Thema der Woche

Der Fall Intergraph

19.06.1998

Intergraph ist Spezialist für hochleistungsfähige Workstations, auf denen verschiedene professionelle computerunterstützte Anwendungen zum Einsatz kommen. Intergraph hatte sich 1987 die Advanced Processor Division von Fairchild Industries einverleibt. Diese errang in der Vergangenheit einiges Ansehen mit ihrer RISC-basierten Prozessorfamilie "Clipper", die Intergraph in der Folge weiterentwickelte.

Seit Ende 1992 allerdings vollzog Intergraph einen Technologiewechsel hin zur Intel-Architektur. Intergraph entwickelte sich so zu einem sogenannten "early adopter" der Intel-Produkte für Workstations, einem Vorläufer also für Workstations auf Intel- und NT-Basis. Das war für Intel ein völlig ungewohntes Terrain, für das es sich gerne der vielfältigen Ratschläge, Informationen und Kenntnisse von Intergraph versicherte.

1994 entfielen auf die Intel-Systeme bereits drei Viertel von Intergraphs Hardware-Umsätzen. 1996 verkaufte das Unternehmen mit Hauptsitz in Huntsville, Alabama, nur noch Systeme, die mit CPUs der Grove-Company rechneten.

Das gute Arbeitsverhältnis wurde 1996 allerdings erheblich gestört, als Intel von Intergraph eine Lizenz für die Clipper-Prozessortechnologie verlangte und zusätzlich zwei Bedingungen stellte: Die Lizenz sollte zum einen kostenfrei sein; zum anderen sei sie die Bedingung dafür, daß Intel überhaupt noch lebenswichtige technische Informationen an Intergraph weitergeben werde.

Als Intergraph auf dieses Ansinnen nicht einging, schnitt Intel das Unternehmen prompt von allen Wissenströmen ab. Folge: Die Markteinführung von Intergraph-Grafik-Workstations verzögerte sich erheblich.

1997 mußte Intergraph zudem feststellen, daß verschiedene Unternehmen, die Intel-basierte Systeme vermarkteten, in diesen widerrechtlich Intergraph-Patente nutzten. Als diese Firmen deshalb mit Schadensersatzansprüchen an Intel herantraten, erhöhte der Prozessormogul den Druck auf Intergraph und verlangte wieder die unentgeltliche Vergabe der Clipper-Lizenzrechte.

Da Intergraph weiterhin standhaft blieb, startete Intel nach Meinung des FTC die gleichen Strafaktionen gegen Intergraph, mit denen auch Digital gezüchtigt wurde.

Damit nicht genug: Intel, so der Vorwurf des FTC, habe Intergraph absichtlich nicht von einem Fehler, einem sogenannten Bug, in einem Intel-Prozessor informiert. Der Marktführer hintertrieb vielmehr sogar Intergraphs Bemühungen, sich bei der Fehlerbehebung Hilfe von Dritten zu holen. Das Ergebnis der Intel-Trickserei stellt sich für das FTC so dar: Intergraph war gezwungen, eine komplette Systemplatine neu zu entwerfen, zu produzieren und zu testen. Das führte wieder zu erheblichen Verzögerungen bei der Einführung von Produkten.

In einem Gerichtsverfahren, das unabhängig von den Aktionen des FTC ist, hat Intergraph allerdings gegen Intel einen aufsehenerregenden, wenn auch nur vorläufigen, Erfolg verbuchen können: Im April dieses Jahres erließ ein US-Distriktgericht eine einstweilige Verfügung, wonach Intel gezwungen wurde, von seinen Geschäftspraktiken gegen Intergraph Abstand zu nehmen. Bei dieser Gelegenheit argumentierte der vorsitzende Richter, bei Intels Prozessoren könne man von einer "essential facility" reden (siehe CW 21/98, Seite 10). Einer Technologie also, die für Wirtschaft und Gesellschaft von so großer Bedeutung ist, daß Intel sie im Prinzip zur allgemeinen Verfügung stellen müsse.