Der Hersteller verspricht nicht, was der Kunde erwartet

03.02.1978

Mit dem Heidelberger Rechtsanwalt Dr. Christian Zahrnt sprach CW-Redakteur Elmar Elmauer

-Der Hersteller verpflichtet sich bei Abschluß eines Vertrages, eine bestimmte Leistung zu erbringen, der Kunde eine bestimmte Mietsumme, einen bestimmten Kaufpreis zu zahlen. Die Erfahrung hat gezeigt, daß recht wenig Streitfälle über Vertragspunkte anhängig sind. Heißt das, daß in dieser Branche absolut saubere Sitten herrschen?

Nein, das heißt es nicht. Die Hersteller bieten eine Standardleistung an, zu der auch die Anpassung der Software gehören kann, besonders bei branchenbezogenen Paketen. Da sind Möglichkeiten, aber auch Grenzen vorgegeben. Der Kunde erwartet allerdings oft etwas mehr, nämlich daß sein Problem gelöst wird. Wenn die Erwartungen dann nicht erfüllt werden, ist das zwar für den Kunden unerfreulich, aber nicht prozeßreif.

-Damit unterstellen Sie doch dem Hersteller wissentlich eine Leistung zuzusichern, die er nicht erbringen will?

Nein, das heißt es nicht. Der Hersteller sagt in seinen Vertragsbedingungen deutlich, daß er nichts zusichert. Er bietet eine bestimmte Leistung standardmäßig an und berät auch den Kunden. Das heißt aber nicht unbedingt, daß er auch die Leistung verspricht, die der Kunde erwartet. Schließlich paßt die Leistung ja auch weitestgehend, selbst wenn der Anwender im Zweifelsfalle nicht so zufrieden ist, wie er sich das vorgestellt hat.

-Nun wünscht aber jeder Kunde garantierte Sicherheit. Wie kann der Kunde erzwingen, daß er genau das Richtige bekommt?

Über eine sachgerechte Leistungsbeschreibung! Am Kleingedruckten wird der Kunde nicht viel ändern können. Wichtiger ist für ihn, von vornherein zu verhindern, sich jemals auf die Ebene des Kleingedruckten begeben zu müssen.

-Wie schafft er das?

Am besten über einen Berater.

-Soll das nun ein Jurist oder ein EDV-Praktiker sein?

Am besten sollte es ein EDV-Praktiker mit Kenntnissen im Vertragsrecht sein. Hauptsache, daß der Erstanwender einen Berater hinzuzieht, in anderen Branchen kann der Handel die Beratungsfunktion übernehmen.

-Nun darf man annehmen, daß kein EDV-Hersteller ein Interesse daran haben wird, daß sein System nicht zum Laufen kommt, daß er einen unzufriedenen Kunden hat. Also ist der Kunde, sofern er nicht imstande ist, seine eigenen Anforderungen genau zu präzisieren, letztlich selbst schuld, wenn er schlecht bedient wird?

Das System kommt zum Laufen, aber oft mit Reibungsverlusten, deswegen ist in solchen Fällen die Einschaltung eines Beraters zu empfehlen. Bei allen Reibungsverlusten: Am Ende ist man einigermaßen zufrieden, wenn die Sache läuft. Oft ist der Kunde dem Hersteller auch noch dankbar dafür, daß dieser sich anscheinend so sehr eingesetzt hat. Schließlich ist ihm in der Zwischenzeit klargemacht worden, daß er an den Reibungsverlusten weitgehend selber schuld ist.

-Ist es denn herrschende Meinung, daß der Hersteller nur anpaßbare Standardprogramme liefert?

Maßberatung gibt es schon. Der Kunde sollte anstreben, ein Vertragsangebot über eine Lösung vorgelegt zu bekommen, dabei sollte ihm auch gesagt werden, was er alles zu tun haben wird. Das kostet natürlich etwas. Aber spätere Schäden sind auch vielfach höher.

