Bei alten arbeitsteiligen Systemen gibt es Probleme an den Schnittstellen

Der Faktor Zeit entscheidet über die Wettbewerbsvorteile

16.10.1992

Es wird den Unternehmen zunehmend schwerer, über traditionelle Methoden zu Wettbewerbsvorteilen zu gelangen. Gesättigte und vernetzte

Märkte behindern eine Kostendegression über die Absatzmengen ebenso wie die Differenzierung der Arbeitsabläufe. Aber in beiden Fällen lassen sich zeitlich begrenzt wesentliche Wettbewerbsvorteile über einen schnellen Markteintritt gewinnen.

Viele Unternehmen sind heute in hohem Maße von arbeitsteiligen Strukturen geprägt. Oft hat der Einsatz rechnergestützter Verfahren und Hilfsmittel aufgrund ihres meist stark aufgabenorientierten Charakters diesen Trend noch verschärft. Ein hoher Grad an Arbeitsteiligkeit sowie die mangelhafte Synchronisation der Vorgänge sind gleichermaßen für Zeit- und Effektivitätseinbußen verantwortlich. Diese Verluste nehmen tendenziell mit der Zahl der an der Auftragsabwicklung beteiligten Stellen zu.

Zeitverluste treten bei der Auftragsabwicklung durch viele organisatorische Schnittstellen mit langen Liege- und Übergangszeiten auf. Die sequentielle Arbeitsweise in der Auftragsabwicklung sowie die unzureichende Datenweitergabe und -aufbereitung für nachfolgende Tätigkeiten sind für "geistige und datentechnische Rüstzeiten" - Verzögerungen durch wiederholtes Eindenken und mehrfache Grunddaten-Generierung - verantwortlich.

An Prozeßketten orientierte Arbeitsweisen

Das Streben nach Realisierung der rechnerintegrierten Produktion war in der Vergangenheit wesentlich vom Versuch geprägt, die verschiedenen, rechnergestützten Hilfsmittel miteinander zu verbinden. Durch die Verknüpfung getrennt entwickelter, aufgabenorientierter Systeme mit jeweils unterschiedlichen rechnerinternen Beschreibungsmodellen wird eine wiederholte Grunddatengenerierung jedoch nur bedingt vermieden. Nur selten ermöglicht die Koppelung einen Aufgabenzusammenschluß in den entsprechenden Unternehmensbereichen.

Voraussetzung für eine Verkürzung der Durchlaufzeiten ist die Schaffung dezentraler Organisationsstrukturen mit definierten Schnittstellen. Darüber hinaus sind neue, an Prozeßketten orientierte Arbeitsweisen anzustreben. Dies erfordert neben der Schaffung entsprechender organisatorischer Strukturen auch die Verfolgung technischer Ansätze zur Unterstützung von Parallelarbeit und zur Vermeidung "geistiger und datentechnischer Rüst- und Nebenzeiten".

Für die Parallelisierung von Tätigkeiten sowie für die an Prozeßketten orientierte Zusammenfassung von Aufgaben ist zukünftig sowohl die durchgängige Nutzung von geeigneten Datenmodellen als auch der Einsatz geeigneter Werkzeuge und Hilfsmittel anzustreben. Die optimale Datenaufbereitung für den Systembenutzer muß Bestandteil, moderner Werkzeuge und Hilfsmittel werden. Es gilt, eine der Vorstellungswelt des Menschen entsprechende, grafische Darstellung aller Informationen zu entwickeln, um Schnittstellenverluste beim Eindenken in die Arbeitsaufgabe zu vermeiden.

Insbesondere bei komplizierten Gestaltungs- und Planungsaufgaben sollte möglichst parallel und vernetzt gearbeitet werden. So sind nicht fertigungs- und montagegerechte Konstruktionen zum einen auf mangelnde Abstimmung zwischen den jeweiligen Unternehmensbereichen zurückzuführen.

Zum anderen fehlen den Planern und Konstrukteuren häufig Hilfsmittel, die es erlauben, die Auswirkungen von Produkt- oder Prozeßänderungen bereits in der Planungsphase zu analysieren. Beispielsweise baut sowohl die Arbeit des Konstrukteurs als auch die des Arbeitsplaners gedanklich auf einer dreidimensionalen Modellvorstellung des Produktes auf.

Das in der Konstruktion entstandene räumliche Produktmodell wird heute jedoch selbst bei Einsatz von 3D-CAD-Systemen in Form von Zeichnungen an den Arbeitsplaner übergeben. Bevor dieser mit der Planung selbst beginnen kann, muß er sich anhand der Zeichnungen gedanklich das Modell des Planungsgegenstandes erneut aufbauen.

Bei der NC-Programmierung wird das Problem der "geistigen Rüstzeiten" noch deutlicher. Der Interpretation von Arbeitsplan und dazugehöriger Zeichnung schließt sich meist die Neudefinition der Werkstückgeometrie im NC-Programmiersystem an. Eine Verkürzung dieser bereits vor Beginn der eigentlichen Arbeit anfallenden Vorbereitungen läßt sich nur dann erreichen, wenn dem Planer die dreidimensionale Abbildung des Planungsgegenstandes als Grundlage zur Verfügung steht.

