Regelkatalog für erfolgreiche Marktplätze

Der Konsolidierungsprozess auf dem B-to-B-Sektor ist in vollem Gange

19.01.2001
Der elektronische Handel hat gegenwärtig zwei Seiten: Vorne lockt der Hype, hinten folgt die Ernüchterung durch das Dotcom-Sterben. Das Potenzial der virtuellen Geschäftsmodelle ist jedoch unbestritten. Andreas Reichert* hat einen Kriterienkatalog erstellt, mit dem sich die größten Probleme auf elektronischen Märkten vermeiden lassen.

Die Meldungen über Internet-Marktplätze und E-Business-Sites in Schwierigkeiten häufen sich. Erste Pleiten, etwa vom Modehaus Boo.com, haben viele Anleger erschüttert und misstrauisch gemacht gegenüber den Verheißungen der New Economy. Inzwischen prognostizieren Marktforscher, dass von den derzeit etwa 1000 US-Internet-Plattformen nicht einmal ein Viertel die nächsten drei Jahre überleben wird. Der Konsolidierungsprozess einer Branche ist in vollem Gange.

Der Grund hierfür liegt keineswegs in einer rückläufigen Marktnachfrage. Die Entwicklung in der Informationstechnologie steht immer noch am Anfang, und in den kommenden Jahren ist mit einem weiteren rapiden Wachstum sowohl der Nutzerzahlen als auch der geschäftlichen Transaktionen über das Internet zu rechnen. Vor allem die B-to-B-Marktplätze, auf denen Unternehmen untereinander mit Waren und Dienstleistungen aller Art handeln, stehen ungeachtet einzelner Misserfolgsmeldungen vor einem Boom.

Allerdings zeigt sich nun: Längst nicht jede Geschäftsidee ist B-to-B-tauglich, und längst nicht jedes Geschäftsmodell ist erfolgreich, nur weil es auf Internet-Technologien beruht. Auch auf E-Märkten gibt es einige Erfolgsfaktoren, die unbedingt beachtet werden müssen.

So kommt der "First prover" in der Regel vor dem "First mover". Die Aussicht, als Erster auf den Markt zu gelangen und allein damit schon viele Kunden zu gewinnen, hat vor allem junge und technisch versierte Unternehmen veranlasst, ihr Glück in Web-Schnellschüssen zu suchen. Noch Mitte des letzten Jahres starteten wöchentlich durchschnittlich zwei neue Internet-Marktplätze ihren Netzauftritt. Seither ist jedoch deutlich geworden, dass der Erfolg von B-to-B-Plattformen keine Frage der Schnelligkeit ist. Was sich auszahlt, sind eine gut strukturierte Vorgehensweise und ein seriöses Geschäftsmodell.

Laut einer Studie der E-Business-Beratung Kabel E-Consult kann die hohe Geschwindigkeit der Pioniere sogar fatale Folgen für ein Unternehmen haben: Ist ein Marktplatz hinsichtlich seines Serviceangebots, der Benutzerfreundlichkeit und der Wertschöpfung für die Kunden nicht voll ausgereift, läuft er Gefahr, den Wettbewerbern lediglich als Studienobjekt und Beispiel dafür zu dienen, wie man es nicht machen sollte. Konkurrenten können aus den Fehlern lernen und mit optimierten Modellen relativ einfach Kunden abwerben. Qualität setzt sich durch - das gilt auch für virtuelle Marktplätze. Dafür gibt es nicht zuletzt auch Belege aus den Marktsegmenten Labor- und Analysentechnik, Chemie, Pharma, Bio-Technologie und Life Sciences.

Profunde Branchenkenntnisse und eingespielte Kundenkontakte sind entscheidende Faktoren, um schnell eine hohe Markenbekanntheit zu erreichen. Nur wenn starke Lieferanten gewonnen werden können - möglichst die Marktführer der jeweiligen Branche - lässt sich nach Einschätzung von Pricewaterhouse-Coopers ein Angebot aufbauen, das groß genug ist und somit einen hinreichenden Anreiz zum Einkauf über den Marktplatz schafft. Solange eine Plattform nur ein geringes Potenzial an Abnehmern hat, lohnt sich ein Engagement für die Verkäufer kaum. Deshalb halten es die Berater von Kabel E-Consult auch für entscheidend, dass ein E-Business-Anbieter möglichst schnell die kritische Masse an Nutzern erreicht.

Damit sich allerdings die Besten einer Branche auf dem Marktplatz treffen, muss man diese sehr genau kennen und wissen, welche Vorteile wirklich zählen. Langjährige Branchenerfahrung ist also auch in der New Economy unverzichtbar. Bernward Niederwestberg von Andersen Consulting äußerte unlängst, dass ein Unternehmen zunächst das traditionelle Geschäft verstanden haben müsse, um im E-Commerce erfolgreich sein zu können. Da ist es hilfreich, wenn ein Marktplatzbetreiber auf umfangreiche Berufserfahrung und Vertriebskontakte von Mitarbeitern zurückgreifen kann, die die Branche in anderen Unternehmen aus Hersteller- und Abnehmersicht kennen gelernt haben.

