Max-Planck-Forscher

Der Evolutionsfaktor Zufall wird bestimmbar

15.09.2009
Von pte pte
Wie stark sich Zufall auf die Evolution auswirkt, kann erstmals durch quantitative Berechnungen festgestellt werden.

Forscher vom Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation berichten in der Fachzeitschrift "Physical Review Letters" von einem entsprechenden mathematischen Verfahren dafür, das auf Grundlage von Evolutionsformeln und Computersimulationen erstellt wurde. Damit könne nun laut den Wissenschaftlern der Zufallsfaktor der Evolution kontrolliert werden. "Das heißt nicht, dass man den Zufall beeinflussen oder steuern könnte, da die Wechselfälle des Lebens unberechenbar und auch unvermeidbar sind. Man kann jedoch die Geschwindigkeit der Evolution vorhersagen", erklärt Studienleiter Oskar Hallatschek im pressetext-Interview.

Grundannahme ist, dass die Evolution nicht nur auf den von Darwin beschriebenen Vorgängen der Mutation und Selektion basiert. "Mutation geht auf zufällige Prozesse zurück und die Selektion auf die Größe des Evolutionsvorteils, den die Mutation bietet. Es hat sich jedoch herausgestellt, dass der Zufall an der Evolution auch in anderer Weise beteiligt ist. Trotz guter Gene kann man beispielsweise von einem Auto überfahren werden", so Hallatschek. Dem Göttinger Wissenschaftler gelang es zu verstehen, nach welchen Zufallsprozessen sich eine Mutation, die an einem Ort entsteht, in einer Bevölkerung durchsetzen kann. Mit berücksichtigt wurde dabei der Faktor des Raumes. "Bisherige Modelle missachten, dass nicht jeder mit jedem im Wettbewerb oder Austausch steht, sondern nur mit den unmittelbaren Nachbarn."

Per Computermodell zeigten die Forscher, dass sich Mutationen wie eine Welle über das besiedelte Gebiet ausbreiten. Mit welcher Geschwindigkeit dies geschieht, hängt wesentlich von zwei Faktoren ab. "Einerseits wird sie bestimmt durch den Vorteil, den eine Mutation für das Überleben bringt. Andererseits ist der Zufall im Spiel, den die Besiedlungsdichte der Bevölkerung stark beeinflusst. Ist sie dünn, kommt es zu wenigen Kontakten und die Mutation breitet sich nur langsam aus. Vervierfacht sie sich jedoch, wird die Ausbreitung doppelt so schnell", so Hallatschek.

Nutzen könnte dieses Wissen in mehreren Bereichen bringen, erklärt Hallatschek. "Es hilft uns etwa, die Pesterkrankungen im 14. Jahrhundert besser zu verstehen, die sich über Europa in Form einer Welle ausgebreitet haben. Auch hier spielt neben Populationsdichte und Ansteckbarkeit, die aus der Erregersicht den Mutationsvorteil darstellt, der Zufall eine wichtige Rolle." Zufällig seien dabei die Begegnungen der Menschen im Alltag. "Besteht ein soziales Netz, bedeutet dies ein unvermeidbares Grundrauschen. Für die Verhinderung eines Krankheitserregers wird es jedoch zum Vorteil, da es die Ausbreitungswelle verlangsamt." Die starke Beschleunigung durch den internationalen Flugverkehr, die wesentlich zur raschen Ausbreitung des aktuell kursierenden H1N1-Virus beigetragen habe, könne das Modell jedoch nicht berücksichtigen, gibt Hallatschek zu bedenken.

Neben der Rekonstruktion der Ausbreitung von Seuchen soll das Modell auch in anderen Bereichen Anwendung finden. Hallatschek nennt als Beispiele die Vorhersage von Verbrennungsfronten in reaktiven Gasgemischen, sowie auch Bereiche der Teilchenphysik, in der sich Wellenfronten nach einem zufallsbestimmten Prozess aufspalten. Ziel des Forscher selbst ist es, auf Grundlage dieser Methode die Evolution des Menschen in den letzten 200.000 Jahren zu rekonstruieren. Verstehen will man dabei die wellenartige Ausbreitung von vorteilhaften Mutationen anhand von genetischen Daten. (pte)