuwerden, dass heute angebotene VGSS fuer ein bestimmtes Umfeld in einer Verwaltung oder Buerokratie gedacht sind. Die Vorgaenge, die das VGSS koordinieren soll, sollten strukturiert und nachvollziehbar sein. Die potentiellen Anwender sollten in der Lage sein, Vorgaenge flexibel zu aendern und neu zu definieren. Weiterhin sollten die Vorgaenge komplex sein erstens durch ihre Laenge, zweitens durch die Zahl der beteiligten Mitarbeiter in den einzelnen Abschnitten und im Vorgang insgesamt, sowie drittens durch die Zahl der moeglichen Uebergaenge zwischen den verschiedenen Vorgangsstadien.

Keinesfalls sollte ein VGSS jedoch den Status quo in der Ablauforganisation eins zu eins abbilden; es wuerde dann nur eine Beschleunigung des sonst unveraenderten Vorgangs bewirken.

Oftmals haben sich im Laufe der Jahre viele unnoetige Schritte in die Geschaeftsprozesse eingeschlichen. Diese Komplexitaet muss soweit wie moeglich eingedaemmt werden. VGSS bieten dabei aber kaum Unterstuetzung, auch Schnittstellen zur Software fuer die Organisationsgestaltung sind praktisch nicht vorhanden.

Im Prinzip koennen alle sequentiellen Vorgaenge, also auch einfache wie zum Beispiel Urlaubsantraege, mit VGSS automatisiert werden. Nur muss dann die Frage erlaubt sein, ob es nicht besser, das heisst wirtschaftlicher waere, solche Probleme ueber einen anderen Ansatz zu loesen, bei- spielsweise Groupware, "festverdrahtete" Standard- oder Individualsoftware.

Einsatz von VGSS im Prinzip in allen Branchen moeglich

Fuer die Erprobungsphase mag die Automatisierung eines einfachen Vorgangs mittels VGSS einen Sinn ergeben. Doch sollte man sich danach auf die relevanten Prozesse konzentrieren, bei denen sich erheblich Kosten einsparen lassen beziehungsweise produktiver gearbeitet werden kann. Hier spielen Imaging-Tools eine grosse Rolle.

Im uebrigen lassen sich nicht alle Geschaeftsprozesse durch VGSS steuern. Unstrukturierte Aktivitaeten wie kreative Arbeit oder komplexe Management-Aufgaben sowie Ad-hoc-Vorgaenge koennen von VGSS nur teilweise unterstuetzt werden. Da jedoch strukturierte Vorgaenge oder Geschaeftsprozesse in jedem Unternehmen vorkommen, scheint der Einsatz von VGSS prinzipiell in allen Branchen moeglich. Am haeufigsten ist er bisher bei grossen Finanzdienstleistern und Behoerden.

Die beiden Huerden auf dem Weg zum vollintegrierten, medienbruchlosen strukturierten Geschaeftsprozess scheinen genommen: Saemtliche Dokumente, Unterlagen und Informationen koennen am gleichen DV-Arbeitsplatz angezeigt werden, ebenso gibt es eine Technologie, mit der sich Vorgaenge abbilden und steuern lassen. Beide Technologien und Begriffe sollten jedoch sauber unterschieden werden. Der Einsatz von VGSS ist naemlich sehr wohl ohne Image-Processing moeglich.

Dieses Vorgehen erscheint allerdings wenig sinnvoll, da praktisch alle Geschaeftsvorgaenge (noch) von Dokumenten begleitet werden, die in uncodierter Form (Non-Coded Information = NCI) vorliegen und man gerade vermeiden will, dass Informa- tionen aus verschiedenen Medien verwendet werden muessen. Die angebotenen VGSS und Image- Processing-Systeme folgen verschiedenen Konzepten1. Dokumenten- Management-Systeme wurden um Mail- und Steuerungskomponenten erweitert. Hersteller von VGSS bieten zu ihren Systemen fertige und eng verzahnte Imaging-Systeme an. Daneben gibt es recht guenstige Pakete, die von allem etwas koennen.

Gemeinsam ist allen, dass der enge Zusammenhang zwischen Image- Processing und VGS erkannt wurde. Der kritische Punkt ist jedoch die gekonnte Integration beider. Hier entscheidet sich der Erfolg des Einsatzes. Idealerweise verfuegt das VGSS ueber Aufrufe fuer das Imaging-System. Aber auch eine Screen-level-Integration, bei der Daten zum Beispiel ueber MS-Windows-DDE ausgetauscht werden, ist denkbar.

Der Nutzen von Imaging-Systemen ist bekannt. Was aber bringt der zusaetzliche Einsatz eines VGSS? Eine Frage, die im Moment niemand in Mark und Pfennig beantworten kann. Zu erwarten ist freilich eine Effizienzsteigerung durch geringere Bearbeitungszeiten, weniger Informationsverlust und bessere Terminueberwachung. Es eroeffnen sich Chancen zur Verbesserung der Motivation der Mitarbeiter durch eine ganzheitliche Sachbearbeitung (Job enrichment) sowie des Kundenservices ueber eine groessere Auskunftsbereitschaft.

