Der Hersteller kann nicht die moralische Verantwortung für den Anwender übernehmen

11.08.1978

Mit SCS-Geschäftsführer Eberhard Elsässer sprach CW-Redakteur Elmar Elmauer

-Software- und Systemhäuser, Herr Elsässer, springen ein, um die Versprechungen von Hardware-Herstellern wahrzumachen und Systeme zum Laufen zu bringen. Software- und Systemhäuser nützen dabei die Unfähigkeit von Anwendern, die oftmals überfordert sind, selbst Systeme zum Laufen zu bringen. So nährt sich ihre Branche also von Verheißungen und lebt von Unfähigkeit Ist dies eine Marktlücke auf ewig?

Sie wissen natürlich, daß Sie mit Ihrer Lageschilderung die Situation stark Überzeichnet haben. Es ist nicht in erster Linie die Unfähigkeit des Anwenders Oder die Zusage des Hardwareherstellers, die unsere Dienstleistung erforderlich -macht. Vielmehr sind, es die rasch zunehmende Hardwarevielfalt und die damit verbundene Anwendungskomplexität, die unsere Hilfe in vielen Fällen erforderlich machen. Da die Datenverarbeitung noch lange nicht am Ende ihrer Entwicklung angekommen ist, sehe ich auch in der Zukunft für unser Unternehmen sehr gute Entwicklungschancen,

-Irgendwann werden Ihre Kunden aber erfahren genug und mündig genug sein - und der Hilfe einer dritten Kraft nicht mehr bedürfen, weil sie selbst ihre Anwendungen optimieren können?

Es ist keine Frage der Mündigkeit oder der gewonnenen Einzelerfahrung des Anwenders. Wir haben es täglich im Rahmen unserer Projekte mit unterschiedlichster Hardware aller gängiger Systemsoftware und den vielfältigsten Anwendungen zu tun. Damit stellen wir doch unserem Kunden einen Erfahrungsschatz zur Verfügung, den er im eigenen Hause niemals entwickeln kann.

Ich würde unsere Arbeit mit der eines Architekturbüros vergleichen. Dort sammeln sich die Erfahrungen und Erkenntnisse moderner Baukunst an, die der Bauherr für sein geplantes Gebäude gern ausnutzen will. Dies hat nichts mit Bauherrn-Unmündigkeit zu tun.

-Nur sind Architekten seiten gezwungen, in den Häusern zu wohnen, die sie entworfen haben. Aber können Sie insgesamt für die Zunft bestätigen, daß sie vor allem auf konzeptionelle Einsätze aus ist?

Zweifelsohne wollen wir mit unserem Wissen und unserer Erfahrung dort ansetzen, wo beides am dringendsten gebraucht wird: Bei der Formulierung der anstehenden Aufgabe und der Entwicklung einer wirtschaftlich vernünftigen und machbaren Lösung. Hier muß es auch zu einer guten Partnerschaft mit dem Kunden kommen, damit beide Seiten ihr spezielles Wissen optimal einbringen können. Diese Phase des Projektes ist schon weitgehend Hardware-unabhängig. Die Frage nach den erforderlichen maschinellen Mitteln stellt sich erst später, nämlich dann, wenn man genau herausgearbeitet hat, was der eigentliche Anwender tatsächlich zur Bewältigung seiner Arbeit braucht.

-Sind Sie bei der Hardware voreingenommen?

Nein. Die wichtigste Basis unseres Geschäfts ist die absolute Neutralität. Sie in die Tat umzusetzen erfordert allerdings wirtschaftliche Stabilität und Unabhängigkeit. Unsere Größe und die Zugehörigkeit zum internationalen BP-Konzern schaffen diese Voraussetzungen. Kein Rechnerhersteller kann uns in unserer neutralen Beratungsfunktion beeinflussen. Trotzdem sind alle großen Hersteller bei uns Kunden, nicht weil sie uns beeinflussen wollen und können, sondern weil auch sie unseren Sachverstand zu schätzen wissen.

