Der Kongreß "Week of Information Center" macht deutlich:Der Nutzer-Pool ist ein Business im Business

21.02.1986

Könnte man sich vorstellen, daß einer unserer progressiven Landesväter, sagen wir Lothar Späth oder Franz Josef Strauß, dieser Tage eine "Woche des Information Centers" proklamieren würde? Wohl ein etwas überraschender Gedanke! Und doch ist eine solche Idee nicht einfach aus der Luft gegriffen: Der Gouverneur von Tennessee hat genau das im vergangenen Sommer in seinem Staat getan. Erstaunlich!

Anlaß war eine US-weite, einwöchige Konferenz in Nashville zum Thema Information Center (IC), die zweite schon, mit mehr als 1600 Teilnehmern. Bewußte "Week of the Information Center" wurde offiziell, mit Urkunde und Proklamation, Brief und Siegel, ausgerufen. Selbst wenn man unleugbare Amerikanismen abzieht, bleibt doch der Eindruck, daß man in den USA die breite Öffentlichkeit durchaus mit dem Konzept und der Bedeutung des Information Centers konfrontieren kann.

Zukunftsmusik für uns? Sicher, und es ist auch schwer vorstellbar, daß hierzulande von Staats wegen analoge Amtshandlungen vollzogen werden. Wir müssen jedoch klar sehen, daß man sich in den USA mit den tiefgreifenden Konsequenzen der individuellen Informationsverarbeitung (IIV), dort unter dem Begriff "Personal Computing", allgemein und ernsthaft beschäftigt. Uns wird diese Auseinandersetzung nicht erspart bleiben.

IBM Kanada hat bekanntlich Ende der siebziger Jahre erstmals konsequent ein Konzept entwickelt und realisiert, Fachspezialisten, Führungskräfte etc. bei der individuellen Nutzung der EDV planmäßig und wirkungsvoll zu unterstützen. Das Information Center als Organisationsform wurde geboren mit dem Ziel, die EDV in den Fachabteilungen optimal zu nutzen. In den USA hat sich diese Idee offensichtlich durchgesetzt. Das IC als Notwendigkeit und Voraussetzung für Produktivitätssteigerung durch individuelle Informationsverarbeitung wird nicht mehr in Frage gestellt. Diskutiert werden Ausformungen, zu übernehmende Aufgaben, Methodiken, Vorgehensweisen, nicht aber die Frage "Brauchen wir so etwas überhaupt?"

So ist es nicht überraschend, daß sich die schon erwähnten rund 1600 IC-Spezialisten für eine Woche zusamensetzen, mehr als 60 Referate geboten bekommen, einen ganzen Sonntag für Workshops opfern und außerdem noch interessierte Besucher einer angeschlossenen Messe mit 70 Ausstellern sind.

Symptomatisch erscheint es auch daß es einen Verlag gibt, der monatlich eine beachtliche Spezial-Zeitschrift namens "Information Center" herausgibt. Untertitel der Zeitschrift ist "Managing the Growth of End-User Computing", nahezu identisch mit dem Motto eines Unterstützungsprogramms der IBM (MEUC). Dieser Verlag ist auch der Veranstalter der erwähnten, jährlich stattfindenden Tagung.

Außerdem fällt auf, daß es eine ganze Reihe von Beratungsfirmen gibt, die sich auf das Information-Center-Konzept spezialisiert haben. Es lohnt sich anscheinend, dafür Organisationsberatung zu geben, bei Personalfragen zu unterstützen und, vor allem, Schulung für die Legionen von EDV-Neulingen anzubieten.

Ohne Schulung läuft nichts mehr

Unter den zahlreichen Referaten war eines besonders durch seine Auseinandersetzung mit zukünftigen Entwicklungen bemerkenswert. David P. Snyder, der unter anderem die Bevölkerungsentwicklung in den USA beobachtet, wies darauf hin, daß Nachwuchsprobleme und die in den neunziger Jahren zu erwartende Überalterung rechtzeitige Reaktionen erfordern. Diese Beschäftigungsstruktur zwinge ganz einfach zu Produktivitätssteigerung.

Man rechnet in den USA bewußt damit, daß Arbeitsplätze verschwinden, daß aber andererseits neue Jobs entstehen; die vorhandenen Tätigkeiten werden einem permanenten Wandel unterworfen sein. Konsequenz: Man erwartet, daß im Ausbildungs- und Schulungsbereich eine der größten Branchen in den USA entsteht (Bild 1). Wird dies bei uns wesentlich anders sein?

Schulung ist das A und O für die zukünftige Entwicklung jedes Unternehmens. Wer innovativ sein und im Wettbewerb bestehen will, braucht kompetente, sich ständig auf dem laufenden haltende Mitarbeiter, für die beispielsweise EDV-Werkzeuge so selbstverständlich sind wie das Telefon oder der Kopierer. Ein wichtiger Kernsatz: "In Zeiten des Umbruchs muß jedes Unternehmen alle nur denkbaren Informationsquellen mobilisieren!"