Der dritte Punkt klingt eigentlich banal, wird aber häufig übersehen: Nicht jeder Markt eignet sich auch für den B-to-B-Handel. Die Leistungsfähigkeit des Internet zeigt sich in der Verknüpfung von Information, Kommunikation und Transaktion. Diese Vorteile werden vor allem auf intransparenten und stark fragmentierten Märkten sichtbar - Käufer haben nämlich dann erhebliche Vorteile, wenn sie auf einem Marktplatz Instrumente finden, die ihnen einen Überblick über den Markt verschaffen, die Suche erleichtern und Preisvergleiche erlauben. Anbieter wiederum können erhebliche Vertriebskosten sparen beziehungsweise neue regionale Märkte erschließen.

Am Beispiel des Marktes für Labor- und Analysentechnik, Chemikalien und Verbrauchsmaterialien lässt sich dies sehr gut verdeutlichen: Allein in den USA verkaufen mehr als 5000 spezialisierte Hersteller ihre Produkte. Keiner von ihnen kommt, bezogen auf das gesamte Volumen, auf einen dominanten Marktanteil. Ihr Angebot richtet sich an rund 250000 Wissenschaftler und 2000 Forschungseinrichtungen. Mussten die Kunden ihre Bestellungen bislang umständlich aus verschiedenen Katalogen zusammensuchen, Produkte und Preise zeitraubend vergleichen und eine ganze Reihe von Bestellungen bei verschiedenen Herstellern aufgeben, so können sie im Zeitalter des E-Commerce über eine Website den Großteil ihres Bedarfs decken. One Stop Shopping - mit einer Bestellung, einer Rechnung und einer Lieferung - erleichtert den Beschaffungsprozess erheblich und macht ihn gleichzeitig billiger.

Ebenso wichtig für den Erfolg des Marktes ist das durchschnittliche Ordervolumen der Kunden. Vom Handel mit Pfennigartikeln allein kann kein Anbieter im Internet überleben. Dies gilt ebenso für ausschließlich langlebige Güter, da sie zu selten nachbestellt werden müssen. Der Labormarkt bietet geradezu ideale Verhältnisse, da hier sowohl komplexe Produkte, die gleichwohl gut vergleichbar sind, als auch Verbrauchsgüter nachgefragt werden - eine günstige Mischung für das B-to-B-Geschäft.

Nur wer zudem eine "Triple-win-Situation" für Betreiber, Anbieter und Kunden herstellen kann, überlebt. Was im Prinzip einfach aussieht, ist in der Praxis allerdings die Ausnahme: B-to-B-Plattformen bilden nur dann eine sinnvolle Alternative zu bestehenden Vertriebsstrukturen, wenn sie den Beteiligten Zeit- und Kostenersparnisse bringen und dem Marktplatzbetreiber Raum für Innovationen und Investitionen lassen.

Aus Sicht der Käufer ist bereits das One-Stop-Shopping ein erheblicher Fortschritt. Produktsuche, Produktvergleiche, Bestellungen und die Bezahlung sind einfacher zu handhaben. Musterrechnungen gehen davon aus, dass eine Bestellung klassischer Art administrative Kosten in Höhe von 150 bis 250 Euro verursacht, eine Bestellung per Internet kostet dagegen etwa 25 Euro. Können da-rüber hinaus noch besonders günstige Konditionen geboten werden, so ergeben sich weitere, mitunter erhebliche Kostenvorteile.

Bündelung von Angebot und NachfrageDiese Möglichkeit besteht allerdings nur, wenn sich der Marktplatz nicht darauf beschränkt, Informationen und Geschäftskontakte zu vermitteln, sondern für eine globale Bündelung von Angebot und Nachfrage sowie für eine vollständige Automatisierung der Beschaffungsprozesse sorgt. Dafür ist es erforderlich, ein weltweites Kontaktnetz zu den führenden Markenherstellern aufzubauen und zu unterhalten.

Inzwischen ist es eine Binsenweisheit: E-Commerce ist nur dann erfolgreich, wenn die Logistikkette reibungslos funktioniert. Der Trend geht von der reinen Internet-Plattform hin zu komplexen Procurement-Systemen mit einer kompletten Vernetzung der ERP-Systeme und Integration der gesamten Beschaffungskette. Dazu ist es erforderlich, den Marktplatz direkt mit den Softwaresystemen der Anbieter und Kunden verbinden zu können und kompatibel zu allen Softwarestandards zu sein. Die Anbindung eines Logistikpartners, der die Ware beim Hersteller abholt, die Lieferung zusammenstellt und in einer Charge beim Kunden abliefert, wird künftig Standard sein.

Letztendlich entscheidet die Kundenzufriedenheit über den Erfolg. Mit mangelnder Nachfrage wird sich auf vielen Märkten niemand herausreden können.

*Andreas Reichert ist Vorstandsvorsitzender der Labworld-Online AG in Staufen.

Abb: Der Online-Handel zwischen Firmen in Deutschland steht vor einem Boom. Quelle: Jupiter