3D-Grafik und grafische Simulationssysteme sind wirkungsvolle Hilfsmittel, um sowohl die organisatorischen als auch die datentechnischen Schnittstellenprobleme zu mindern. Grafisch interaktive Arbeitsplanung bietet hier beispielsweise die Möglichkeit, den Arbeitsplan und die Programme für die Bearbeitungsmaschinen direkt aus der grafischen Darstellung der Werkstücke abzuleiten.

Mit Hilfe von 3D-Simulationssystemen kann man die Festlegung der Spannsituation und eine Kollisionsprüfung bereits in der Planungsphase vornehmen, wodurch fundiertere Aussagen über die Prozeßsicherheit zu treffen sind. Der Aufwand für das Einfahren der NC-Programme an der Maschine nimmt ab, das Prinzip der Parallelschaltung von Haupt- und Nebenzeiten läßt sich damit auch auf Planung und Fertigung übertragen.

Einen Ansatz zur Integration der mit verschiedenen Werkzeugen und Hilfsmitteln arbeitenden Unternehmensbereiche bildet die rechnergeführte Auftragsleittechnik. Durch die Koordination der Tätigkeiten und Informationsflüsse läßt sich das Zusammenspiel aller an der Produktentstehung beteiligten Unternehmensbereiche verbessern. Mit Hilfe der Datenintegration durch die Verbindung von rechnergestützten Hilfsmitteln erlaubt es die Auftragsleittechnik, sequentielle Arbeitsweisen durch parallele zu ersetzen.

Neue Inhalte und Strukturen

Die Leittechnik ist ein geeignetes Hilfsmittel, die mit der zunehmenden Flexibilisierung der Produktionsanlagen einhergehende Komplexitätsteigerung zu beherrschen. Rechnergestützt lassen sich auch die jeweiligen Durchlaufzeiten entscheidend verkürzen.

Aufgabe der Leittechnik ist es, sowohl den Informationsfluß als auch den Werkzeug-, Werkstück- und Vorrichtungsfluß sicherzustellen und zu organisieren. Dies umfaßt unter anderem die Überwachung der Auftragsabarbeitung, die Erfassung statistisch relevanter Daten sowie die Bereitstellung von Strategien zur Störungsbewältigung.

Zur Sicherstellung der Verfügbarkeit der Gesamtanlagen empfiehlt es sich, dezentrale, autonome Strukturen aufzubauen. Es bietet sich eine hierarchische Strukturierung in Leitrechner-, Zellenrechner- und

Steuerungsebene an. Bei der Entwicklung von Steuerungsstrategien können Simulationstechniken wertvolle Unterstützung bieten.

Die weitere Entwicklung der Leittechnik muß das Ziel haben, von einer rein vorwärtsgerichteten, auf Planparametern basierenden Steuerung zu einer auf den Daten der aktuellen Situation aufsetzenden Regelung des Auftragsdurchlaufs zu gelangen.

Die Optimierung des Gesamtsystems Unternehmen als Antwort auf die sich verändernden Anforderungen führt zu einer steigenden Vernetzung der Aufgaben. Die dargestellten Lösungsansätze bewirken veränderte Produktionsstrukturen sowie neue Arbeitsinhalte und Arbeitsstrukturen.

Der Erfolg zukunftsweisender Konzepte steht und fällt mit ihrer Akzeptanz durch den Mitarbeiter. Eine wichtige Voraussetzung ist dabei ein besseres Verständnis der Mitarbeiter für das Zusammenwirken aller betrieblichen Teilbereiche. Entscheidungen müssen in zunehmend komplexen Strukturen dezentral getroffen werden.

Dies erfordert weniger Spezialkenntnisse als vielmehr bereichsübergreifende Kenntnisse. Daraus ergeben sich veränderte, in der Regel höhere Anforderungen an die Beschäftigten.

Der Mensch bleibt im Mittelpunkt

Auch in Zukunft wird der Mensch im Mittelpunkt der Fabrik stehen. Es gilt, ihm ein organisatorisches und technisches Umfeld zu bereiten, das die Umsetzung seiner Ideen und Kenntnisse bestmöglich unterstützt. Dabei geht es sowohl im technischen als auch im organisatorischen Bereich darum, das Optimum von Spezialisierung beziehungsweise Arbeitsteilung einerseits und Integration der Daten und Aufgaben andererseits zu finden.

Bei den Hilfsmitteln und auch im organisatorischen Bereich sind überschaubare, dezentrale und einfach koordinierbare Einheiten zu schaffen. Datentechnische Integration bei Hilfsmitteln und Aufgabenintegration bei den Mitarbeitern des Unternehmens darf nicht zu Strukturen führen, deren Komplexität die Beherrschbarkeit der Aufgaben nicht erlaubt.

Die Fähigkeit der Mitarbeiter, in geeigneten Unternehmensorganisationen auf die Herausforderungen der Zukunft mit dem Einsatz geeigneter Hilfsmittel zu reagieren, wird den Unternehmenserfolg in Zukunft entscheidend mitbestimmen. Unter Beachtung der Wechselwirkungen zwischen Mitarbeiter, Organisation und Technik ist ein ganzheitliches Optimum anzustreben.

*Professor Joachim Milberg hat den Lehrstuhl für Werkzeugmaschinen und Betriebswissenschaften an der TU München inne.