-EDV-Einsteiger scheinen uns hier völlig überfragt zu sein. Wo sollen sie Berater hernehmen, von deren Qualität sie überzeugt sein können?

Also, es gibt bestimmt viele Berater, die hier helfen können. Gerade die Softwarehäuser haben in den vergangenen Jahren ihre Kenntnisse über Hardware sehr erweitert, so daß sie durchaus auch Systemberatung machen können. Sie könnten die Funktion des Handels übernehmen, für einzelne Branchen gibt es das schon in Ansätzen.

-Halten Sie nichts von der Methode, ohne Berater das Problem so aufzulösen und so detailliert zu beschreiben, um dann zu sagen: Hier, Hersteller, fülle mir diesen Problemkatalog aus.

Der Kunde läuft große Gefahr, daß er sich in Details verliert, weil er nicht professionell vorgehen kann. Deswegen Beschreibung möglichst mit Unterstützung von sachverständigen Leuten. Wenn er aber unbedingt meint, seine Anforderungen selber beschreiben zu können, dann soll er das eher mit seinen Worten tun, aus seiner Sicht eindeutig, so daß er hinterher den Hersteller einigermaßen daran festhalten kann.

-Was muß der Kunde vertragsrechtlich tun?

Seinerseits eine Gesamtbeschreibung liefern, die dann maßgeblich ist, und verlangen, daß der Anbieter dem eine Gesamtlösung entgegensetzt. Das muß nicht zu einem festen Preis sein. Also auf keinen Fall einen Kaufvertrag und daneben einen Beratungs- und Programmiervertrag. Damit sind wir aber auch beim zweiten Problem: Der Anwender soll auch bereit sein, das zu bezahlen, gerade wenn die Leistung so gründlich beschrieben und organisatorisch durchleuchtet werden solI, kostet das etwas. Dazu muß der Anwender, insbesondere der Erstanwender, stärker als bisher bereit sein.

-In der Praxis scheint das ja so zu sein: Je detaillierter der Leistungskatalog, desto geringer die Zahl der Anbieter, die bereit und in der Lage sind, diesen Katalog zu erfüllen.

Detaillierung allein reicht nicht, die Beschreibung muß auch professionell sein. Aber wenn wirklich Auftragnehmer abspringen, dann ist es für den Anwender nur gut, mit denen nicht weiter in Kontakt zu kommen.

-Sind Sie denn der Überzeugung, daß Anbieter deshalb abspringen, weil sie tatsächlich nicht in der Lage sind, diesen Anwendungsfall zu lösen? Oder glauben Sie, daß die Beratungskontakte oft zwischen inkompetenten Personen hergestellt werden?

Die Frage ist mir zu spekulativ.

-Nun hat die Praxis gezeigt, daß speziell die Erstanwender nicht bereit sind, Geld für Softwareberatung, für die Ausbildung auszugeben. Es kann aber auch nicht im Sinne der Hersteller sein, kostenlose Organisationsberatung zu liefern?

Es fällt dem Einsteiger noch schwerer als anderen, sich vorzustellen, daß die Software mehr kosten soll als die Hardware und die zusätzliche Beratung im Einzelfall wiederum noch mehr als die Software. Das wird dem Kunden auch kaum klargemacht. Gesamtlösung heißt nicht ein Preis, heißt vielleicht ein Gesamtpreis, aber aufgegliedert. Da hilft auch nicht, wenn die Fachzeitschriften durchaus hier versuchen, durch entsprechende Beiträge die Einsteiger zu warnen.

-Liegt es nicht darin, daß zwar die Leistung der Hardware genau definiert werden kann, daß auch die Funktionen der systemnahen Software, der Betriebsysteme auch noch annähernd genau definiert werden können, daß es aber bei Standardanwendungssoftware schlicht unmöglich ist, hier genau zu sagen, was ein System kann, was es können muß, und daß insofern hier diese Punkte auch gar nicht in einen Vertrag einfließen können, weil sie letztlich nicht bestimmbar sind.