Dennoch liegen noch viel zuwenig Erfahrungswerte von Anbietern und Anwendern vor. Einen wesentlichen Nutzen bringt nicht das VGSS selbst, sondern die genannte organisatorische Durchleuchtung der Geschaeftsprozesse. Es ist unumgaenglich, zuerst die Organisation vom Ablauf und eventuell sogar vom Aufbau her zu optimieren. Dadurch lassen sich Ressourcen einsparen und schon hier die Effizienz in der Bearbeitung erhoehen. Erst danach sollte ueber den Einsatz eines VGSS entschieden werden.

Dabei kann herauskommen, dass zunaechst von einem Einsatz abgesehen wird, wenn naemlich dem zu erwartenden Nutzen zu hohe Kosten fuer Anpassung und Integration des VGSS gegenueberstehen. Ein VGSS kann als Anregung dienen, ueber Fehler in der eigenen Organisation und deren Beseitigung nachzudenken. Es kann sogar vorkommen, dass dabei Vorgaenge zum ersten Mal definiert werden, von denen zuvor niemand genau wusste, wie und warum sie gerade so und nicht anders ablaufen. Fuer die Zukunft zeichnen sich verschiedene Trends ab.

Da der Geschaeftsprozessgedanke bei der Applikationsentwicklung noch zuwenig beruecksichtigt wurde und bisherige Anwendungen stark funktional orientiert waren, wird die Idee der Vorgangssteuerung staerker in Entwicklungsumgebungen integriert werden, wie dies zum Beispiel Lion mit "Leu" begonnen hat. Daneben wird es weiterhin die bisherigen VGSS geben, unter denen sich bereits existierende Anwendungen vorgangsorientiert verbinden lassen.

Einige Probleme muessen noch geloest werden

Vor Euphorie muss jedoch gewarnt werden. VGSS befinden sich in einer sehr fruehen Entwicklungsphase, und noch sind einige Schwierigkeiten zu loesen. Ein leidiges Problem sind immer noch die Schnittstellen. Gerade VGSS, die auf verschiedene Anwendungen auf unterschiedlichen Plattformen und Betriebssysteme zugreifen sollen, muessen zahlreiche Schnittstellen vorweisen.

Umgekehrt muessen sich zum Beispiel Imaging-Systeme auch aus einem VGSS aufrufen lassen. Darueber hinaus laufen existierende VGSS oft nur auf einer Plattform, sollten aber fuer mehrere verfuegbar sein.

Ein weiteres Manko ist das Fehlen jeglicher Standards sowohl was die Definition von Vorgaengen als auch was die Vorgangsprotokollierung betrifft: VGSS verschiedener Hersteller koennen untereinander keine Vorgaenge uebergeben. Weiterhin mangelt es an Erfahrungswerten aus sehr grossen VGS-Projekten in weit verzweigten und verteilten Systemen, wie zum Beispiel die Vorhaben der Saarlaendischen und Hessischen Polizei.

Die Images parallel weiterreichen

Zukuenftig muessen Vorgaenge ueber mehrere Stufen (von Abteilung zu Abteilung, von Geschaeftsbereich zu Geschaeftsbereich) hinweg steuerbar sein, und NCI-Daten (Images) muessen sich parallel weiterreichen lassen. Heutige VGSS gehen jedoch meist von einem zentralen Vorgangs-Server aus.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass es durch den nun erreichten technologischen Stand der DV zum ersten Mal moeglich ist, Geschaefts- und Verwaltungsprozesse ohne Medienbruch abzubilden. Image-Processing und VGSS gehoeren zusammen, gerade wenn man das volle Nutzenpotential ausschoepfen will. Dennoch sind VGSS, auch unter Anwendung von Imaging, kein Allheilmittel.

Der Anwender ist besonders gefordert und muss aufmerksam seine Beduerfnisse mit dem Leistungsspektrum der angebotenen Loesungen vergleichen, hat dann aber viele Chancen, erfolgreicher zu arbeiten.

Literaturhinweis

1Eine aktuelle Uebersicht ueber Methoden, Vorgehen und Fallbeispiele enthaelt die Studie "Document Image Processing" von Nader Moukhtarzadeh in der CW-Edition, Computerwoche Verlag, Muenchen.

Erst geblickt, und dann gescannt

So viele Augen, so viele Blickwinkel, so viele Bilder, so viele Interpretationen. Eine dennoch einheitliche Methode der Weiterverarbeitung von "Images" gewaehrleistet Vergleichbarkeit und haeufig auch Objektivierung.

Foto: The Image Bank