-Der Anwenden sollte also nach ihrer, Meinung immer darauf achten, wie kapitalkräftig ein Beratungs-Unternehmen ist. Finanzkraft hängt ja irgendwo mit den Preisen zusammen und wenn man davon ausgeht, daß der Mannmonat eines guten Systemprogrammierers heute bis 20 000 Mark kostet, muß die Frage erlaubt sein: Sind solche Honorare eigentlich der Höhe nach gerechtfertigt?

In unserer Branche ist Größe tatsächlich eine fundamentale Voraussetzung. Nur wenn Sie groß genug sind, können Sie umfangreiche und schwierige Projekte bearbeiten. Diese sind aber erforderlich, um weitere Erfahrungen zu sammeln und gute Mitarbeiter nicht nur zu gewinnen, sondern auch zu halten und zu beschäftigen. Die wiederum sind absolut notwendig, um gute Arbeit leisten zu können.

Doch nun zu den Preisen Selbstverständlich ist guter Rat teuer. Die Frage jedoch, was der externe Berater im Vergleich zum eigenen Mitarbeiter kostet. kann so nicht gestellt werden. Man bedient sich doch einer hochqualifizierten Dienstleistung nur für eine bestimmte Aufgabe in einem beschränkten Zeitraum. Danach ist sie nicht mehr erforderlich. Selbstverständlich kann und wird diese Dienstleistung für den beschränkten Zeitraum mehr kosten als der eigene Mann, an den man sich allerdings langfristig binden muß. Die Höhe des Honorars wird darüber hinaus durch den Markt und die gebotene Leistung bestimmt. Hier leben wir hautnah und täglich mit der ständigen Herausforderung unserer nicht anspruchslosen Kunden.

-Wobei heute Beratung durch Systemhäuser immer öfter das Ziel hat, dem Hardware-Lieferanten auf Finger zu klopfen?

Das ist für uns kein Thema Ich räume jedem Hardwareverkäufer das Recht ein, möglichst viele seiner Produkte verkaufen zu wollen. Wenn Wir vom Anwender gefragt werden, wie wir seine Bedürfnisse sehen, werden wir ihm sagen, was er tatsächlich benötigt. Dies hat mit Aufdie-Finger-Klopfen nichts zu tun.

Sicherlich war es für den Hardwareverkäufer in früheren Jahren einfacher, zu verkaufen - zumindest für die Großen. Was der Hersteller verkündete, war so gut wie geltendes Recht. Dies ist heute nicht mehr in diesem Maße zutreffend.

-Aber amerikanische Verhältnisse sehen sie bei uns noch nicht: Daß es dem Anwender nur darum ginge, sein Problem optimal zu lösen, egal, ob auf der Maschine drei oder sechzehn Buchstaben stehen, daß also jeder mit jedem könnte und die Fixierung auf einen bestimmten Hersteller zugunsten optimaler Hardware schwindet?

Ganz sicher verlagert sich der Schwerpunkt mehr weg von der Hardware und hin zur eigentlichen Lösung des anstehenden Problems. Dies sollte und muß jedoch nicht zu einem unkontrollierten Rechner-Gemischtwarenladen führen. Man darf nie vergessen, daß man auch mit der schönsten exotischen Lösung viele Jahre leben muß.

-Die Konsequenz daraus ist Nibelungentreue für einen Hersteller. Gibt's keine rationaleren Gründe?

Man muß bei der Entscheidung für die Wahl eines Herstellers viele Dinge abwägen, die bei der Zukunftssicherheit des Herstellers beginnen und bei der Präsenz seines technischen Beratungsdienstes enden, Dies alles sind nüchterne und sachliche Überlegungen.

-Liegt's nicht auch daran, daß sich das EDV-Business innerbetrieblich heute zwischen drei Polen abspielt: Einmal ist da das Topmanagement, mit dem Finanzvorstand, der bezahlt, dann die EDV-Abteilung als eigene Organisationsgruppe und der Fachabteilung, die eine bestimmte Lösung haben will. sie aber mangels EDV-Know-how nicht ökonomisch realisieren kann?