Damit nehmen Sie dem Anwender jede Hoffnung, eine vollständige Lösung kaufen zu können. Letztlich kann nur der Hersteller, der seine Branchenpakete kennt, noch besser ein neutraler Beobachter, der die Branchenpakete verschiedener Anbieter kennt, beurteilen, ob das Problem eines bestimmten Anwenders sich auf der Grundlage eines bestimmten Standardpakets lösen läßt. Der Hersteller sollte schon wissen, was sein Standardpaket kann. So dramatisch sehe ich das nicht. Das geht manchmal über die im Paket vorgegebenen Möglichkeiten hinaus und verlangt Programmierung. Hier entsteht häufig das vertragsrechtliche Problem, daß der Hersteller diese Änderungen durch Programmierung nicht zusammen mit den anderen Teilen insgesamt in einem als einheitliche Leistung anbieten will. Gefährlicher ist es für den Anwender meist, wenn der Hersteller nicht mehr anbietet, als was sein Fragebogen über die Probleme des Kunden vorsieht. Diese Lösungen decken aber in der Praxis meistens nicht das gesamte Organisationskonzept ab, sondern nur die minimalen Bedürfnisse des Kunden. Wenn der Lieferant sich auf solche Strichlistenlösungen beschränkt, wird der Kunde nach einiger Zeit merken, daß er wenig flexibel ist.

-Was würden Sie also jetzt einem Erstanwender raten?

Ein Organisationskonzept von einem unabhängigen Berater erstellen zu lassen, und zwar mit zwei Teilen: mit einem Gesamtkonzept, das im Laufe der Zeit realisiert werden kann, und detaillierter mit dem Teil, der unverzüglich angegangen werden soll. Auf dieser Basis sollte der Einsteiger sich Angebote einholen, wenn er sich sofort an einen Hersteller wendet, sollte er bereit sein, die Beratung zu bezahlen.

-Hülfe es dem Anwender vertragsrechtlich, wenn er sich bei der EDV-Beschaffung an die BVB halten würde und diese auf seinen Betrieb zugeschnitten vorlegt?

Die BVB, die die öffentliche Hand eingeführt hat, räumen dem Auftraggeber eine Reihe von günstigeren Positionen in rein vertragsrechtlichen Fragen ein, als es die entsprechenden Herstellerbedingungen vorsehen. Das aber hilft den Kunden noch nicht bei seinem wichtigsten Problem. Hier helfen die Musterformulare der BVB dadurch, daß sie den Auftraggeber, den Besteller anhalten, wirklich alles zu Papier zu bringen, was er will und was im Laufe der Vertragsverhandlungen mit dem Anbieter besprochen worden ist. Mehr können die BVB aber nicht tun.

-Noch mal auf Ihren Vorschlag zurückkommend, der Anwender solle sich hier eines Beraters bedienen. Ich sehe da vorerst nur eine Partei, die profitiert: Die Berater. Der Anwender sollte doch die EDV als Organisationsmittel in seinem Unternehmen mündig nutzen. Hier wäre es doch anzustreben, daß ihm dieses Instrument in der Handhabung nahegebracht wird und daß er dann die Organisationslösung selbst durchführt.

Dem würde ich zustimmen. Viele Hersteller empfehlen dringend, daß auch der Anwender zumindest einen Mann ausbildet, der das System dann kennt. Aber bis der wirklich drin ist, dauert das mindestens ein, wenn nicht zwei Jahre, um ein Organisationskonzept erstellen zu können und möglicherweise bei der Programmierung Vorgaben machen zu können. Der Einsteiger kann diesen Zeitbedarf dadurch umgehen, daß er sich einen Mann einkauft, der genau die Kenntnisse hat, möglichst von dem System, aber auch das er beschaffen will. Doch das ist fast das Pferd von hinten aufgezogen, denn er soll ja erst einmal überhaupt dazu kommen, sich den Hersteller auszuwählen.