Was waren weitere wesentliche Themen, die die IC-Tagung bestimmten? Grundsätzlich läßt sich sogar sagen, daß überwiegend strategische Fragen und nur in geringem Maße Produktprobleme, sei es Hardware oder Software, diskutiert wurden (Bild 2).

Man weiß, daß Information Center kein Synonym für Reagieren auf Benutzer-Probleme, Erste Hilfe oder Feuerwehr ist. Das vollwertige IC ist aktiv an der Produktivitätssteigerung der Fachabteilungen durch die EDV beteiligt. Damit wird es abteilungs- und bereichsübergreifend auch in Planungs- und Steuerungsprozesse eingeschaltet.

Es ist generell interessant zu sehen, welche Bedeutung einer Zielorientiertheit beigemessen wird: Von den etwa 50 Teilnehmern eines der sonntäglichen Workshops ("End User Problems in Large Organizations") sahen sich nur fünf oder sechs außerstande, die Ziele ihres Unternehmens wiederzugeben. Konsequenterweise klang immer wieder durch, wie wichtig es ist, auch für das IC eine Zielsetzung und, daraus abgeleitet, eine Strategie zu haben. "Run the IC as a business within the business" ist ein Standardsatz, der den bewußten und professionellen Umgang mit dem IC zeigt.

Die Zielorientiertheit im IC hat natürlich eine pragmatische Seite: Gibt es Ziele, dann läßt sich auch der Erfolg messen, ein Kriterium, das beim IC als neue Abteilung von entscheidender Bedeutung ist. Checklisten, wie sie bei uns eingesetzt werden, finden deshalb auch in den USA großen Anklang.

Der IC-Manager wird als bedeutende Schlüsselfigur gesehen. Er muß kein Produktexperte sein, sondern soll sich die richtigen Leute besorgen und die richtigen Kontakte aufbauen, um das IC-Business erfolgreich zu betreiben.

Übrigens ein Phänomen: Im IC scheinen prozentual erheblich mehr Frauen tätig zu sein als in sonstigen DV-Jobs. Tut sich hier eine neue Domäne für Frauen auf?

Schließlich noch das Thema PC: Der Personal Computer als primäre Rechtfertigung für die Existenz eines IC spielt in den USA nicht eine solche dominierende Rolle wie bei uns. Eine Untersuchung der Computer Intelligence Corporation sagt aus, daß mehr als 75 Prozent der IC eine Mischung von Zentralrechner und PC betreuen; nur etwa sechs Prozent sind rein PC- orientiert.

Zahlreiche, noch ungelöste Probleme gibt es im Bereich des Datenmanagements. Über relationale Datenbanken als richtiges Basiskonzept für die Benutzer ist man sich natürlich einig. Darüber hinaus kann man jedoch wenig Konsens erkennen. Wie und wann darf die Fachabteilung auf Unternehmensdaten zugreifen? Wie weit ist das IC involviert? Und so weiter und so weiter. Hier wird noch kontrovers diskutiert.

Sind nun die Amerikaner weiter? Haben sie die besseren Ideen? Könnte man etwas von ihnen lernen?

Eine Antwort fällt nicht ganz leicht. Eines ist sicher: Die in den USA diskutierten Gedanken und Konzepte sind nicht progressiver als das, was auch bei uns als richtig erkannt ist und was wir von einem ernsthaften IC erwarten. Wir brauchen nicht in die USA zu pilgern, um dort möglicherweise aus einem Born neuer Ideen zu schöpfen; es finden sich auch bei uns Experten, die kompetente Gesprächspartner sind.

In einem gibt es jedoch einen auffälligen Unterschied: Die Amerikaner gehen mit dem IC-Konzept vorurteilslos und pragmatisch um. Es wird nicht so lange und ausführlich geplant wie bei uns, man greift ein Konzept auf, realisiert es und lernt aus den Fehlern. Vielleicht ist gerade diese Toleranz ein wichtiger Punkt: Fehlermachen wird nicht mit Imageverlust gleichgesetzt, wenn man bereit ist, schnell genug zu reagieren, also aus den Fehlern zu lernen.

Mit dieser flexiblen Art ist es möglich, die für die individuellen DV-Benutzer im einzelnen Unternehmen optimale Umgebung zu schaffen. Man akzeptiert die allgemeingültigen IC-Prinzipien, die Ausführungsbestimmungen werden aber nach Bedarf gehandhabt.

Es hat sich auf diese Weise eine beachtliche Menge an Erfahrung angesammelt, um deretwillen es sich immer lohnt, Kontakte zu IC in den USA zu pflegen.

*Hansjörg Hägele ist seit 1965 Angestellter der IBM Deutschland. Zunähst war er mit Aufgaben der Anwendungsentwicklung und des Vertriebs betraut. Zusammen mit zwei weiteren IBM-Mitarbeitern baut er dann das Information Center der IBM Europe in Paris auf. Seit 1984 ist er Marketingberater für IC in der Münchner IBM-Niederlassung.