Problem 2000/Umstellung auf das Jahr 2000 muss heute beginnen

Der Jahrtausendwechsel trifft besonders Standardsoftware

26.01.1996

"Wenn das Jahr 2000 da ist", kuendigt Unternehmensberater Peter de Jager an, "werden die meisten Computerapplikationen bis zum Stillstand zerfallen oder schlicht Abfall produzieren. Wie auch immer, der Computer wird weniger als nutzlos, vielleicht gefaehrlich sein." Das klingt nach Panikmache, duerfte aber nicht allzu sehr danebenliegen.

Bereits 1996 wird zum Beispiel der Controller eines Unternehmens nicht mehr in der Lage sein, einen strategischen Fuenf-Jahres- Steuerplan zu erstellen. Die Standardfinanzapplikation kann Berechnungen fuer das Jahr 2000 und darueber hinaus nicht durchfuehren. Schon 1998 wird der Finanzchef dann nicht einmal mehr auf drei Jahre ausgelegte Finanzierungen kalkulieren koennen, da das System alle ueber 1999 hinausgehenden Finanzierungsplaene ablehnt.

Der Prozess, nun in jeder Applikation jede einzelne Datumsnutzung zu finden und die erforderlichen Aenderungen durchzufuehren, verspricht so teuer zu werden, weil er komplex ist. Das typische mittelgrosse Unternehmen nutzt laut Forrester Research im Durchschnitt 8000 Grossrechnerprogramme fuer die Unterstuetzung der Geschaeftsfunktionen, was in etwa zwoelf Millionen Zeilen Code entspricht. Unter der konservativen Annahme, dass etwa zwei Prozent dieses Codes eine Datumsreferenz enthalten, waeren demnach 240000 Codezeilen zu modifizieren.

Legt man hier, wiederum konservativ, Kosten von 30 bis 40 Cent pro Zeile zugrunde, entstehen dem Unternehmen Gesamtkosten zwischen 3,6 und 4,8 Millionen Dollar. Das amerikanische "CFO Magazine" geht davon aus, dass folglich die meisten Unternehmen 50, viele sogar 100 Prozent ihres jaehrlichen IT-Budgets auf die Umstellung ihrer Anwendungen fuer das kommende Jahrtausend werden verwenden muessen. Ein weiterer bedeutender Faktor ist die Zeit. Ein mittelgrosses Unternehmen, kalkuliert die Gartner Group, wird rund 24 Mitarbeiter ein Jahr lang mit der Implementierung einer Jahr- 2000-Loesung beschaeftigen muessen. Werden unterstuetzende Softwarewerkzeuge hinzugezogen, wird man moeglicherweise mit etwa der Haelfte des Personals auskommen, dieses aber fuer den effektiven Umgang mit den Tools schulen muessen. Die Organisation muss also fruehzeitig den Abzug einiger Mitarbeiter von anderen Aufgaben planen. Zusaetzlich sollte fuer Einsatz und Erprobung der neuen Datumsimplementierung ein weiteres Jahr mit einkalkuliert werden, um die Vollstaendigkeit der Loesung sicherzustellen. Zieht man all diese Aspekte in Betracht, so scheint das Jahr 2000 ploetzlich nicht mehr fern. Die Unternehmen muessen also, so Schick, sofort mit der Analyse ihrer Applikationsportfolios beginnen, das Ausmass des Problems evaluieren und entsprechend budgetieren, die erforderlichen Aenderungen detailliert planen sowie die potentiell umfassenden Korrekturen schnellstmoeglich einleiten.

Fuer die konkrete Umsetzung kann die Organisation zwischen verschiedenen Optionen waehlen. Sie kann ihre Applikationen "renovieren", sie vom Mainframe auf offene Systeme portieren, sie vollstaendig ersetzen oder neu- beziehungsweise weiterentwickeln. Letztlich muss sich die Loesung rechtzeitig, verlaesslich und kosteneffektiv nutzen lassen und moeglichst einen Wertgewinn fuer das Unternehmen darstellen. Wie also sollte die Organisation vorgehen?