Hier ist tatsächlich der größte Umschwung festzustellen. Das Diktat der EDV-Abteilung nimmt ab, und der Anwender im eigenen Hause übernimmt mehr und mehr die Verantwortung. Dies halte ich persönlich für eine unabdingbare Grundvoraussetzung für den erfolgreichen Einsatz der EDV. Der Anwender muß definieren, was er für die Bewältigung seiner Aufgabe haben muß, nicht was die bereits gekaufte EDV-Anlage ihm in den nächsten Jahren liefern kann.

-Fallende Hardwarepreise und verteilte Intelligenz: Welchen Einfluß hat dies auf den zukünftigen EDV-Einsatz?

Fraglos ergibt sich durch die vielen neuen Hardwaremöglichkeiten eine umfangreiche Palette neuer Einsatzmöglichkeiten, Allerdings, je umfangreicher die EDV-Vergangenheit eines Unternehmens ist, desto schwieriger ist sie zu bewältigen. Entscheidend ist, daß man. durch die sich rasch ändernden Hardwaremöglichkeiten keine Dauerrevolution im Unternehmen etabliert, sondern eine vernünftige Evolution einleitet. Totale Zentralisierung ist genauso fragwürdig wie totale Dezentralisierung. Es muß alles noch überschaubar bleiben. Vor der Euphorie, an jedem Arbeitsplatz einen Rechner zu haben, möchte ich warnen.

-Da klingt an, daß die nutzbare EDV-Leistung trotz fallender Hardwarekosten für die Unternehmen nicht billiger geworden sind?

Hardware unterliegt sicher einem ganz radikalen Preisverfall. Nur: Wenn Sie einen Rechner für ein paar tausend Mark kaufen, dann nutzt das gar nichts. Das Teure kommt eigentlich erst hintennach.

-Das ist die intellektuelle Ausnützung der physikalischen Leistungsfähigkeit?

Ja. Die Hardware-Entwicklung ist der Anwendungs-Entwicklung weit davongeeilt. Kostenmäßig tritt die Hardware für den Anwender mehr und mehr in den Hintergrund. Ihre vielfältigen neuen Möglichkeiten müssen jedoch vom Anwender geistig verarbeitet werden. Ich muß neue Anwendungsmöglichkeiten entwickeln und realisieren, seine Mitarbeiter auf die Konzepte von morgen umschulen, sie mit neuen Methoden, Verfahren und Tätigkeiten bekannt machen.

-Nun lief das Geschäft bisher immer so: Wenn die Anwendung nicht klappte, dann kam eben da noch ein bißchen Peripherie dazu, dort noch ein Speicher und plötzlich waren da zehn Prozent EDV-Kosten vom Umsatz zustande gekommen.

Die Verkaufsstrategie, erst einmal ein Bein in die Tür zu stellen, ist natürlich weit verbreitet. Fatal für den Hardwarekäufer ist jedoch die Tatsache, daß es mit fortschreitender Vorbereitung der Einführung der neuen Anlage nur noch die Flucht nach vorn gibt. Dies unterstreicht, daß man nicht sorgfältig genug bei der Definition der Aufgabenstellung vorgehen kann.

-Wollen Sie dem Hersteller mehr Verantwortung aufbürden, daß sein Produkte auch richtig eingesetzt wird?

Wenn jemand eine Fabrik bauen will, dann werden umfangreiche Überlegungen angestellt und notwendige Entscheidungen sinnvoll vorbereitet. Im Bereich der Datenverarbeitung scheint dies immer noch anders zu sein. Die Unternehmensspitze muß sich einfach mehr mit dem Problem EDV befassen, um teure Fehlleistungen im eigenen Unternehmen zu vermeiden. Diese Verantwortung kann ihr keiner abnehmen.

Eberhard Elsässer

Jahrgang 33, ist Datenverarbeitungsmann von Anbeginn. Der studierte Diplommathematiker ging nach seinem Examen 1959 als wissenschaftlicher Mitarbeiter in die mathematische Abteilung der IBM. Das verkäuferische Element in ihm beflügelte seinen schnellen Aufstieg, den er dann im Vertrieb von IBM nahm. 1969 schied er als Vertriebsdirektor Hamburgindustrie, um die BP-Tochter SCS aufzubauen, bei der er heute Vorsitzender der Geschäftsleitung ist.