Chancen und Grenzen von Skills-Management

Der gläserne Mitarbeiter ist keine Utopie mehr

18.04.1997

Wer Mobilfunk nutzt, erwartet zu Recht, daß Verbindung und Abrechnung funktionieren, auch wenn der Gesprächspartner Kunde beim konkurrierenden Netzbetreiber ist. Wenn die britische Regierung das gesamte Einwohnermeldewesen des Landes auf eine einheitliche DV-Basis stellen will, muß der potentielle Auftragnehmer ein technisch, rechtlich und wirtschaftlich überzeugendes Angebot liefern. Das sind zwei Beispiele für hochkomplexe Dienstleistungsprojekte im internationalen Wettbewerb mit anspruchsvollen Anforderungen an Firmen und ihre Beschäftigten.

Eines der Unternehmenskonzepte, mit denen auf solche Herausforderungen reagiert wird, ist das "Skills-Management". Es soll, heißt es beispielsweise in einer Betriebsvereinbarung der Firma Siemens-Nixdorf Informationssysteme (SNI), "einen den Wünschen und Möglichkeiten der Mitarbeiter sowie dem Unternehmenserfolg dienenden Personaleinsatz unterstützen und gleichzeitig für eine vorausschauende Personalentwicklung und Weiterbildung genutzt werden". In diesem Satz stecken Erwartungen und Befürchtungen, die der datenbankgestützte Umgang mit Kenntnissen, Erfahrungen und Kompetenzen der Belegschaft, den "Skills", auslöst. Er verweist ferner auf den Regelungsbedarf, vom Datenschutz bis zur betrieblichen Mitbestimmung.

Unternehmen der IT-Branche wie SNI oder IBM sowie High-Tech-Entwickler - wie die Industrieanlagen-Betriebsgesellschaft IABG - sind in der Bundesrepublik Vorreiter eines Prozesses, den SNI-Arbeitsdirektor Reinhard Grasse so beschreibt: "Wir sind ein Betrieb, der die Skills der Mitarbeiter vermarktet. Wenn wir die so vorhandenen Ressourcen optimal kunden- und projektorientiert einsetzen wollen, müssen wir sie kennen."

Das Instrument dafür heißt Skill-Datenbank. Es soll helfen, Projektteams zusammenzusetzen, fehlende Skills und damit Trainingsbedarf frühzeitig zu entdecken. Weitere Aspekte steuert Hans-Rainer Oehmke, Personalleiter bei IBM-Böblingen, bei: "Wir brauchen eine bessere Transparenz, über welche Experten wir weltweit verfügen. Dafür muß es einheitliche und meßbare Kriterien geben."

Kommt so unwiderruflich der "gläserne Mitarbeiter"? Diese Gefahr läßt sich durch sozialverträgliche Technikgestaltung und klare Verträge eindämmen, urteilt Ulrich Möncke, Informatiker und Jurist an der Fachhochschule in München. Seiner Ansicht nach bieten das deutsche Betriebsverfassungsgesetz, das Datenschutzgesetz und die Rechtsprechung zum Umgang mit der klassischen Personalakte eine gute Grundlage, um den Skill-Entwicklungsprozeß zu regulieren.

In einer von Möncke betreuten Diplomarbeit hat der angehende Informatiker Sven Müller eine "datenschutzgerechte Intranet-Lösung eines Informationssystems über Mitarbeiterprofile" für die Firma IABG entwickelt. Die klare "Zweckbindung" der Profildatenbank - in diesem Fall geht es nur um die Angebotserstellung des Unternehmens - ist entscheidend, betonen Möncke und Müller. Damit ist der Rahmen abgesteckt für Fragen wie: Welche Skills werden ins Netz eingespeist? Wer hat Zugriff auf die Daten? Wofür dürfen sie nicht verwendet werden? Wer kontrolliert?

Jeder sollte Skills selbst eingeben

Nach Ansicht der beiden Experten taugen Skill-Profile in keinem Fall für die interne oder externe Leistungsbeurteilung von Mitarbeitern, als Schlüssel bei der Zulagenberechnung oder als Datenbasis, um die statistische Abweichung individueller Kompetenzen von denen der Gesamtheit zu errechnen. Selbstverständlich ist für Möncke und Müller, daß jeder seine Skills selbst in das System eingibt. Und wer etwas gut kann, aber nicht mehr tun will - etwa Computeranlagen der ersten Generation reparieren - müsse dies verschweigen dürfen.

Höchst detailliert ist das Skills-Modell bei SNI. Es umfaßt beispielsweise berufliche Fachkenntnisse, Branchen-Know-how, Projekt-Management-Erfahrung, interkulturelle Erfahrung, Präsentationskompetenz, Belastbarkeit, Konfliktfähigkeit, Mitarbeitermotivation und Loyalität. In drei Betriebsvereinbarungen wurde der Handlungsrahmen abgesteckt für die datenschutzrechtlichen Belange des Skills-Managements, für die einschlägigen innerbetrieblichen Stellen- und Projektbörsen sowie für das Mitarbeitergespräch als Instrument der individuellen Personalentwicklung.

Ursprünglich, berichtet SNI-Vorstandsmitglied Reinhard Grasse, wollte der Betriebsrat ein Mitspracherecht für kollektive Weiterbildungskonzepte durchsetzen. Da machte Grasse nicht mit. Jetzt setzen beide Seiten auf vertrauensvolle Zusammenarbeit. Einen "Schritt zum wissensgetriebenen Unternehmen", nennt der Vorsitzende des Konzernbetriebsrats, Erich Jonas, die gefundene Lösung. Er setzt auf die vereinbarte Freiwilligkeit, wonach niemand seine Skill-Daten ins Netz einspeisen muß, sondern sich auch auf konventionelle Weise an den Projektbörsen beteiligen kann.

Geschäftsführung und Betriebsrat der IBM-Niederlassung in Böblingen haben sich auf eine Pilot-Betriebsvereinbarung zu Skill-Kriterien und Weiterbildungszielen geeinigt, die dieses Jahr neu verhandelt wird. "Jetzt kennen wir den Stand unserer Experten und die Skill-Schwachstellen. Auf dieser Basis werden künftig Weiterbildungsziele und entsprechende Maßnahmen definiert", beschreibt Personalleiter Oehmke die Lage. Eine erste Erfahrung ist, sagt Betriebsratsvorsitzende Karin Kern, "daß es Zeit braucht, die Regelungen mit Leben zu füllen." Das gelte für das Ziel, Arbeiten und Weiterbildung als Einheit zu begreifen ebenso wie für die Suche nach der richtigen Qualifizierungsform - von Fachlektüre und Lernprogramm über On-the-job-training bis Firmenaustausch.

Viele offene Fragen also und ständig neuer Klärungsbedarf in den Skills-Betrieben: Haben auch ältere Arbeitnehmer ein verbrieftes Recht auf Weiterbildung? Wie wird sichergestellt, daß der deutsche Datenschutz bei grenzüberschreitenden Projekten gilt? Wo bleiben langfristig Kreativität und Teamgeist, wenn nur noch virtuell kooperiert wird und die soziale Bindung fehlt? Erst die Praxis wird zeigen, sagen die FH-Experten Möncke und Müller, wozu die "Skill-Data-Basis wirklich taugt". Jede Personalleitung, die nicht auf breiten Konsens mit Betriebsrat und Belegschaft setze, sei jedenfalls schlecht beraten.

*Helga Ballauf ist freie Journalistin in München..