Das Unternehmen koennte einen "Jahr-2000"-Spezialisten konsultieren. Outsourcing-Unternehmen wie etwa Cap Gemini wittern einen betraechtlichen Profit mit Produkten und Services fuer die Loesung des Jahr-2000-Problems. Das Unternehmen bietet seine "Trans-Jahrtausend-Services", also Tools, Methodologie und Management-Portfolio, zwischen 50000 und 100000 Dollar an.

Auch die Wiesbadener Viasoft, auf Mainframe-Wartung, Methoden, Tools und Services fuer Altsysteme spezialisiert, bietet mit Enterprise 2000 ein vergleichbares, jedoch weitaus kostenguenstigeres Bundle an (zirka 30000 Dollar). Zudem beginnen Beratungshaeuser wie Andersen Consulting oder Coopers & Lybrand, sich einen Teil des Jahrtausendumsatzes zu sichern und offerieren spezielle Services fuer die Identifikation der erforderlichen Aenderungen, die Planung, das Management und das Testen der Implementierung.

Nischenanbieter wie Transcentury Data Systems warten mit Loesungen fuer Cobol-Programmierer auf, die fuer in Eigenregie durchgefuehrte Loesungen das Fixieren des Datumsproblems unterstuetzen. Hier liegt der Preis bei rund 23000 Dollar fuer eine unlimitierte User-Lizenz. Zu Recht mag sich der Kunde aber fragen, warum er nun fuer die Maengel der bereits bezahlten und nicht auf die Zukunft ausgelegten Software aufkommen sollte.

Hat ein Unternehmen seine Geschaeftsprozesse auf ueberwiegend selbstentwickelten Inhouse-Systemen aufgebaut, so wird es um umfassende Investitionen zur Loesung der Problematik nicht herumkommen. Setzt die Organisation jedoch Standardapplikationen ein, so kann sie auf die Unterstuetzung der Anbieter hoffen.

Auch mit Tools kein einfaches Plug and play

Dun & Bradstreet Software (DBS) etwa hat mit der Auslieferung erster Hilfsmittel begonnen. Vor wenigen Wochen verschickte das Unternehmen ein Mailing an rund 10000 Mainframe-Kunden. Die Nachricht darin: Es werde im Laufe der kommenden beiden Jahre fuer saemtliche Applikationspakete und Module ein kostenfreies "Jahr- 2000-Upgrade" zur Verfuegung stellen. Zum Programm gehoeren auch Hilfen fuer die Umstellung kundeneigener Applikationen.

Die Kunden duerften die Initiative brauchen. "Wir arbeiten intern mit etwa 40 Millionen selbsterstellten Codelines und weiteren 10 Millionen in Standardapplikationspaketen", erklaert Robert Pouliot, Vice-President des US-Versicherungskonzerns Mass Mutual Life Insurance.

Ein einfaches Plug and play werde es dennoch nicht werden, weiss der Manager fuer Kreditsysteme bei Procter & Gamble, Craig Brinkman. Das Unternehmen nutzt Loesungen, die sehr stark an die eigenen Beduerfnisse angepasst sind, so dass die Upgrade-Installation einen entsprechend hohen Aufwand mit sich bringen wird. Von der Bestandsanalyse ueber den Migrationsplan bis hin zur Upgrade- Implementierung und Konversion der intern entwickelten Anwendungen zeichnet sich ein steiniger Weg ab.

Doch trotz zu erwartender Komplikationen, so warnen Forrester Research und andere Analysten, sollten betroffene Organisationen allein aus Kostengruenden in keinem Fall laenger warten. "Wenn die Anwender weiter zoegern", prognostiziert die Meta Group, "koennte die Nachfrage nach Drittanbieter-Services das Angebot bereits 1997 oder 1998 uebertreffen und die Servicekosten bis um ein Dreifaches in die Hoehe schnellen lassen."

*Christiane Schaefer ist freie DV-Fachjournalistin in Muenchen.

Kurz & buendig

Insbesondere in Standardapplikationen, die vielfach datumsbasiert und -gesteuert sind, wird die Zahl 2000 schon lange vor dem eigentlichen Jahreswechsel ihre Auswirkungen zeigen. Je naeher das magische Datum rueckt, desto groesser die Anzahl der betroffenen Geschaeftsanwendungen und damit einhergehenden Probleme, die laut Gartner Group gar den Ruin einer Organisation zur Folge haben koennen.